»Gerne«, sagte Fett, suchte einen Fensterplatz und staunte über die Dimensionen der Talsperre, vom Aachener Professor Otto Intze zu Beginn des 20. Jahrhunderts als größte Talsperre Europas gebaut.
»Wie läuft es?«, fragte er den Wirt, als die Wiener vor ihm lagen.
»Wird schon. Rureifeltourismus zieht die Nachbarn aus den Niederlanden an. Merke ich hier«, sagte Ernst Heiliger und nahm am Nachbartisch Platz. »Wenn alles da unten in Heimbach mit der Feriensiedlung klappt, dazu noch Vogelsang, dann können die bald ein Traumschiff in Einruhr vom Stapel lassen.« Er lachte und fragte, ob es denn schmecke.
»Prima Wurst. Hört sich gut an. Aufschwung für die Region.«
»Ja, können wir gebrauchen. Mein Opa fuhr noch mit Pferdefuhrwerk nach Simmerath. Die Böden sind karg und Waldwirtschaft ist teuer. Dazu noch die Biber.«
»Biber?«
»Schauen Sie mal genau hin. Direkt am Ufer. Die Biber putzen die Bäume weg, als ob es Grashalme wären. Schon blöd für die Rurseeschifffahrt. Dauernd dümpeln Baumstämme im Obersee und in der Rurtalsperre. Naturschutz. Tierschutz. Jedenfalls kracht es hier nachts ordentlich. Manchmal muss ich hier oben übernachten. Dann höre ich, wie die Bäume ins Wasser plumpsen. Ich hab nichts gegen die Biber. Aber das, na, wie heißt es noch, dieses ökomenische, ach, ökologische Gleichgewicht ist futschikato.«
»Tja«, sagte Fett, »dann lassen Sie sich mal zum Biberberater ausbilden. Nebenerwerb.«
Heiliger lachte herzhaft. »So weit kommt es noch. Sollen sich Ranger drum kümmern. Ich mach jetzt Schluss. Noch einen Kaffee?«
Fett verneinte dankend, zahlte und wünschte dem Pächter eine gute Woche. Dann schritt er zügig aus. Die Dunkelheit schlich zusammen mit einer nasskalten Feuchte heran. Auf den ersten Kilometern war es noch hell genug. Da sah er die angenagten Bäume. Manche 50 Zentimeter im Durchmesser. Sie lagen wie schlafend im Wasser, andere waren verschwunden, verbaut in einer Biberburg. An einer Stelle hatten sie ganze Arbeit geleistet. Als ob eine Motorsäge oder jemand mit einer riesigen Sense die jungen Bäume gefällt hätte.
Er erreichte die Victor-Neels-Brücke und war froh, dass es noch nicht vollständig dunkel war. Alle Spuren am Tatort waren beseitigt. Reste von Kreidemarkierungen am Edelstahlgeländer der Brücke zeigten ihm, wo Brauers gehangen hatte. Ein kalter Hauch wehte Fett auf der Brücke an. Die dunkle Urft, die Ruhe und der Adlerturm, das Auge des Führers, dies alles ließ ihn frösteln. Der Tod von Brauers an diesem Ort barg ein besonderes Geheimnis. Da war er sich sicher. Die Sonne stand bereits sehr tief. In einer Stunde würde es stockdunkel sein. Schneereste knirschten unter seinen festen Schuhen. Die Dockermütze zog er tief über die Ohren und erreichte nach 30 Minuten den Parkplatz hinter der Hauptwache mit der Aufschrift »Malakoff«. Der Alfa sprang an. Mit »Ashes to Ashes« von David Bowie fuhr Fett zurück nach Aachen.
Der tote Professor
In Krakau wartete Prof. Zamek Ende Januar sehr lange auf Prof. Haberstock. Die Speisekarte im Traditionsrestaurant kannte er bestens. Pilzsuppe in Brotteig, danach Schnitzel und dann Apfelstrudel, so hatte er sich das Menü vorgestellt. Allein Haberstock kam nicht und ging nicht an sein Handy.
Zamek bat den Rezeptionisten, an die Tür zu klopfen. Erfolglos. Haberstock öffnete nicht. Tiefschlaf, dachte Zamek. Nicht die Art von Haberstock. Zamek trank ein Mineralwasser, einen Wodka, zahlte und ging nach Hause. Morgen würde Haberstock alles erklären. Vielleicht ein Unwohlsein.
Am nächsten Tag entdeckte die Putzfrau Maria Janda Prof. Haberstock in seinem Bett. Es war nicht der erste Professor, der im Gästehaus der Universität sein Leben ausgehaucht hatte. Maria Janda sagte nur »O, boże«, man könnte es mit »Ach, du lieber Himmel« übersetzen, dann lief sie zum Rezeptionisten. Ein Krankenwagen wurde nicht mehr benötigt. Der Notarzt rief die Polizei hinzu. Ein ungeklärter Todesfall. Alles deutete auf einen Herzinfarkt. Der deutsche Professor habe vermutlich zu viel gearbeitet, zu wenig Sport getrieben, zu schlecht gegessen und zu viel getrunken. So wurde der gute Haberstock zunächst einer von Tausenden Fällen, denen ein natürlicher Tod bescheinigt wurde. Der Apfelsaft-Minz-Trank hatte keine direkten Spuren hinterlassen. Herzversagen. Kommissar Dawid Gutowski von der Kriminalabteilung der Stadtpolizei Krakau musste raus in die Ulica Garbarska. Der diensthabende Notarzt des Universitätsklinikums von Krakau bestätigte nach erster Prüfung eine normale Todesursache. Nun konnte Haberstock abtransportiert werden in das Kühlhaus der Krakauer Leichenhalle. Der Rest: Formalitäten, Überführung, Schicksal.
Nach 14 Tagen traf der Biberexperte in einem Metallsarg in Aachen ein. Seine Kinder kümmerten sich um die Formalitäten und die Entgegennahme des Erbes: viele Bücher über Biber, eine Mietwohnung auf der Hörn, die sie sofort kündigten, und ein Vermögen von rund 10.000 Euro. Das war es. Das Leben der Biberkoryphäe endete überschaubar. Die Spielleidenschaft hatte Spuren hinterlassen. Auch im materiellen Erbe. Die Beisetzung fand in aller Stille statt. Ein kurzer Nachruf der RWTH Aachen erschien in den Tageszeitungen. Das alles geschah vor Brauers Tod. Und beinahe wäre sehr viel Gras über die Sache gewachsen.
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