Na gut, Kakao schien in Ordnung zu gehen. Patti futterte seinen Kuchen und taxierte dabei auffallend unauffällig sein Gegenüber Niklas, als müsse er anschließend eine Doktorarbeit über ihn schreiben. Mir entging nicht, dass er diesen immer noch für höchst überflüssig hielt, im geheiligten Reich seines eigenen Zimmers sowieso. Was war ich an jenem Nachmittag erleichtert, als Niki eine Stunde später mit seiner Mutter wieder von dannen zog! Sechzig Minuten können sich zur gefühlten Ewigkeit hinziehen, wenn man alle paar Augenblicke als Friedens-Diplomatin gebraucht wird.
»Nein, das ist meins!!! Das fasst du gefälligst nicht an!«, tönte es alle paar Minuten den Korridor entlang. Oder: »Nö, ich will jetzt nicht mit den Dinos spielen! Die gehören sowieso mir, und die mögen dich nämlich gar nicht! Wenn du sie anfasst, werden sie dich auffressen! Wehe, du machst was kaputt!«
Nach ein paar ähnlich abgelaufenen Versuchen gab ich auf. »Na ja, dann ist er eben ein Einzelgänger, kann ich auch nicht helfen!«, dachte ich resigniert. Wo hätte ich auch Kinder auftreiben sollen, welche sich die ständigen Abfuhren willig gefallen lassen?
Es gibt ein paar Abneigungen, die alle Einzelgänger-Kinder zu teilen scheinen. Eine starke Aversion ist zum Beispiel diejenige gegen Clowns. Je mehr das übrige Publikum über die Kapriolen des »Dummen August« lacht, desto kritischer wird das Gesicht des kleinen Einzelgängerchens.
»Was soll daran bitte witzig sein?«, scheint der Blick genervt und verständnislos zu fragen. Für ihn ist die Vorstellung einfach nur albern, und vor allem wieder mal Eines: Total überflüssig!
Warum gerade Einzelgänger so abweisend auf die Vorstellungen von Clowns reagieren, ist im Grunde ganz leicht zu erklären: Diese stören mit ihrem chaotischen, relativ sinnentleerten Herumalbern den ausgeprägten Ordnungssinn eines Einzelgängers. Ein wenig macht ihnen der unkontrollierte Ausbruch von Frohsinn zudem Angst, weil man Chaos aller Art nun einmal schlecht einschätzen oder berechnen, ergo nicht vollständig beherrschen kann. Also ist von Zirkus-Besuchen eher Abstand zu nehmen.
Noch viel dringender möchte ich Ihnen aber davon abraten, den einsamen Wolf mit einem Geschwisterkind ins selbe Zimmer zu stecken. Niemals, unter gar keinen Umständen! Weshalb, das brauche ich nach obigen Ausführungen wohl nicht mehr näher zu erläutern.
Mein heutiger Lebensgefährte – auch ein Einzelgänger –, hat beispielsweise im zarten Kindesalter seine kleine, als lästig empfundene Schwester in der Toilette entsorgen wollen, weil sie ihm maßlos auf den Wecker ging. Hinterher verteidigte er die geplante Missetat mittels durchaus logischer Erwägungen, welche den Erwachsenen gleichermaßen blankes Entsetzen, wie auch gebührenden Respekt für die geleisteten Denkprozesse abnötigten.
Hat so ein echtes Einzelgänger-Kind erst das genaue Ablesen der Uhrzeit gelernt, wird einem schnell einiges klar. Der Kindergarten scheint nämlich von ihm offenbar eher mit dem Hochsicherheits-Trakt eines Gefängnisses assoziiert zu werden, und sei er noch so bunt und ansprechend gestaltet.
Von diesem Moment an sitzt der kleine Extremist wie eh und je still in seiner einsamen Spielecke abseits des Geschehens, schickt dabei aber ständig sehnsüchtige Blicke in Richtung der Wanduhr.
»Wann hat diese Tortur für heute ein Ende, und ich kann hier endlich raus?«, scheint er sich seufzend zu fragen.
Nun, eines Tages ist es so weit, und er kann dem Kindergarten für immer den Rücken kehren – weil er nämlich zur Schule gehen muss! Aber ob er sich dort wirklich wohler fühlen wird?
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