Hubert »Buddha«
Bitte bleibt, wie ihr seid!
»Ich bin nirgends so alleine wie in einem Raum mit vielen Menschen … «
Schweisser, Album »Eisenkopf«
Vorwort
Sie leben mitten unter uns, meist unerkannt. Kein Etikett, kein Warnhinweis zeichnet diese Spielart des Homo sapiens als das aus, was sie nun einmal sind: Einzelgänger. Und doch merkt jeder, der ihnen begegnet, eines recht schnell und zuverlässig: er oder sie verhält sich irgendwie … anders!
Einzelgänger sind nicht etwa unhöflich, stoffelig oder komplett unnahbar, oh konträr! Der erste Eindruck ist sogar meistens der eines sehr charmanten, äußerst eloquenten und sozial kompetenten Individuums. Erst im weiteren Verlauf eines Kontakts outet er sich als Exemplar dieser extravaganten Gattung und stellt seine anders strukturierten Mitmenschen vor schier unlösbare Probleme.
Ich spreche hier zwar immer von »dem« Einzelgänger, aber selbstverständlich meine ich damit männliche und weibliche Vertreter, denn es gibt sie eindeutig in beiden Geschlechtern. In den weiteren Kapiteln dieses Werkes werde ich diese Darstellung so beibehalten, denn nichts finde ich holpriger beim Lesen, als dieses heute oft bemühte »Einzelgänger/in«, welches uns Frauen angeblich vor einer respektlosen Diskriminierung durch das übermächtige Patriarchat bewahren soll. Da ich selbst eine Frau bin, kann ich mir vermutlich ohne weiteres erlauben, nicht ständig auf die weibliche Seite der Medaille verweisen zu müssen.
Möge Ihnen dieses Buch einen Einblick in das komplizierte Seelenleben der Einzelgänger in Ihrem Umfeld erlauben – denn wer mit einem Einzelgänger adäquat umgehen kann, dem wird er es lebenslang danken!
Ihre Autorin Andrea Ross
Einmal Einzelgänger – immer Einzelgänger!
Ein seltsamer Säugling
Man sagt, Einzelgänger würden schon als solche geboren. Kaum erblickten sie das Licht der Welt, wären sie ständiger Gesellschaft anderer Menschen schnell überdrüssig.
Abgesehen von Mama, natürlich! Jemand muss ja gelegentlich den Hintern trocken legen. So ein bis zwei Menschen in seiner Nähe zu haben, ist grundsätzlich überschaubar und ganz nett. Sogar für erklärte Individualisten. Doch mehr davon?
Gehen Sie mal in eine ganz normale SäuglingsStation, ganz egal wo. Beobachten Sie die neugeborenen Kinder aufmerksam. Aber nur diejenigen, welche in Grüppchen zusammen liegen.
Während der weitaus größere Teil sich nichts daraus macht und vielleicht sogar gelegentlichen Körperkontakt oder die Geräusche der in der Nähe liegenden Babys genießt, werden andere schon nach kürzester Zeit unleidig. Sie setzen mithilfe ihres noch sehr kleinen Köpfchens alles daran, schnellstens umquartiert zu werden.
Glauben Sie nicht? Dann haben Sie wahrscheinlich noch nicht die Bekanntschaft eines Einzelgänger-Säuglings gemacht!
Ich schon. Zwei davon habe ich sogar höchstpersönlich geboren. Die allerersten Tage verlaufen so oder ähnlich: Während andere Mütter die Kinder am Abend der Schwester mitgeben können, damit sie gemeinsam im Kinderzimmer übernachten, findet die Mutter eines Mini-Einzelgängers über Nacht keine Ruhe. Nach spätestens einer Stunde gibt jede noch so abgebrühte Kinderkrankenschwester entnervt auf.
Wie oft habe ich doch folgenden Satz vernommen: »Es tut mir leid, aber ich muss Ihnen den kleinen Racker gleich wieder zurückbringen! Er weint ununterbrochen, gibt überhaupt keine Ruhe. Der weckt uns sonst alle anderen auch noch auf!«
Zuerst macht man sich Sorgen. »Stimmt mit meinem Baby etwas nicht, hat es Schmerzen? Oder Hunger vielleicht?«
Weit gefehlt! Auch die Wunschvorstellung, das Kind liebe halt schon zu Beginn seines Lebens die Mama so sehr, dass es sich ohne sie nicht mehr wohlfühlt, hat schnell ausgedient. Der
»kleine Racker« stellt sein Geschrei nämlich augenblicklich ein, wenn er alleine in seinem Bettchen liegen darf – fernab von anderen Kindern. Entweder das, oder im Arm der Mutter, während die sich liebevoll ausschließlich um ihn kümmert. Die Schwester schüttelte in unserem Fall nur mitleidig den Kopf.
Nicht nur einmal habe ich mir während dieser recht anstrengenden Krankenhaus-Aufenthalte nach der Geburt meiner beiden älteren Kinder insgeheim gedacht:
»Das kann ja heiter werden! Wenn das jetzt so weiter geht, bis er/sie 18 Jahre alt ist?!«
Mein Sohn hat es geschafft, die beschriebene Prozedur eine volle Woche lang durchzuziehen. Bis ich schon gar nicht mehr wusste, wie sich Schlaf überhaupt anfühlt. Die anderen Frauen saßen entweder fröhlich, oder mit der berühmten Baby-Depression im Bett, während ich zu Emotionen kaum fähig war. Ich fühlte mich einfach nur müde und zerschlagen.
Den interessantesten Auftritt hat sich mein Söhnchen aber bis zum Schluss aufgespart. Als sich seine Haut leicht gelblich verfärbte, wollte man ihn für zwei bis drei Tage unter ein LichtTherapiegerät legen. Eine leichte Gelbsucht sei normal, beruhigte mich der Arzt. Kein Grund zur Sorge. Das Bürschchen bekomme jetzt eine Art flauschige Augenbinde, dann dürfe er bei wohliger Wärme in einem Glaskasten von den Malediven träumen.
Klar, ein bisschen Strand-Feeling hätte Patti wahrscheinlich bestens gefallen. Die Augenbinde hatte auch die Form einer coolen Sonnenbrille, was äußerst witzig aussah. Das Dumme war nur, dass Patti nicht der Einzige war, der eine Gelbsucht ausgebrütet hatte. So kam es, dass an jenem Tag gleich vier Säuglinge unter der Lampe lagen, nebeneinander geschlichtet wie Touristen an einem spanischen Strand mitten im Juli.
Raten Sie mal, wer es wohl schaffte, diesen paradiesischen Teutonengrill innerhalb kürzester Zeit zu sprengen? Richtig. Pattis Auftritt kann unter Berücksichtigung seines Alters von gerade mal fünf Tagen wohl als spektakulär bezeichnet werden.
So zwei bis drei Minuten benötigte er für seine Orientierung. Wie er mit seiner blickdichten Sonnenbrille so dalag, schien er zu überlegen, warum man ihm eigentlich die Augen verbunden hatte. Er strampelte ein bisschen, wirkte ganz entspannt. Bis er das erste Geräusch von der Nachbarin zu seiner Linken vernahm. Klein Ann-Kathrin gab ein zartes »Brrr – g!« von sich.
Patsch! Pattis linke Rückhand klatschte ihr quer über die Nase. Zufall? »Quatsch, das kann er nicht absichtlich gemacht haben!«, dachte ich mir amüsiert.
Wenige Sekunden später dasselbe Bild zur Rechten: Jetzt meinte das nur drei Tage alte Mäxchen, herzhaft gähnen zu dürfen. Bis ihn die Rechte meines Sohnes stattdessen zum Weinen brachte.
Ich holte die Schwester aus dem Wickelzimmer. Fragte, ob es denn wirklich eine gute Idee wäre, Patti zwischen die anderen Kinder zu platzieren? Die winkte nur fröhlich ab. »Ach, das Kind gewöhnt sich schon daran! Gehen Sie ruhig in Ihr Zimmer, ich kümmere mich drum!«
Leicht beunruhigt zog ich ab, wollte wenigstens die ungewohnte Ruhe in meinem Zimmer genießen und mich ein bisschen erholen. Sonst würde ich womöglich unmittelbar nach der Krankenhaus-Entlassung entkräftet von den Füßen kippen, dachte ich mir. Doch kaum war ich weggedämmert, tippte mir besagte Schwester auf die Schulter.
»Tut mir furchtbar leid, Sie stören zu müssen. Aber ich darf mir drüben unter der Höhensonne etwas einfallen lassen! Die drei anderen Kinder schreien jetzt alle wie am Spieß, und Ihr Sohn scheint mir der Grund dafür zu sein!« Sie legte mir Patti mit vorwurfsvollem Blick in den Arm und verschwand eiligen Schrittes.
Zum