Und siehe da – es funktionierte! Mein Unruhestifter Patti hatte seine Privatsphäre erkämpft und wirkte hochzufrieden. Bis die Kollegin von Schwester Anne nach dem Schichtwechsel den bösen Fehler beging, die Handtücher zu entfernen.
Was soll ich sagen? Die Schwester zuckte nur genervt mit den Schultern, übergab mir den kleinen Randalierer und meinte: »Na, Ihrer scheint mir aber ein rechter Einzelgänger zu werden! Ich denke, es ist jetzt genug mit dem Sonnen. Sie dürfen ihn morgen mit nach Hause nehmen.«
Dem Tonfall nach zu schließen, hätte sie wohl lieber gesagt: »Da, nimm dein sozialunverträgliches Bündel mit und verschwinde!«
So oder ähnlich beginnt es, das sonderbare Leben eines echten Einzelgängers.
Kleinkind mal anders
Das erste Betreten eines Kindergartens ist wohl für so ziemlich alle Kleinkinder ein wahnsinnig aufregendes Ereignis. Lauter neue Eindrücke, die vielen Kinder und dazu bergeweise unbekanntes Spielzeug – da ist man schnell überfordert.
Die empfindlicheren unter den Kindern klammern sich da schon mal hartnäckig ans Bein der Mutter und weigern sich, auch nur einen zweiten Blick auf die Szenerie zu riskieren. Der Auslöser hierfür ist wohl eine diffuse Angst vor dem Unbekannten. »Was ist, wenn Mama mich hier alleine lässt? Hilfe …!«
Auf den ersten Blick könnte man also glauben, Einzelgänger-Kinder würden sich von anderen Altersgenossen nicht wesentlich unterscheiden. Auch sie weigern sich beharrlich, unbefangen in die Spiel-Gruppe hineinzugehen. Nur eben aus einer vollkommen anderen Motivation heraus.
Je mehr die Mutter betont, wie schön und toll es doch hier sei – »Und schau mal, die vielen Kinder!« – desto skeptischer gerät sein Blick.
Was soll an der Gesellschaft von vielen Kindern schön sein? Es ist laut, und andauernd wird man beim ruhigen Spielen gestört! Nein, danke! Der Miniatur-Einzelgänger hat in atemberaubender Geschwindigkeit analysiert, dass so ein öder Kindergarten für ihn nichts ist, und auch niemals sein wird. Basta.
Nachdem der Delinquent mit viel Geduld, Tränen und Protest schließlich zum ersten Mal im Kindergarten abgeliefert werden konnte, gibt es mitnichten Grund zur Entwarnung. Von Anfang an wird er immer ein wenig abseits stehen, muss zum Mitmachen erst mühevoll animiert werden. Egal, worum es gerade geht.
Falls man großes Glück hat, findet der angehende Eremit einen ähnlich strukturierten Leidensgenossen. Dann hängt er praktisch nur noch mit diesem zusammen, wobei aber meist jeder für sich alleine spielt. Gelegentlich kann man sich kurzzeitig auf etwas Gemeinsames einlassen; aber eigentlich nur dann, wenn für ein bestimmtes Spiel zwingend zwei Personen vonnöten sind.
Wann immer ich meinen Sohn vom Kindergarten abholen wollte, musste ich ihn zuerst suchen gehen. Den täglichen Standard-Spruch der Kindergärtnerin kannte ich schon zur Genüge:
»Also, wo der Patti sich gerade aufhält, das weiß ich nicht! Keine Angst, ich bin sicher, dass er sich noch auf dem Gelände befindet. Vorhin war er da hinten im Gebüsch. Aber jetzt?« Suchend blickte sie sich um, zuckte ratlos mit den Schultern.
Meistens, und das ist jetzt keine Übertreibung, fand ich meinen Sohn tatsächlich separat auf irgendeinem Baum, im Gebüsch oder in der Kuschelecke, welche eigentlich bloß zum Schlafen gedacht war. Dort spielte er friedlich vor sich hin und wirkte in seine eigene Welt versunken.
Dennoch hatte er sich nach einiger Zeit endlich mit einem Jungen angefreundet – falls man das überhaupt so nennen darf! Doch fand dieser anscheinend viel weniger extreme Bub manchmal nicht die ausgewogene Mischung aus Nähe und notwendiger Distanz, auf die Einzelgänger so großen Wert legen. Was dazu führte, dass es ab und an erbitterte Raufereien gab. »Ich weiß auch nicht!«, gab die Kindergarten-Tante ratlos zu. »Ihr Sohn ist nicht aggressiv, überhaupt nicht! Aber er ist häufig in Konflikte verwickelt, ohne jemals mit der Streiterei angefangen zu haben.«
Da hat sie vollkommen richtig beobachtet. Lässt man einen Einzelgänger trotz mehrerer Appelle nicht in Frieden, dann wird er sauer. Ist man nicht geübt darin, die ersten Anzeichen zu deuten, kann man diese allzu leicht übersehen. Dann trifft einen der scheinbar jäh auflodernde Zorn völlig unerwartet. Insofern verwunderte mich die Beobachtung der Erzieherin nicht im Geringsten.
Von gelegentlichen Unebenheiten im zwischenmenschlichen Umgang abgesehen, sind Einzelgänger-Kinder für Erzieher und Lehrer aber ein Traum. Man hört und sieht sie nicht, weil sie sich stundenlang alleine beschäftigen können.
Anleitung und Support sind eher unerwünscht, selten wollen oder brauchen sie etwas von Dritten. Aber wenn doch, dann erwarten sie wie selbstverständlich, dass ihre Umwelt ihnen den jeweiligen Wunsch oder das Bedürfnis möglichst von den Augen abliest. Ein Anliegen selber zum Ausdruck bringen zu müssen, das erscheint dem Einzelgänger als unangemessene Belästigung. Da schließt er gern von sich auf andere.
Ebenso ungern lassen Einzelgänger sich allerdings in ihre Rituale oder Gewohnheiten hinein reden. Sie neigen eher dazu, sich im Falle von Unstimmigkeiten einfach vom Schauplatz des Geschehens zu entfernen. Schon weil sie äußerst harmoniesüchtig sind. Danach machen sie einfach im selben Stil weiter, als hätte nie jemand etwas kritisiert.
Klar – wer sich die meiste Zeit über mit sich selber beschäftigt, wird selten Uneinigkeit ausgesetzt sein. Er lernt als Folge davon kaum, mit Konflikten adäquat umzugehen. Meist wird die Flucht nach vorne gewählt, um sich aufkeimenden Streitereien schon im Ansatz zu entziehen.
Viel zu anstrengend, sich mit jemandem auseinandersetzen zu müssen!
Alle Einzelgänger, die ich kenne, sind relativ ordentlich. Auch die ganz jungen Exemplare. Nicht im üblichen Sinne freilich, was ja eine penibel aufgeräumte Spielecke bedeuten würde.
Nein – auch der Ordnungssinn gestaltet sich individuell, folgt ganz eigenen Regeln. Wenn der Bagger vom grabungsbegeisterten Einzelgänger eben einer bestimmten Ecke des Raumes zugeordnet wurde, dann hat er gefälligst immer dort zu stehen!
Änderungen in diesem Schema wertet der Einzelgänger als Akt der Aggression, und sei er noch so klein. Er fühlt sich sofort unverstanden und gleichzeitig ziemlich einsam, weil offensichtlich keiner seinen ausgefeilten Gedankengang zu teilen scheint. Der Bagger hat schließlich aus von ihm erdachten Gründen dort zu stehen! Wie kann man es wagen, an der Richtigkeit zu zweifeln?
»Die sind alle doof, die mag ich nicht!«, so lautet die pragmatische Erklärung nach solchen Missverständnissen. Und die lässt sich praktischerweise universell auf so ziemlich alles anwenden. Sogar lebenslang, auch wenn die Formulierung später altersgemäß angepasst wird. Doch dazu später mehr!
Die logische Schlussfolgerung für Eltern wäre aufgrund dieser Erkenntnisse, dass man dem extraordinären Spross zu seinem eigenen Vorteil dann eben gezielt beibringen müsse, künftig etwas geselliger zu werden. Damit er sich nach und nach darin übt, mit anderen Kindern klar zu kommen.
Auch mir dämmerte frühzeitig, dass es meine Kinder im Leben nicht gerade sehr leicht haben werden – man ist schließlich zwangsläufig immer wieder anderen Menschen ausgesetzt, muss sich mit ihnen arrangieren. Also wollte ich die sozialen Kontakte meines Sohnes absichtlich ein bisschen ausweiten, indem ich ab und zu Nachbarskinder zu uns einlud.
Mir war gleich sonnenklar, dass ich hierfür jede Menge Geduld und Fingerspitzengefühl benötigen würde. Also weihte ich die Mütter infrage kommender Kinder heimlich in meine Absichten ein. Ich erfand für die Anwesenheit der Sprösslinge in unserem Haus sogar fantasievolle Geschichten und Vorwände, so als plante ich keinen harmlosen Spiel-Nachmittag, sondern eher ein Attentat.
»Patti! Guck doch mal, wer gekommen ist! Die Mama von Niklas musste zum Arzt und hat ihn derweil hier bei uns abgegeben! Spielt schön, sie holt ihn nachher gleich wieder ab!«
Mit diesen Worten schob ich besagten Niki ins Kinderzimmer, wo mich ein vorwurfsvoller,