Die Schwedin hat ihr Getränk nicht angerührt. Sie spricht dich an. »So etwas zeigt man hier also seinen Geschäftspartnern?«
Sie sieht dich mit ihren seentiefen braunen Augen an, und du murmelst etwas vom Dienst am Kunden.
»Aber macht das Spaß, macht es dir Spaß?«, fragt sie.
An Spaß denkst du gerade nicht. Im Moment denkst du nur an dein Bett, in dem du seit Monaten keine acht Stunden am Stück mehr verbracht hast.
Aber du denkst auch – gib es nur zu –, dass Elsa Norling eine wirklich sehr gut aussehende Frau ist. Älter, ja, aber das hat dir ja schon immer gefallen. Mit einem Mutterkomplex hat das nichts zu tun, und Elsa Norling hat ja auch nichts Mütterliches an sich, mit ihrer tief ausgeschnittenen Bluse unter dem eleganten Hosenanzug, der wahrscheinlich mehr gekostet hat, als du in einem Monat verdienst.
Und das ist nicht alles.
Es ist die Art, wie sie dich ansieht. Es ist die Art, wie sie dir echte Fragen stellt.
Sie gibt dir das Gefühl, dass sie dich wirklich sieht.
Du nickst. »Ja«, sagst du. »Ja, das macht Spaß.« Es ist wichtig, dass man immer Spaß hat.
»Na gut«, sagt sie. »Na gut. Ich mag das Getränk hier nicht, ich nehme ein Bier. Hättest du auch gern ein Bier?«
Du nickst, ja bitte. Elsa winkt mit der Hand einen Kellner heran. Ihre Nägel sind unlackiert und kurz. Du fragst dich, wie sich diese breiten, dicken Finger auf deinem Gesicht anfühlen würden. Auf deiner Brust. Auf deinem …
»Und jetzt«, dröhnt es aus dem Lautsprecher. »Er ist der Gott des Donners, und er hat den Hammer, um das zu beweisen! Ladys, Applaus für THOR!«
Wieder ein ohrenbetäubendes einstimmiges Johlen. Die Ladys versammeln sich vor der Bühne, und Thor, kräftiger als Loki, tritt auf, das lange blonde Haar peitscht ihm um die Brustwarzen. Mit schwingendem Hammer geht er auf Loki los. Die beiden ringen miteinander.
»Knutscht euch!«, brüllt eine Frau mittleren Alters. Vor Aufregung fällt ihr fast das »Flaming Longboat« aus der Hand.
Andere Ladys stimmen ein. Thor, der auf Loki liegt, grinst und beginnt, ihn mit Küssen zu überziehen, sabbernd und schlabbernd, ganz große Show. Loki muss sich sichtlich das Lachen verkneifen.
Die Ladys sind begeistert.
Auf dem Schild an der Tür zum Männer-WC steht »Walhalla«.
Du betrittst Walhalla, setzt dich auf die Toilette und weinst ein bisschen.
In der Kabine nebenan versucht jemand vergeblich, still zu sein, während seine Partnerin Geräusche von sich gibt, die nach einem Massaker im Viehstall klingen. Du wischst dir die Tränen mit dem Ärmel weg. Was bist du bescheuert. Die laufende Nase hat schleimige Schneckenspuren auf dem Ärmel hinterlassen. Genug. Stell dich nicht so an. Du gehst aus der
Kabine und wäschst dir das Gesicht.
Am Waschbecken nebenan trinkt ein untersetzter Junge mit geröteten Augen und einer Wolke aus dunklen Locken aus der hohlen Hand. Er schlürft das Wasser wie ein Tier, und einzelne Tröpfchen verfangen sich in den Haaren auf seiner Brust.
»Hey«, sagt er. Er stützt sich gegen das Waschbecken. »Hey, alles okay?«
»Alles gut«, sagst du schniefend.
»Nein, nichts ist gut«, sagt der Knabe. »Okay? Fick die Lady.« Er legt dir die Hände auf die Schultern und will dir tief in die Augen sehen, aber der Fokus ist leicht verschoben, und sein Blick ruht auf deinem Ohr. »Fick die Lady. Ehrlich, egal, wer sie ist, fick sie. Sie ist es nicht wert.«
»Jepp!«, kommt eine Stimme aus der nächstliegenden Kabine. »Fick sie!«
Eine Frau kichert, und der Stalllärm geht wieder los.
»Komm mal her, Bro«, sagt der stämmige Typ. Er legt seinen Arm um dich. Es ist einfacher, sich nicht zu wehren. »Fick sie, okay? Isses nicht wert«, murmelt er. Ihr geratet ins Schwanken. Der Knabe riecht nach Schweiß, Sex, Zigaretten und Vanille. Eine geradezu beruhigende Mischung.
Zu deiner Überraschung wartet vor der Tür Elsa auf dich.
Oh Gott. Sie kann sehen, dass du durcheinander bist.
»Es macht dir keinen Spaß«, sagt sie.
»Alles in Ordnung«, behauptest du.
»Nein«, sagt sie, »dir geht es nicht gut, und mir geht es auch nicht gut. Das ist ekelhaft. In Schweden hat so etwas im Geschäftsleben nichts zu suchen. Es ist nicht richtig, Männer so zu behandeln.« Sie deutet auf die Bühne.
Loki wirft gerade den letzten Fetzen seines grünen Lamé-Umhangs in die Menge.
»Ich fahre jetzt in mein Hotel zurück. Die mit der großen Frisur, die kümmert sich um die Rechnung.« Sie meint Jade, und es ist keine Frage. »Kann ich dich wo absetzen?«
Die Lautsprecheranlage kreischt. »Und jetzt!«, ruft der Moderator, der sich schon ziemlich betrunken anhört. »Unsere letzte Nummer! Eine sexy Szene aus der skandinavischen Geschichte!« Elsa verdreht die Augen.
Drei dürftig bekleidete Kämpfer marschieren auf die Bühne, gefolgt von einem Kerl mit Federschmuck auf dem Kopf, der über der rotbraunen Körperbemalung kaum Stoff am Leib hat.
»Machen Sie sich bereit, Ladys«, sagt der Moderator. »Die Wikinger entdecken Amerika!«
Das war’s. Du bist am Ende.
»Gehen wir«, sagt Elsa bestimmt.
Im Taxi ist es kühl und still. Elsa schweigt. Ihr Hotel liegt auf dem Weg zu deiner Wohnung, und sie hat dem Fahrer aufgetragen, dich nach Hause zu bringen. Im Autoradio berichtet ein Mann mit weichem walisischen Akzent vom Krieg in der Ukraine.
»Das ist nicht recht«, sagt Elsa schließlich. »Diese jungen Männer – in Schweden würden wir sagen, sie sind wie Sklaven. Wie kann man über so etwas lachen?«
»Ich …«, beginnst du und hältst inne.
Wie sollst du es ihr sagen, dieser mächtigen älteren Frau? Wie kannst du es ihr sagen, ohne dass es naiv klingt, ohne dass sie noch mehr Mitleid mit dir bekommt? Dass du auch da gearbeitet hast. Dass du jung warst und dass du arm warst, dass du aber kein Sklave warst. Dass du auch Macht hattest, auf deine Art, vorübergehend. Es war nicht viel Macht, aber es war deine. Und ja – manchmal hat es Spaß gemacht.
Elsa seufzt. Dann schiebt sie die Hand über den glatten Ledersitz und legt sie auf deine.
Jeder einzelne Muskel deines Körpers wird steif.
Elsa sieht aus dem Fenster in die andere Richtung. Im Licht der Straßenlaternen leuchtet die schöne Silhouette ihrer Stirn natriumorange. Sie sieht sehr müde aus und sehr mächtig. Am liebsten würdest du sie küssen. Du möchtest nicht, dass sie dich küsst. Am liebsten würdest du schreien.
Du rührst deine Hand nicht vom Fleck.
Blue Monday
»Frauen und Katzen tun, was sie wollen.«
Robert A. Heinlein
Früher wollte ich die Welt retten. Jetzt will ich nur meine Katze wiederhaben.
Mit diesen Gedanken checke ich um sieben in der Firma ein. Der Himmel über dem Parkplatz ist schon dunkel, als ich meinen Dienstausweis durchziehe. Bei den Arbeitszeiten bekommt man von der Sonne nicht viel zu sehen.
Ich stiefele durch die Sicherheitskontrolle zur Monitorwand, an der die Tagschicht auf Ablösung wartet, Simon oder Steve, oder vielleicht ist es auch Stuart. Mit dem schwarzen T-Shirt und dem zotteligen Bart sehen sie für mich alle gleich aus. Wär schön, ich