Seine Mittel hatten kaum gereicht, um über den Monat zu kommen – schließlich gab es für Indies keine bequemen Versicherungen für jeden schiefsitzenden Furz wie für den Schwarm. Außerdem brauchte Wolf schnelle Creds, damit er sich für Babes blöde Idee ausrüsten konnte: Schutzkleidung, Schmiergeld, Heilmittel und -zauber. Geld zu leihen war für Wolf beinahe gleichbedeutend mit Versklavung – er verabscheute Abhängigkeiten wie andere Geschlechtskrankheiten.
Also blieb nur eine Möglichkeit: sich von gelangweilten, abgestumpften Schwärmern die Schnauze polieren zu lassen.
Das befriedigende Gefühl, jemanden windelweich zu dreschen, der strahlende Held des Abends zu sein, sich rabiat zu widersetzen oder eine vermeintliche Gefahr zu besiegen – ganz real und nicht nur digital – zog manchen Leuten ordentlich Creds aus den Taschen. In der sicheren Umgebung des Schwarms war echter, gefährlicher Nervenkitzel selten. Die Legalisierung von zwischenmenschlich problematischen Handlungsweisen – so wurde es gern genannt – sorgte nicht nur für eine kontrollierbare Fokussierung, sondern auch für einen äußerst lukrativen Markt.
Nur wenige Kunden waren wirklich stark. Also musste sich Wolf zurückhalten – nicht zu auffällig, damit die Illusion aufrechterhalten werden konnte. Manche waren jedoch cybermagisch ziemlich gut aufgestellt und prügelten Wolf regelrecht den Saft aus den Knochen. Nur der schwammige Vertrag, mit dem Betreiber dieser illegalen Kampfarena, rettete ihm dann knapp das Leben.
Wolf presste fest die Lider zusammen, hielt die Luft an und stemmte sich nach oben. Glücklicherweise gab ihm die Wand im Rücken Halt. Schwindel erfasste ihn und wollte seinen Körper erneut zu Boden drücken. Er atmete kontrolliert ein und aus, um den Kopf klar zu bekommen. Nachdem er die Augen geöffnet und die Welt davor zu schaukeln aufgehört hatte, tastete er sich an der Wand entlang zu den Duschen.
Dort angekommen, holte er seinen Kram aus dem Spind und zog ein schmales Glasröhrchen hervor. Nachdem er es geöffnet und mit dem Finger eine ordentliche Menge des transparenten Gels herausgefischt hatte, zog er damit eine Linie von Bauchnabel bis zwischen die Augenbrauen. Die Schmerzen ließen augenblicklich nach.
»Gelika hat echt mit Abstand das beste Zeug«, stellte er anerkennend fest und packte das Medikament wieder weg.
Während Wolf noch etwas wackelig umher tapste, pellte er die dreckige Hose von seinem Körper. Schließlich betrat er eine der engen Duschkabinen.
Über die vor Kalk blinde Holo-Konsole stellte er zuerst auf Desinfektion. Mit hohem Druck zischte das Mittel in die Kabine, durchtränkte eiskalt sein Fell und ließ ihn erschaudern. Wolf stupste mehrfach gegen seinen Nasenring, um den beißenden Geruch irgendwie ertragen zu können.
Als die Anzeige signalisierte, dass der Vorgang abgeschlossen war, schaltete Wolf auf Duschen. Als das klare Nass heiß auf ihn herab prasselte, stöhnte Wolf genießerisch auf. Er reckte seinen Kopf nach oben, schloss die Augen und ließ regungslos das Wasser an seinem Körper hinablaufen. Seine gequälten Muskeln begannen sich zu entspannten.
»Wieder fit?«, schnitt eine Stimme durch Wolfs kostbaren Moment der Ruhe.
Sie gehörte Jax, dem Mittelsmann zwischen Arena, Kunden und Kämpfern – allerdings war Opfer vielleicht zutreffender. Wolf sah sich leider genötigt zu reagieren, schließlich wollte er eine Bezahlung. Er stoppte das Wasser und brummte bestätigend.
»War eine gute Show«, lobte Jax ihn mit emotionsloser Stimme. Wolfs Ohren drehten sich in seine Richtung und lauschten den wiegenden Schritten vor der Kabine. »Du bist selten hier, das steigert deinen Preis. Dennoch solltest du erwägen mehr Shows anzubieten, schließlich ist es viel aufregender eine wilde Bestie zu schlachten, statt nur einen schnöden Menschen zu verprügeln.«
»Mal sehen«, murmelte Wolf, griff sich in den Nacken und schämte sich plötzlich für das, was er über sich hatte ergehen lassen. »Ist jetzt nicht mein Lieblingsjob.«
Erst der Hunger vermochte seinen Stolz soweit zu bändigen, dass er sich auf diese Arbeit einließ. Freiheit wollte ständig verteidigt werden, denn die volle Eigenverantwortung für jeden einzelnen Moment kann schwer auf den Schultern lasten.
Die Kabinentür öffnete sich hinter ihm und der kühle Lufthauch stellte sein Fell auf. Wolf blickte über die Schulter und sah Jax in lässiger Haltung die Tür offenhalten. Er war schlank, glatzköpfig und trug einen langen Mantel aus hauchdünnen Metallfasern. Ziemlich schwer und das ständige Geklimper nervte – absolut unpraktisch, aber mit einer Menge Style für das Publikum. Jax musterte Wolfs triefend nassen Körper abschätzig, während er mit einer Credkarte gegen sein Kinn tippte.
»Verständlich. Du könntest auch deinen Preis anderweitig in die Höhe treiben. Ein guter Anfang wäre, eine viel knappere Hose zu tragen. Manche der Zuschauer mögen es, wenn der Ausblick beim Kampf auch anderweitig stimulierend ist«, erklärte er schulterzuckend und schnippte sich ein imaginäres Staubkorn von der Brust. »Triebhaft und animalisch – du verstehst?«
Wolf starrte ihn völlig verdattert mit offenem Maul an. Die abgewetzte Hose war schon so kurz, dass sie beinahe als Unterwäsche durchgehen konnte. Er wollte damit wilder wirken, damit sich die Kunden beim Sieg überlegen fühlten, dass es jedoch jemand sexuell anziehend finden könnte, war ihm nie in den Sinn gekommen.
Die Scham schlug um in blanken Zorn. Er wirbelte herum, stemmte seine Pranken in die Seiten der Kabine und brüllte Jax lauthals an. Der riss die Hände schützend nach oben, stolperte rückwärts und landete auf seinem Allerwertesten.
»Schon gut, schon gut«, fiepte der Kerl. »Ich wollte doch nur…«
»Raus«, schrie Wolf, riss ihm die Geldkarte aus den Fingern und widerstand dem Drang, Jax einen Kinnhaken zu verpassen.
Halt dich zurück, ermahnte sich Wolf und spannte alle seine Muskeln an, damit er sich nicht weiter vom Fleck rührte. Ärger mit der Arena kannst du nicht gebrauchen.
Energisch nickend krabbelte Jax rückwärts zur Tür und rannte dann hinaus. Wolf blieb zähnefletschend zurück. Sein Rückenfell hatte sich aufgestellt, dampfte und ließ ihn wie ein dämonisches Wesen wirken. Seine Hände waren so fest zu Fäusten geballt, dass sich seine Krallen schmerzhaft in die Handflächen bohrten.
Ganz langsam hob er eine Pranke. Er hielt sie vor sein Gesicht und starrte sie an. Sein Kinn schob er nach vorn und … schnippte heftig gegen seinen Nasenring.
Der dumpfe Schmerz durchzuckte sein empfindliches Sinnesorgan und trieb ihm die Tränen in die Augen. Er blinzelte ein paar Mal, schließlich klärte sich sein Geist. Sein Körper entspannte sich und Wolf legte tief durchatmend seine Pranke über seine Augen. Er seufzte.
Ich bin in letzter Zeit viel zu leicht reizbar, stellte er fest. Der Wolf in mir will seine Instinkte und Triebe ausdrücken. Dabei kann ich nicht einmal meine eigenen Wünsche ausleben.
Vielleicht hatte Babe recht? Vielleicht konnte er im Forschungszentrum des Schwarms mehr herausfinden? Vielleicht konnten ihm die Wandler dabei helfen, besser mit seinem geteilten Selbst klarzukommen?
»Hmm. Schmächtiger, als ich dachte. Obwohl die Definitionen durch das nasse Fell ganz gut erkennbar sind. Vermutlich gute Ausdauer und passabler Kämpfer«, hörte er plötzlich jemanden sagen.
Was denn jetzt schon wieder, fragte er sich genervt und linste zaghaft zwischen seinen Fingern hindurch.
Er sah vor sich eine hochgewachsene Frau – oder war es ein Mann? Der asymmetrische, schwarze Anzug gewährte den Blick auf Oberarme und die Körperseiten. Der raffinierte Schnitt kam ohne transparente Stoffe aus und hielt die strenge Form trotz der Öffnungen aufrecht. Die braunen, schulterlangen Haare waren streng auf eine Seite gekämmt. Zierliche Metallspangen hielten sie in Form. Das Gesicht war so rund wie die Monde am Himmel, doch ein Make-up aus cyanfarbenen Schattierungen und violetten, senkrechten Linien gaben ihm eine bizarre Art von Würde – und verwischten die Grenze zwischen männlich und weiblich noch mehr.
Erst jetzt bemerkte er, dass der Besucher nach unten schaute. Er folgte dem Blick – geradewegs unterhalb seines Bauchnabels.
»Männlicher