Von Versailles bis Potsdam. André François-Poncet. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: André François-Poncet
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783958902879
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also das Blut einer Schlacht sparen, da man auch so das gleiche Ergebnis erzielte. So urteilte Marschall Foch, als er in Senlis zu Clemenceau sagte: »Den Kampf noch länger weiterzuführen hieße viel aufs Spiel setzen. Wir würden vielleicht 50 000 oder 100 000 Franzosen mehr opfern, ohne die Verluste der Alliierten mitzurechnen, um recht fragwürdige Ergebnisse zu erzielen. Das müsste ich mir mein Leben lang vorwerfen. Es ist leider schon viel Blut vergossen worden. Das genügt!«

      Diese Worte gereichen den menschlichen Gefühlen des Mannes zur Ehre, der sie gesprochen hat. Die Tatsache aber, dass Deutschland mit Ausnahme des Rheinlandes nicht von fremden Heeren besetzt wurde und die Hauptstadt Berlin keine alliierten Garnisonen in ihren Mauern sah, trug dazu bei, die für den nationalen Stolz so schmeichelhafte Fabel glaubhaft zu machen, wonach das deutsche Heer nicht militärisch besiegt worden und es seinen Führern gelungen sei, den Feind am Betreten des vaterländischen Bodens zu hindern. Dieselbe Missachtung der Wahrheit findet sich in der gegen die Sozialisten, die Männer der Linken und die Juden erhobenen Anklage, dem Vaterland durch Entfesseln einer revolutionären Bewegung einen Dolchstoß in den Rücken versetzt und hierdurch die militärische Kapitulation unvermeidlich gemacht zu haben. Gewiss hat es im November 1918 in Deutschland eine revolutionäre Erhebung gegeben, der noch zwei oder drei weitere von ungleichem Umfang folgten. Aber der erste dieser Aufstandsversuche brach am 30. Oktober aus. Und wir haben soeben festgestellt, dass seit dem 1. Oktober die vor der Niederlage stehende militärische Führung unaufhörlich einen Waffenstillstand forderte und entschlossen war, ihn unter jeder Bedingung anzunehmen. Sodann wurde das Signal zur Revolte nicht von den Zivilisten, auch nicht von den politischen Parteien gegeben. Vielmehr waren es Soldaten, Matrosen der Hochseeflotte auf Schillig-Reede, die auf den Linienschiffen meuterten, um ihre Offiziere zu hindern, sie zur letzten Seeschlacht gegen England zu führen, die von den Admiralen beschlossen worden war. Nicht die Zivilisten haben die Militärs verführt. Es waren vielmehr die Militärs, die die Zivilisten von ihrer Pflicht abwendig machten. Die deutsche Revolution Anfang November 1918 ist dem Entschluss der obersten Heeresleitung zur Beendigung des Krieges um jeden Preis nicht vorausgegangen, sondern gefolgt. Der Generalstab und die ihm nahestehenden Kreise haben einfach und zynisch die Verantwortlichkeit verschoben, indem sie die Reihenfolge beider Erscheinungen vertauschten und aus der zweiten den Vorläufer und die direkte Ursache der ersten machten. So wälzten sie die Last der Missbilligung, die ihre eigenen Schultern zu bedrücken drohte, auf andere ab. Die hartnäckig und schamlos verbreitete Dolchstoßlegende wird zu einer der wirksamsten Waffen, mit denen – besonders durch Hitlers Leute – die Sozialdemokraten und die deutschen Liberalen bekämpft und diskreditiert werden.

      Von den Panzerschiffen der Flotte geht die Revolution auf das Land über, erobert die Häfen, Wilhelmshaven, Kiel, Hamburg, Bremen, in den ersten Novembertagen. Sie lässt Banden entstehen, in denen sich Matrosen, Etappensoldaten, Rekruten aus den Depots, Arbeiter, russische Agitatoren und niedere Elemente mischen. Diese bunt zusammengesetzten, mit Gewehren und Handgranaten bewaffneten Banden nehmen die Eisenbahnzüge im Sturm und ergießen sich in die großen deutschen Städte, Köln, Halle, Dresden. Frankfurt, München und Berlin. Überall, wohin sie den Funken tragen, flammt die Feuersbrunst auf. Überall bilden sie in Nachahmung der russischen Revolution, die lebhaft in den Gemütern gezündet hat, Arbeiter- und Soldatenräte, die sich der örtlichen Gewalt bemächtigen. In wenigen Tagen sind es Zehntausend in ganz Deutschland, von sehr verschiedener Art. Die einen kennen eine Rangordnung, achten die alte Autorität und die Befehlsgewalt und sind gemäßigt in ihren Forderungen. Die anderen sind erhitzt, heftig, Rebellen gegen die alte Disziplin und wirklich revolutionär.

      In den Staaten, in denen der Aufstand seine Herrschaft durchsetzt, im Rheinland, im Ruhrgebiet, in Sachsen, Hessen und Bayern, nimmt er ohne Weiteres einen partikularistischen, in Bayern einen offen separatistischen Charakter an. Er vollzieht sich unter dem Zeichen des Misstrauens und des Grolls gegen Preußen. Er gibt seinen Willen kund, sich von der Berliner Vormundschaft zu befreien. Diese Tatsache scheint von den Alliierten nicht genügend beachtet worden zu sein, oder man hat ihr im Augenblick nicht die Bedeutung beigemessen, die sie verdiente. Aber in Deutschland hat man sich darüber keiner Täuschung hingegeben. Die Gegner der Revolution begriffen sofort, dass diese die Einheit des Reichs gefährdete, und das war einer der Gründe, weshalb sie sie schonungslos bekämpften. Diese Tatsache muss nachdrücklich hervorgehoben werden. Sie sollte die Männer erleuchten, welche die Aufgabe haben, Deutschland eine neue Verfassung zu geben. Jedenfalls liefert sie, nach unserer Meinung, die Erklärung für das, was man als einen Irrtum der Verfasser des Vertrages von Versailles ansehen kann, einen Irrtum, von dem wir wünschen, er möchte nicht mehr wiederholt werden.

      Die Haltung der Revolutionäre vom November 1918 ist übrigens, wie häufig in Deutschland, widerspruchsvoll. Sie wollen sich von Berlin emanzipieren und daheim die Revolution auf ihre eigene Art machen. Gleichzeitig entsenden die Arbeiter- und Soldatenräte jedoch Delegierte in die Reichshauptstadt, um dort nach dem Rechten zu sehen, sodass Berlin trotzdem Schauplatz der entscheidenden Vorgänge bleibt.

      Die Novemberrevolution war ein anarchischer und stürmischer Ausbruch. Sie ist von den grundsätzlich revolutionären politischen Parteien weder vorbereitet noch ausgelöst worden. Diese wurden im Gegenteil von ihr überrascht. Gleichwohl ist es ihnen und ihren Führern, die im Reichstag die Linke bilden, nicht möglich, abseits zu stehen. Sie schließen sich deshalb der Bewegung an und bemühen sich, ihre Leitung zu übernehmen.

      Aber diese Parteien und ihre Führer sind in sich selbst gespalten. Seit 1917 hat sich die Sozialdemokratie in zwei Gruppen geteilt: die Mehrheitssozialisten und die »unabhängigen« Sozialisten; und diesen stehen auf der Linken die Spartakisten zur Seite.

      Der Mehrheitssozialismus hat seit langer Zeit aufgehört, eine Revolutionspartei zu sein. Er entspricht ungefähr dem Radikalsozialismus in Frankreich. Er stimmte allen Maßnahmen der Kriegspolitik zu. Er begnügte sich damit, zusammen mit den Gewerkschaften das materielle Dasein der Arbeiter zu schützen, und ging rein politischen Auseinandersetzungen aus dem Wege. Er dachte weder an die Revolution noch an die Formen, die sie annehmen könnte. Die Sozialdemokratie erstrebt keine republikanische Staatsform. Was sie wünscht, ist die legale Umwandlung des kaiserlichen autokratischen Regimes in eine volkstümliche parlamentarische Regierung. Die Politik des Prinzen Max von Baden, eines liberalen Geistes, der, wie erwartet, Anfang Oktober 1918 zum Reichskanzler ernannt wird und seine Reformen (u.a. Verantwortlichkeit des Reichskanzlers vor der Volksvertretung, allgemeines Wahlrecht in Preußen, Unterordnung der militärischen unter die zivile Autorität) scheinen ihr ausreichende Errungenschaften zu sein. Sie ist keine Anhängerin eines überstürzten sozialistischen Aufbaus. Sie glaubt, dass diesem eine demokratische Erziehung vorausgehen müsse. Ihre Führer, Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann, Gustav Bauer, Otto Wels, Hermann Müller, sind friedliche Kleinbürger, ohne jede Erfahrung in der Regierung und in der großen Politik, durch nichts auf die Übernahme der Regierungsgewalt vorbereitet.

      Die unabhängigen Sozialisten, Hugo Haase, Wilhelm Dittmann, Arthur Crispien, Georg Ledebour, Emil Barth, Oskar Cohn, sind genauso unerfahren und ebenso unvorbereitet auf die Verantwortlichkeit in der Regierung, aber sie haben mehr Kraft, Kühnheit und revolutionäres Temperament. Sie haben die Kriegskredite verweigert und 1916, 1917 und 1918 Streiks entfacht, die allerdings schnell erstickt wurden. Sie predigen den offenen Kampf gegen die konservativen und reaktionären Elemente, den Kaiserthron und den Generalstab. Sie fordern die Ausrufung der Republik und die Sozialisierung.

      Auf ihrem linken Flügel stehen die Spartakisten, so genannt nach Spartacus, jenem Mann, der im Altertum den Sklavenaufstand gegen Rom anführte, und nach dem Titel umstürzlerischer und geheimer Flugschriften, die in Deutschland seit 1916 umliefen (Spartakusbriefe). Die von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg geführten Spartakisten bekennen sich zu Lenin und der russischen Revolution. Sie wollen sofort die Diktatur des Proletariats errichten und die Arbeiter- und Soldatenräte den Sowjets angleichen. Überdies bezeichnen sie sich bald offen als Kommunisten.

      Die Kräfte dieser drei Gruppen sind ungleich. Die Mehrheitssozialisten haben die gemäßigten Elemente der Arbeiterschaft auf ihrer Seite, das heißt die Mehrheit. Die Unabhängigen sind ihnen an Zahl unterlegen, bilden aber eine wagemutigere Minderheit. Die an Zahl noch geringeren Spartakisten haben mehr Einfluss auf aufrührerische Elemente, auf die Straße, und sie zählen in ihren Reihen Emissäre aus dem bolschewistischen Russland.