b) Auslegungsziel
Bei der Auslegung von Gesetzen werden hinsichtlich ihrer Art bzw. des Ziels in der Regel zwei verschiedene Richtungen verfolgt: Die subjektive Theorie stellt allein auf den historischen Willen des Gesetzgebers zur Zeit des Erlasses des Gesetzes ab.225 Dagegen bezieht sich die objektive Theorie auf die Umstände der Gegenwart sowie den gesetzesimmanenten Sinn und ermöglicht damit, auf geänderte Verhältnisse, wie technische Entwicklungen, veränderte Wertvorstellungen oder die Entwicklung der Rechtsordnung, mit einer Anpassung reagieren zu können.226 Bei einem eindeutigen Wandel der Situation, die sich der Gesetzgeber ursprünglich für die gesetzliche Regelung vorgestellt hat, ist eine genaue Prüfung des objektivierten Willens für die Frage der weiteren Anwendung der Vorschrift auf die neuen Begebenheiten notwendig, allein der Wille des Gesetzgebers bei Erlass des Gesetzes wäre zu rasch überholt.227 Zugleich darf aber auch der historische Wille des Gesetzgebers, der sich nicht nur in dem Gesetz, sondern vor allem auch in sämtlichen dazugehörigen Erkenntnisquellen und Materialien, wie Gesetzesentwürfen, Kommissionsberichten oder Ausschussberichten, zeigt, nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben.228 Vorzunehmen ist vorliegend daher eine (geltungszeitlich) objektivierte Auslegung, die sich nicht nur am realen Willen des historischen Gesetzgebers orientiert, sondern sich ebenso mit der fall- und zeitgemäßen Bedeutung auseinandersetzt.229
Ziel der vorliegend vorzunehmenden Auslegung ist es, zu erforschen, ob der Unentgeltlichkeitsgrundsatz für den Funktionswandel des Betriebsrates und die sich daraus neu entwickelten „professionalisierten“ bzw. „verberuflichten“ Betriebsräte – unter Berücksichtigung des historischen wie auch objektiven Willens des Gesetzgebers – ebenfalls uneingeschränkt gelten muss oder ob eine objektivierte Auslegung eine andere Beurteilung über den Wortlaut hinaus rechtfertigt.
2. Auslegungskanon
Für die Auslegung der Vorschrift des § 37 Abs. 1 BetrVG im Hinblick auf eine „verberuflichte Tätigkeit“ mancher Betriebsräte sind die typischen methodischen Auslegungskriterien230 heranzuziehen.
a) Auslegung nach dem Wortlaut
Die grammatikalische Auslegung nach dem Wortlaut bzw. -sinn der Vorschrift stellt den Ausgangspunkt jeder Auslegung dar.231 Diese führt hier allerdings zu keinem Resultat, weil der Wortlaut der Regelung in § 37 Abs. 1 BetrVG eindeutig ist: „Die Mitglieder des Betriebsrats führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt.“ Die Formulierung ist dahingehend klar, dass keinerlei Entgelt für das Amt gewährt werden darf und lässt diesbezüglich keinen Spielraum. Das gilt nach der deutlichen sprachlichen Fassung für alle „Mitglieder des Betriebsrats“, unabhängig von Aufwands- oder Leistungsgesichtspunkten Einzelner. Die Regelung macht keine Unterschiede weder zwischen anspruchsvolleren und einfacheren Betriebsratstätigkeiten noch zwischen verschiedenen Positionen innerhalb des Gremiums. Nach ihrer derzeitigen wörtlichen Ausgestaltung lässt die Vorschrift keine Zahlungen, auch nicht bei besonderen Umständen zu, so dass grundsätzlich auch die Fälle „professionalisierter Betriebsräte“ unter das Verbot des Entgeltes fallen.
b) Systematische Auslegung
Auch eine systematische Auslegung232 führt zu keinem anderslautenden Ergebnis. Bei dieser Auslegungsmethode ist die zu untersuchende Regelung im Gesamtzusammenhang mit der Rechtsordnung zu betrachten.233 Die Vorschrift soll nicht – auch nicht im Hinblick auf die professionellen Betriebsräte – in Widerspruch zu dem gesetzlichen System stehen. Zu berücksichtigen sind nicht nur der über die Norm hinausgehende Inhalt sowie Wertungen des Gesetzes, sondern auch der Zusammenhang mit anderen Vorschriften.234 Dazu gehören ebenso höherrangige Vorschriften, wobei insbesondere auch eine unionsrechts- bzw. richtlinien- und verfassungskonforme Auslegung vorzunehmen ist.235 Insgesamt ist bei diesem Auslegungskriterium danach zu fragen, ob das Unentgeltlichkeitsprinzip mit einer uneingeschränkten Geltung auch für „verberuflichte“ Betriebsräte in Einklang mit dem gesetzlichen System steht.
Als höherrangiges Unionsrecht ist hier die Richtlinie EU 2002/14/EG, insbesondere der Schutz der Arbeitnehmervertreter nach deren Artikel 7 heranzuziehen.
Dieser verlangt allerdings nur als Mindestschutz allgemein eine Gewährleistung der sicheren Ausübung der Aufgaben von Arbeitnehmervertretern236 und enthält keine speziellen Vorschriften für ihre Vergütung oder einen (finanziellen) Ausgleich für besondere Belastungen oder Anforderungen im Amt. Die deutschen Schutzvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes zur Entgeltbemessung von Betriebsratsmitgliedern gehen weiter als die europäischen Vorgaben und stehen diesen nicht entgegen. Darüber hinaus ergibt sich hier kein Widerspruch zu Normen, die eine Ungleichbehandlung oder Diskriminierung im Hinblick auf den Beruf zu verhindern versuchen – weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene. Zwar könnte man an eine Unvereinbarkeit denken, schließlich kann es vorkommen, dass einzelne „professionalisierte“ Mandatsträger bei strikter Anwendung des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes aufgrund ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit deutlich geringer entlohnt werden als ihre Betriebsratskollegen, die früher eine höher bezahlte Tätigkeit ausgeübt haben. Bedenken wegen Verstoßes gegen mögliche Gleichbehandlungsgebote lassen sich aber bereits mit Gerechtigkeitserwägungen ausräumen, weil eine vollständige Gleichbehandlung bei deutlich unterschiedlichen Leistungen – gerade bei professionalisierten Betriebsräten – nicht sachgerecht wäre. Eine Diskriminierung wegen der „beruflichen Herkunft“, wie sie in der Literatur bereits bezeichnet wurde,237 ist weder einer der Grundfreiheiten des Europarechts oder der Berufsfreiheit des Grundgesetzes zuzuordnen noch gehört dies zu einem der Gründe einer verbotenen Diskriminierung des AGG. Davon abgesehen ließen sich zugleich auch Argumente für eine Rechtfertigung des Unentgeltlichkeitsprinzips anführen.
Innerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes kann das Unentgeltlichkeitsprinzip im Kontext der Vorschrift des § 78 S. 2 BetrVG betrachtet werden, die allgemein jegliche Benachteiligung und Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern verbietet. Die Regelung des § 37 Abs. 1 BetrVG wird teilweise als Konkretisierung dieses generellen Verbotes angesehen.238 Unabhängig davon, wie man das Verhältnis dieser allgemeinen Norm zu den speziellen Vergütungsvorschriften bewertet,239 handelt es sich bei beiden Regelungen jedenfalls um Schutzvorschriften für Betriebsräte mit gleicher Schutzrichtung, so dass § 78 S. 2 BetrVG auch dem System zugeordnet werden kann, in dem das Unentgeltlichkeitsgebot zu betrachten ist. Allerdings lässt sich hier kein eindeutiger Widerspruch der Regelungen bei der neuen Fallgruppe feststellen. Grundsätzlich können Zahlungen für Betriebsratstätigkeit, die über das Entgeltverbot hinausgehen, auch bei gesteigerten Anforderungen im Lichte einer Begünstigung stehen. Eine strenge Anwendung des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes auch auf professionelle Betriebsräte kann wegen zu hoher Belastungen ohne entsprechenden Ausgleich aber gleichzeitig ebenso eine Benachteiligung der jeweiligen Mandatsträger darstellen.
Zuletzt ist die Vereinbarkeit des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes hinsichtlich seiner Anwendung auf „professionalisierte“ Betriebsräte in Zusammenhang mit den weiteren speziellen Vergütungsregelungen der §§ 37 und 38 BetrVG zu bewerten. Mit dem Ehrenamtsprinzip des § 37 Abs. 1 BetrVG steht das Gebot der Unentgeltlichkeit jedenfalls nicht in Widerspruch, auch wenn allein die Einstufung als Ehrenamt noch nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass hier keine Zuwendungen gewährt werden (dürfen). Meist handelt es sich dabei ohnehin um Aufwandsentschädigungen, die nicht unter das Entgeltverbot fallen – sofern sie keine (versteckte) Vergütung darstellen. Die Tatsache, dass Ehrenämter mit einer Professionalisierung und entsprechender