Je anstrengender das Gebet wird, desto leichter versäumen wir es. Und bald zeigen sich die unseligen Folgen; zwar nicht sofort, aber desto unwiderstehlicher. Die zunehmende weltliche Gesinnung, die uns mehr und mehr Gott gegenüber fremd werden lässt, führt dazu, dass wir immer weniger Dinge mit ihm zu besprechen haben. Wir entwickeln einen Geist des Widerspruchs, der ständig Vorwände und Entschuldigungen findet für die Vernachlässigung des Gebetslebens. Unser inneres Leben beginnt zu erlahmen. Der Schmerz über ein Leben in Sünde wird nicht mehr so brennend empfunden wie vorher, denn die Sünden werden Gott nicht mehr in ehrlichem Bekenntnis vorgelegt. Eine weitere Folge hiervon ist, dass unser Blick verschwommen wird und wir nicht mehr klar unterscheiden können zwischen dem, was Sünde ist und was nicht. Man kämpft wohl gegen Sünden an, aber in eben demselben Sinne wie es Weltmenschen tun; das heißt, man meidet die Sünden, die gefährliche Folgen haben, vom Standpunkt ihrer Konsequenzen aus gesehen!
Sein Ansehen als Christ möchte man aber nicht gern missen. Darum versucht man, solange es nur angeht, den weltlichen Sinn zu verbergen. Im Gespräch und auch im gemeinsamen Gebet erliegt man der Versuchung, Worte zu gebrauchen, die ohne innere Wahrheit sind. Diese leeren Worte und das ganze unechte Wesen legen sich erdrückend auf den kleinen Rest von Gebetsleben, der im Herzen übrig geblieben ist.
Alles das sind die Folgen davon, dass das Gebetsleben langsam einschläft. So geht es vielen Gläubigen.
Diese traurigen Erfahrungen in Verbindung mit dem Gebet, die ich mit vielen anderen teile, haben mir viel Veranlassung zum Nachdenken gegeben.
Einige meiner Gedanken darüber will ich hier wiedergeben.
Ich habe mich gefragt, ob nicht die meisten Schwierigkeiten beim Beten darauf beruhen, dass wir es falsch machen. Das Gebet ist ein feines und empfindliches Instrument. Es richtig zu gebrauchen, ist eine große, eine heilige Kunst. Keine menschliche Kunst reicht an die Kunst des Betens heran. Alle anderen Künste beruhen auf großen, angeborenen Fähigkeiten, erfordern umfangreiche Kenntnisse und eine Menge Geld, um die oft lange und kostspielige Ausbildung zu bestreiten. Mit der Kunst des Betens verhält es sich, Gott sei Dank, nicht so. Sie beruht weder auf großen angeborenen Fähigkeiten noch auf vielen Kenntnissen noch auf Geld. Auch der Unbegabteste, der Ungelehrteste und der Ärmste kann diese heilige Kunst ausüben. Aber auch diese Kunst stellt ihre Bedingungen. Wesentlich sind diese beiden: Übung und Ausdauer. Ohne Übung wird kein Christ ein Beter werden. Und Übung wird nicht ohne Ausdauer erlangt.
Es muss wohl für die meisten von uns nötig sein, die oben genannten traurigen und schmerzlichen Erfahrungen des Gebetslebens selbst zu machen. Sie bilden einen Teil der Übung, welche die Voraussetzung für jedes entwickelte Gebetsleben ist. Ich glaube, daher sollten wir nicht allzu düster auf diese schmerzlichen Erfahrungen blicken. Sie sind uns sicherlich nützlicher als wir ahnen. Aber sollen sie uns zum Nutzen sein, dann kommt es zuerst darauf an, dass wir wahrhaftig bleiben und nicht anfangen zu pfuschen, d. h. unser schwaches Gebetsleben zu entschuldigen und zu verteidigen. Sondern wir müssen unser Unvermögen einräumen und zugeben, dass wir hier vor einer Aufgabe stehen, die unsere Kräfte völlig übersteigt.
Sich im Gebet wie in seinem Element zu bewegen, täglich mit willigem Geist, mit Freude, mit Dank und Verehrung zu beten, ist etwas, das weit über menschlichem Vermögen und menschlichen Kräften liegt. Dazu ist täglich ein Wunder Gottes nötig. Und das Wunder besteht darin, dass wir den Geist des Gebets bekommen. Nur dieser Geist kann uns beten lehren. Durch das Wort der Schrift und den täglichen Gebrauch des Gebets gibt er uns Übung und heilige Einsicht in Leben und Gesetz des Gebets, und das erst macht uns zu wirklichen Betern. Nach und nach überzeugt er uns durch das Wort von den Fehlern, die wir beim Gebrauch des Gebets machen. Er zeigt uns, dass es diese Fehler sind, die das Beten so anstrengend für uns werden lassen. Er zeigt uns den eigentlichen Sinn des Gebets, und wie wir es brauchen sollen. Auf diese Weise bekommen wir nach und nach Übung.
Es ist genau wie bei jedem anderen Arbeitsgerät, das wir gebrauchen. Es macht uns Mühe, solange wir es auf falsche Weise gebrauchen. Und auch der Nutzen ist gering. Hierzu ein Beispiel: Ein Mensch bekommt zum ersten Mal einen Spaten in die Hand, er gebraucht ihn nach eigenem Gutdünken, setzt ihn aber verkehrt auf. Nach einer Stunde Arbeit würde er bestimmt sagen: »Das ist aber anstrengend, mit einem Spaten zu arbeiten; es ist wirklich nicht viel, was man damit ausrichten kann.« Wir würden ihm sicher gerne den Spaten aus der Hand nehmen, um ihm zu zeigen, wie er gebraucht werden muss. Und wenn er dann eine weitere Stunde damit gearbeitet hätte, würde er bestimmt sagen: »Wie leicht ist es, mit einem Spaten umzugehen, und wie viel kann man damit ausrichten!«
Alles im Leben hat seine eigene Gesetzmäßigkeit. Wo diese befolgt wird, ist das Leben gesund und stark, es lässt sich leicht führen und bringt reiche Frucht. So hat auch das Gebetsleben seine Gesetze. Missverstehen wir diese Gesetze, und gebrauchen wir das Gebet entgegen seinem Wesen und seiner Idee, dann wird es schwierig und unfruchtbar für uns. Aber erkennen wir die Gesetze, die Gott selbst dem Gebet zugrunde gelegt hat, und befolgen wir sie, dann wird unser Gebetsleben normal und gesund. Es wird Früchte bringen, die uns ständig neuer Ansporn zum Beten sind.
Dass das Gebet oft für viele von uns so anstrengend ist, kommt daher, dass es falsch gebraucht wird. Der Gewinn steht in keinem Verhältnis zu unserer Anstrengung. Hier rühren wir sicher an die Quelle der Müdigkeit, die über so vielen Betern liegt. Man sagt sich: »Was richtet mein Gebet aus? In meinem Leben geschieht nichts als Folge meines Gebets, weder im inneren noch im äußeren Leben. Aus der Schrift weiß ich, dass es ohne Gebet unmöglich ist, Christ zu sein, und darum muss ich wohl fortfahren zu beten. Aber es ist mir nicht möglich, irgendeine Wirkung des Gebets festzustellen.«
Zu dieser Zeit ist der ehrliche Beter reif für den Unterricht in der heiligen Kunst des Betens, den der Geist des Gebets so gerne geben will. Einige Fehler, die allgemein beim Beten gemacht werden und die uns der Geist durch das Wort erkennen lässt, möchte ich im Folgenden anführen.
1. Wir meinen, wir müßten Gott helfen, unser Gebet zu erfüllen.
Aber das ist niemals Gottes Meinung. Wir sollen nur beten. Gott wird die Gebetserhörung und -erfüllung allein besorgen. Dazu braucht er unsere Hilfe nicht.
Ja, wird der eine oder andere sagen, das weiß ich wohl. Ach, sei dessen nicht zu sicher! Es ist eigentümlich, wie tief dieser Gedankengang in uns steckt, dass wir Gott durch unser Gebet irgendwie Hilfe leisten, um unsere Bitte zu erfüllen. Zumindest meinen wir jedenfalls, dass wir Gott einen guten Vorschlag machen müssen, wie er sich verhalten soll. Wenn wir es auch nicht gerade sagen, denken wir doch ungefähr so: »Lieber Gott, dies ist es, worum ich dich so herzlich bitte. Ich weiß, dass es schwierig ist; aber du kannst das so oder so machen, dann bringst du es schon in Ordnung.«
Mancher wird sich vielleicht meiner Schilderung widersetzen und sagen: »Nein, so denkt kein Beter, wenn er mit Gott redet.« Aber die, die gewöhnt sind, sich selbst genau zu erforschen, werden einräumen, dass es keine Übertreibung ist. Das ist genau der Gedankengang, der unser Beten so anstrengend macht und der die dauernde Müdigkeit zum Beten verschuldet.
Ich will ein Beispiel aus dem täglichen Gebetsleben nehmen. Wir beten für zwei Menschen, sie möchten erweckt und bekehrt werden. Für den einen zu beten ist leicht, für den anderen schwer. Warum?
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