Ich legte meine Stirn an seine. »Wie hast du dich gefühlt, als sie das mit dem Kind erzählt hat?«
»Ich schäme mich so, es auszusprechen: Ich war tatsächlich erleichtert. Allerdings kann ich dir nicht sagen, wie ich reagiert hätte, wenn sie mir einfach nur gesagt hätte, dass sie schwanger ist.« Er sah mir in die Augen. »Das ganze Telefonat war so seltsam, so unwirklich. Ich habe das Gefühl, sie wollte nur herausfinden, wie ich zu ihr stehe.«
»Und wie stehst du zu ihr?«
Er zog eine traurige Grimasse. »Ohne Kind? Ohne Kind ist sie mir vollkommen egal. Nach allem, was sie abgezogen hat, kann ich einfach nicht anders. Wenn ich tatsächlich Vater geworden wäre, dann lägen die Dinge wahrscheinlich anders. Ich würde mich nicht vor der Verantwortung drücken und würde sehen wollen, wie mein Kind aufwächst. Aber so? So will ich sie eigentlich nicht sehen.«
»Eigentlich?«
»Dios mío, Cara, du kennst mich doch. Ich bringe es einfach nicht fertig, einer Frau, die gerade ihr Kind verloren hat, zu sagen, sie soll bleiben, wo der Pfeffer wächst. Ich sagte, sie könnte mich besuchen kommen.«
»Und kommt sie?«
»Sie kommt, weiß aber noch nicht wann. Ach verflucht, Cara, kann ich denn diese vermaledeite Nacht nicht einfach aus meinem Leben streichen? Ich kann dir nicht sagen warum, aber ich sehe plötzlich überall Mauern, die langsam, aber stetig auf mich zukommen. Wenn ich an Penny denke, dann habe ich das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.«
»Na super, darum hast du sie auch eingeladen, um endlich wieder richtig zu leiden.«
»Das ist nicht fair, vor allem von dir nicht. Gerade du kennst meine wahren Träume nur zu genau.«
Ertappt zog ich die Schultern hoch. »Verzeih, das war eine dumme Bemerkung. Aber auch das wirst du überstehen. Wenn sie sieht, dass es nicht die große Liebe ist, wird sie abfahren und vielleicht für immer aus deinem Leben verschwinden.«
»Daran kann ich leider nicht glauben.«
Seine Stimme klang so erstickt, dass ich sein Kinn anhob und ihm eindringlich in die Augen sah. Tränen bei meinem besten Freund gingen gar nicht.
»Mann, Carlos, ich bin doch bei dir.«
»Aber wie lange noch? Cara, du entfernst dich von mir. Ich spüre es und ich verstehe es. Du suchst nach der wahren Liebe, und ich bin es nun einmal nicht. Es ist nur, und halt mich jetzt nicht für schwach … dieses Gefühl zerreißt mir das Herz.«
»Hör auf. Hör sofort auf damit.« Ich umarmte ihn so fest ich konnte und vergrub meine Nase in seinem Haar. Als ich fühlte, dass er zitterte, griff ich in seine langen Locken und küsste ihn so, wie er mich geküsst hatte, als ich vor zwei Monaten, in dieser schrecklichen Nacht im August, zu zerbrechen drohte. Es musste ihm einfach wieder gut gehen! Ihn zu küssen und zu streicheln war selbstverständlich und fühlte sich so unglaublich gut an. Nach einer Weile spürte ich, wie er meine Brust liebkoste und dann, wie seine Finger zwischen meine Beine glitten.
»Nein, Carlos, bitte nicht. Ich weiß nicht, ob ich die Kraft habe, an meiner Entscheidung festzuhalten, wenn ich noch einmal mit dir schlafe.«
Er schüttelte leicht den Kopf. »Ich will nur, dass du glücklich bist, Cara. Ich gehe nicht zu weit, das habe ich dir versprochen.«
Meine Arme umklammerten ihn so fest, dass ich fürchtete, ihm weh zu tun, doch das Gefühl, das mir seine geschickten Finger verschafften, ließ vernünftiges Denken nicht mehr zu. Danach küsste ich ihn lange, innig und zärtlich, so lange, bis er aufstöhnte. Erst dann löste ich mich von ihm.
»Wir sollten damit aufhören. Das ist zu gefährlich für uns beide.«
Er lächelte mich liebevoll an. »Nenn mir einen vernünftigen Grund, nur einen. Du hast keine Beziehung und ich schon gar nicht. Ich bin so verrückt nach dir, dass ein einziger, langer Kuss von dir mehr bewirkt als eine Stunde Handarbeit von Penny.«
Ich musste unweigerlich lachen. »Du bist so doof. Echt jetzt.« Dann stupste ich ihn auf die Nasenspitze. »Meine Küsse sind eben magisch.«
Er nickte schmunzelnd. »Das darfst du laut sagen.« Etwas leiser und mit einem Hauch Bedauern fügte er hinzu: »Warte ab, bis du den Richtigen findest und so küsst. Vertrau mir, ihr werdet diesen Augenblick euer ganzes Leben lang nicht vergessen.«
»Das werden wir ja dann sehen.«
Langsam kam Wind auf und ich schauderte.
»Carlos, ich will zurück, mein Bett ist eindeutig bequemer als das hier.«
Er nahm mich in die Arme und ließ sich mit mir zurück ins Wasser gleiten.
»Mag sein, aber dafür ist nun das Gefühl weg, ersticken zu müssen.«
Um sechs Uhr kletterte ich bibbernd wieder in mein Bett, gefolgt von Carlos, der mich umarmte und wärmte.
»Danke, Cara. Danke für alles. Ich tue alles für dich, das weißt du, oder?«
»Mmh, ich erinnere dich daran, wenn ich mit vierzig Fieber im Bett liege. Rotznase inklusive.«
Er umarmte mich noch fester und zog mir die Decke bis zur Nasenspitze. »Dann wollen wir das lieber verhindern.«
Lächelnd kuschelte ich mich an ihn. Er war wieder auf dem Boden angekommen und den Besuch von Penny würde er auch irgendwie überstehen. Zumindest hoffte ich das.
5.
»Kristen, Clive! Mann, ist das schön, euch zu sehen!«
Ich lief mit ausgebreiteten Armen auf die beiden zu, als sie gerade aus dem Jeep kletterten. Tim und Neill saßen im Führerhaus des Lastwagens, der das komplette Equipment transportierte. Auf Kristens Gesicht erschien ein erfreutes Lächeln.
»Cara, komm her und lass dich umarmen. Glaub mir, wir sind auch froh, endlich hier zu sein.«
Blass und müde sah sie aus, doch nach dem Stress der vergangenen Wochen war das kein Wunder. Sie hatten die komplette Strandhütte auf Ibiza ausräumen – ihre Wohnung ebenso – und alles in einen Container verstauen müssen, der nun darauf wartete, wieder ausgeladen zu werden.
Ich begrüßte auch Clive und die zwei Jungs, ehe ich Kristen unterhakte.
»Braucht ihr uns in der nächsten halben Stunde? Ich würde gerne dafür sorgen, dass die junge Frau hier einen anständigen Kaffee und etwas zu essen bekommt.«
Carlos und Clive wehrten sofort ab. »Nimm sie mit, du weißt ja, wo ihr Bungalow ist, dann kannst du Kristen alles zeigen, wir werden so lange auspacken. Wir fahren direkt zu eurem neuen Zuhause und sorgen für Ordnung.« Carlos‹ letzter Satz richtete sich an Clive, und so zog ich Kristen kurzerhand mit mir.
Im Restaurant stellte ich ihr Tino und seine Crew vor. Es war immer gut, wenn man als erstes den kennenlernte, der für das leibliche Wohl zuständig war.
Tino musterte Kristen aufmerksam. »Geht es dir nicht gut? Du siehst sehr erschöpft aus.«
Ich wunderte mich aufs Neue, dass immer die Kerle Einfühlungsvermögen und Menschenkenntnis an den Tag legten, denen man es am wenigsten zutraute.
»Mir geht es wirklich nicht besonders«, antwortete Kristen zu meiner Überraschung ehrlich. »Ich bin tatsächlich sehr erschöpft und müsste eigentlich endlich etwas essen, habe aber nur wenig Appetit.«
Tino kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Weißt du was, ich bringe dir erst einmal frischen Saft aus Mango und Papaya. Das regt den Magen an. In der Zwischenzeit mache ich eine leichte Gemüsesuppe mit ein wenig Gofio für dich. Das belastet nicht und kräftigt. Was meinst du?«
»Das klingt richtig gut. Vielen Dank, aber mach dir bitte wegen mir keine solche Mühe.«
»Das ist doch keine Mühe. Mache ich gerne. Cara, für dich Café con leche und ein bisschen Manchego-Käse und Serrano-Schinken?«
Ich