In die Museumslandschaft Ägyptens ist Bewegung gekommen. Lange soll es auch nicht mehr dauern, bis endlich das Echnaton-Museum in Al-Minya, 250 Kilometer südlich von Kairo, eingeweiht wird. Die Außenhülle des pyramidenförmigen Gebäudes ist strahlenförmig gebrochen und soll damit an den Sonnengott Aton erinnern. Es ist das drittgrößte Museum des Landes, sein Innenausbau wird von der Museumsagentur der deutschen Bundesregierung unterstützt. Lange kann es eigentlich nicht mehr dauern, bis auch das zweitgrößte Museum Ägyptens eröffnet wird. Das Haus mit dem Namen National Museum of Egyptian Civilization möchte dann 5000 Jahre Landesgeschichte präsentieren.
Und damit die Touristen und die Ägypter auf den Geschmack kommen, hat man vier Sphingen aus dem Karnak-Tempel bei Luxor und einen 17 Meter hohen und 90 Tonnen schweren Obelisken aus dem Nildelta in die Hauptstadt geschafft. Die fünf Stücke wurden auf den Tahrir-Platz im Zentrum Kairos gestellt. Das hat etwas Aufregung verursacht, weil antike Monumente und neuzeitliche Abgaswolken sich nicht wirklich vertragen. Vielleicht ist es ja so, dass mancher vom Regime darauf hofft, dass die paar Jahre Polizeistaat, die Ägypten gerade durchlebt, angesichts von Tausenden von Jahren glorreicher Historie ganz und gar nebensächlich werden.
Vor allem aber fiebert man derzeit der feierlichen Einweihung eines großen Teils vom Grand Egyptian Museum entgegen, die im Herbst 2020 erfolgen soll. Es ist ein Bau der Superlative. Die Hauptfassade aus Glas und Alabaster, entworfen vom irischen Architekturbüro Heneghan Peng, ist fast einen Kilometer lang. Das Gebäude befindet sich in der Nähe der Pyramiden von Giza und soll mit seiner Gestalt eine Art künstliches Felsplateau bilden. Als ich den Museumsdirektor und Archäologen Tarek Tawfik auf der Baustelle besuchte, wusste er gar nicht, wovon er zuerst schwärmen sollte, von der Piazza vor dem Haupteingang mit einem der größten altägyptischen Obelisken oder vom Atrium, in dem die Kolossalstatue von Ramses II. die Besucher begrüßen wird, oder von der majestätischen Treppe, die nach oben zum Licht führt und auf der 87 der wichtigsten Exponate stehen werden. Am Ende der Treppe, gewissermaßen als Belohnung für den Aufstieg, sieht der Besucher durch ein 27 Meter hohes Panoramafenster die Pyramiden von Giza – in nur 2000 Metern Entfernung. Oben angekommen hätte der Besucher dann die Wahl, sagt der Direktor: »Entweder man geht nach rechts zu den Galerien von Tutanchamun. Oder nach links in die chronologischen Galerien mit mehr als 45 000 Artefakten aus dem Alten Ägypten. Der Star des Museums wird natürlich König Tutanchamun sein. Auf 7000 Quadratmetern zeigt Ägypten zum ersten Mal die mehr als 5000 Artefakte komplett, die in dem Grab gefunden wurden, einschließlich der berühmten Totenmaske aus Gold.« Die Tutanchamun-Galerie wurde von der Firma Atelier Brückner aus Stuttgart gestaltet. »Das war natürlich der totale Wahnsinn«, erinnert sich Shirin Brückner. »Das hätte ich im Traum nicht gedacht, dass wir mal das größte Museum der Welt mitgestalten werden.«
Museumsdirektor Tarek Tawfik freut sich ganz besonders auf den Moment, wenn die Königin Hetepheres gewissermaßen nach Hause zurückkehrt. Die Grabbeigaben der Mutter von König Cheops wurden einst ganz in der Nähe des neuen Museums gefunden. »Jetzt werden die Artefakte direkt vor der großen Glasfassade platziert, von wo aus man zu ihrem Entdeckungsort schauen kann. Was für eine innige Beziehung – so sollte ein Museum sein!«
Kurz nachdem Tarek Tawfik mir das alles mit einer Begeisterung erzählte, die nur ein Vollblutarchäologe empfinden kann, wurde er übrigens seines Amtes als Museumsdirektor enthoben. Stattdessen ist jetzt ein Armeegeneral der Projektleiter und damit das Gesicht des neuen Museums in der Öffentlichkeit. Offiziell begründet wurde dies nicht. Wenn man Ägypter fragt, erhält man möglicherweise folgende Antwort: Naja, vielleicht musste ein hochrangiger Militäroffizier für seine loyalen Dienste belohnt werden. Das ist Alltag in einem Land mit jahrtausendealter Kulturgeschichte, das heute von einem Militärregime beherrscht wird. Die Beziehung des ägyptischen Volkes zu seinen Herrschern war niemals leicht und selten harmonisch. Im Februar 2011 führte ein wahrer Volksaufstand sogar zum Sturz des Machthabers Mubarak. Doch heute herrscht wieder das Militär. Warum ist es bisher immer so gekommen?
Gestohlene Revolutionen
Ägyptischer Frühling
Der 8. Februar 2011 ist ein ungewöhnlich warmer Wintertag in Kairo. Mubarak-Gegner halten seit elf Tagen den Tahrir-Platz im Stadtzentrum besetzt und haben ihn in eine faszinierende Oase des zivilen Widerstands verwandelt. Manchmal sind es Zehntausende, die hier laut, bunt und entschlossen protestieren, an vielen anderen Tagen sind es Hunderttausende. Wie so oft seit dem 25. Januar, dem Beginn des Volksaufstandes gegen Präsident Hosni Mubarak, laufe ich kreuz und quer über den Platz. Auf der Suche nach einer Toilette betrete ich schließlich die Omar-Makram-Moschee. Ich muss eine Viertelstunde lang anstehen. In der Schlange vor der Toilette warten junge und alte Ägypter, sie sind bärtig oder glattrasiert, tragen Jeans oder die Gallabiyya, das traditionelle weite Kleid der Männer. Die Stimmung begeistert mich, ich schnappe die Wörter Zivilgesellschaft, Rechtsstaat und Demokratie auf, fast alle in der Schlange debattieren über Politik. Am Eingang zum Toilettentrakt sitzt ein Junge von schätzungsweise zwölf Jahren. Er trägt schmutzige, teilweise zerrissene Kleidung, vielleicht ein Straßenkind. Auch heimatlosen Straßenkindern bot der Tahrir-Platz in jenen Tagen ein Zuhause, das sie sonst nicht hatten. Als der Junge mich, den Ausländer, sieht, strahlt er übers ganze Gesicht und sagt stolz auf Englisch zu mir: »Now we are free!« – Jetzt sind wir frei!
Bis zum Rücktritt von Hosni Mubarak sollte es zwar noch drei Tage dauern, aber der Junge ist sich sicher – wie eigentlich alle auf dem Platz –, dass sie das Unvorstellbare schaffen werden. Die Erinnerung an diese Begegnung wühlt mich noch heute auf. Sie kommt mir noch immer so vor, als hätte sie gestern erst stattgefunden, ich kann das Gesicht des Jungen nicht vergessen. Nichts macht deutlicher, was den Ägypterinnen und Ägyptern in jenen Tagen die Revolution bedeutete – und warum fast alles, was danach kam, an Tragik kaum zu überbieten ist.
An jenem 8. Februar steht auf dem Tahrir-Platz auch ein älterer Mann mit grauem Bart, der ein seltsames Schild hochhält. Der Mann sieht nicht so aus, als gehöre das Internet zu seinem Alltag, aber auf der Pappe steht nur ein einziges Wort: Facebook. Auf die Frage, was er damit sagen möchte, antwortet er: »Das ist eine Facebook-Revolution, eine Revolution der Jugend, sie hat’s geschafft! Mein Dank an die Jugend Ägyptens!«
Das mit der Facebook-Revolution ist richtig und falsch zugleich. Fast alle Aktivisten, die der Revolution zu jenem Schwung verhalfen, der Mubarak am Ende aus dem Amt fegen sollte, gehören zu irgendwelchen Facebook-Gruppen. Die sozialen Netzwerke boten den Leuten eine virtuelle Zivilgesellschaft, die sie unter Mubarak im wirklichen Leben nicht hatten. Wo immer sich vor der Revolution auf der Straße ein paar Dutzend Menschen zu Protesten versammelten, wurden sie von Hunderten, manchmal Tausenden Polizisten eingekesselt und isoliert. Manche der Facebook-Gruppen haben mehrere Hunderttausend Mitglieder. »Die ägyptische Gesellschaft war in zwei Welten gespalten«, sagte mir damals die Wissenschaftlerin Ghada al-Ahdar, die seit 2001 an der Cairo University auf dem Gebiet der Cyberkultur forschte. »Es gab so viele Zwänge, dass die Menschen an politischen Prozessen gar nicht teilnehmen konnten. Außerhalb der systemtreuen Eliten existierte keine politische Kultur. Facebook hat die Kultur verändert.« Im Internet diskutierten säkulare Ägypter plötzlich mit jungen Muslimbrüdern, Liberale mit Linken, Männer mit Frauen, Universitätsprofessoren mit Handwerkern – und sie