Die Weißen im Süden fürchteten um ihren Einfluss und gründeten kurz nach dem Ende des Bürgerkrieges den Ku-Klux-Klan. Diese rassistische Organisation griff die Schwarzen vor jeder Wahl und während jeder einzelnen politischen Versammlung an. Dadurch wurden Schwarze daran gehindert, ihr Wahlrecht auszuüben. In den Wochen vor den Präsidentschaftswahlen 1868 wurden in Louisiana 2000 Schwarze vom Ku-Klux-Klan ermordet oder verletzt. »Die Botschaft war deutlich«, erklärt US-Journalist Eric Hansen: »Geht nicht wählen, ihr kommt vielleicht nicht mehr nach Hause.« In den folgenden Jahrzehnten gelang es den Afroamerikanern nur noch selten, in hohe politische Ämter aufzusteigen, denn viele Afroamerikaner gingen gar nicht mehr wählen, weil sie um ihr Leben fürchteten. Heute sehe man den Ku-Klux-Klan bloß als einen Verein »mörderischer Rassisten in albernen Kapuzen«, erklärt Hansen. »Doch der Klan hatte klare politische Ziele und setzte sie auch durch. Das macht ihn zu einer der erfolgreichsten Terrorgruppen der Welt. Er hebelte die Demokratie für eine bestimmte Bevölkerungsschicht aus, ohne die Demokratie insgesamt zu zerstören.«116
Der Ku-Klux-Klan negierte das Prinzip Menschheitsfamilie und hatte kein Interesse daran, dass die demokratischen Rechte und die Gleichheit aller Menschen, unabhängig von der Hautfarbe, im Alltagsleben respektiert wurden. In der Zeit von 1920 bis 1925 schlossen sich zwischen drei und sechs Millionen US-Amerikaner dem rassistischen Ku-Klux-Klan an, der gelegentlich auch gegen Juden, Katholiken und andere Minderheiten vorging. Die meisten Opfer aber waren Afroamerikaner. In Omaha, Nebraska, sah der 14-jährige Henry Fonda, der spätere Filmstar, von der Druckerei seines Vaters aus einem Lynchmord zu. »Es war das Entsetzlichste, was ich je zu Gesicht bekommen hatte«, so Fonda später. »Wir verriegelten die Druckerei, gingen hinunter und fuhren ohne ein Wort zu sagen nach Hause. Meine Hände waren schweißnass und in meinen Augen standen Tränen. Alles, woran ich denken konnte, war dieser junge Schwarze, der am Ende eines Stricks baumelte.«117
Martin Luther King stärkt die Bürgerrechtsbewegung
Erst mit Martin Luther King, dem mutigen Anführer der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, und den Gleichstellungsgesetzen der 1960er Jahre endeten diese Zustände. Als Afroamerikaner lehnte der Baptistenpastor die Unterdrückung der Schwarzen kategorisch ab. Martin Luther King wusste aus eigener Familienerfahrung, von was er sprach, sein Großvater mütterlicherseits war ein Sohn von Sklaven gewesen.
Seine bekannte Rede »Ich habe einen Traum« hielt Martin Luther King am 28. August 1963 in Washington. Darin betonte er, dass der Kampf um die Bürgerrechte wichtig sei, aber dass weder Gewalt noch Hass diesen Kampf antreiben dürfen. »Versuchen wir nicht, unseren Durst nach Freiheit zufriedenzustellen, indem wir vom Becher der Bitterkeit und des Hasses trinken«, betonte King vor einer Viertelmillion Menschen, darunter nicht nur Schwarze, sondern auch Weiße. »Wir müssen unseren Kampf immer auf der hohen Ebene der Würde und Disziplin führen. Wir dürfen nicht erlauben, dass unser kreativer Protest in physische Gewalt degeneriert. Wir müssen uns immer wieder zu den majestätischen Höhen erheben und physische Gewalt mit der Macht der Seele konfrontieren.«
Die Menschen, die ihm zuhörten, waren tief berührt. Vor hundert Jahren habe Präsident Abraham Lincoln die Sklaverei abgeschafft, so Martin Luther King, der während seiner Rede nicht zufällig vor dem Lincoln Memorial stand. Trotzdem »vegetiert der Neger immer noch an den Rändern der amerikanischen Gesellschaft dahin und befindet sich im Exil in seinem eigenen Land«, kritisierte King. Die »grandiosen Worte« der Verfassung und der Unabhängigkeitserklärung, darunter das Versprechen, dass allen Menschen die unveräußerlichen Rechte von Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück garantiert wären, seien in den USA noch immer nicht für alle realisiert. »Deswegen sage ich Ihnen, meine Freunde, dass ich immer noch einen Traum habe«, so Martin Luther King. »Es ist ein Traum, der seine Wurzel tief im amerikanischen Traum hat, dass sich diese Nation eines Tages erheben wird und der wahren Bedeutung seines Glaubensbekenntnisses – wir halten diese Wahrheiten für offensichtlich, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, – gerecht wird.« Unter dem Beifall der Menschen sprach Martin Luther King über das Prinzip Menschheitsfamilie und erklärte: »Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht wegen der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt werden.«118
Martin Luther King erhielt 1964 den Friedensnobelpreis und ist der bekannteste Vertreter der US-Friedensbewegung. »Amerika ist das reichste und mächtigste Land der Welt geworden«, sagte Martin Luther King während einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg 1967 in Los Angeles. »Aber die Ehrlichkeit verpflichtet mich zuzugeben, dass unsere Macht uns oft arrogant gemacht hat. Wir haben das Gefühl, dass wir mit unserem Geld alles tun können. Wir sind arrogant und glauben, dass wir anderen Ländern Lektionen erteilen müssen, aber nichts von ihnen lernen können. Wir glauben in unserer Arroganz oft, dass wir eine Art göttliche messianische Aufgabe als Polizist der Welt haben«, so die scharfe, aber berechtigte Kritik des Friedensaktivisten. »Größere Macht beinhaltet größere Gefahr, wenn sie nicht auch durch ein Wachstum der Seele begleitet wird«, mahnte King. »Echte Macht besteht darin, die Kraft gerecht einzusetzen. Wenn wir die Macht unserer Nation nicht verantwortungsvoll und mit Zurückhaltung gebrauchen, wird sie sich so verhalten, wie das Sprichwort von Acton sagt: Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut. Unsere Arroganz kann zu unserem Verderben werden.« Ein Jahr nachdem Martin Luther King diese weitsichtige Rede gehalten hatte, wurde er am 4. April 1968 in Memphis, Tennessee erschossen, angeblich von einem verrückten Einzeltäter.119
Die Sklaverei ist in den USA seit mehr als 150 Jahren abgeschafft. Aber völlig überwunden ist der Rassismus bis heute nicht, weder in den USA noch anderswo. Sehr leicht lässt sich die Menschheitsfamilie von Demagogen entlang von Rassen spalten. Neben der Vernichtung der Indianer ist die Ausbeutung der Afroamerikaner die zweite Ursünde der USA. Eine finanzielle Entschädigung für die jahrhundertelange Ausbeutung haben die Afroamerikaner nie erhalten.
»Die Zuschreibung von ›Rassenmerkmalen‹ mit daraus folgender Ausgrenzung hat weder mit den Schwarzen begonnen noch mit ihnen geendet«, erklärt die afroamerikanische Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison. »Kulturelle Besonderheiten, körperliche Merkmale oder die Religion waren und sind stets im Fokus, wenn Strategien zur Erringung von Vorherrschaft und Macht entwickelt werden.« Sowohl während der Indianerkriege als auch während der Sklaverei herrschte unter den Weißen in den USA ein Rassismus vor, der Rote und Schwarze aus der Menschheitsfamilie ausschloss, wodurch viel Leid entstand.120
5.Nordamerika ist nicht genug
Der noch junge Staat USA hatte nach seiner Unabhängigkeitserklärung 1776 in nur hundert Jahren zwischen Kanada im Norden und Mexiko im Süden den ganzen Raum zwischen Atlantik und Pazifik erobert, dabei die dort lebenden Indianer vertrieben oder getötet und dem Nachbarstaat Mexiko große Gebiete abgenommen. Doch das war den USA noch nicht genug. Reiche Unternehmer und Politiker trachteten danach, noch weitere Gebiete zu erobern. Ihr Blick fiel auf die Inselgruppe Hawaii im Pazifik, die Inseln Kuba und Puerto Rico in der Karibik sowie die Inselgruppe der Philippinen vor der Küste Chinas. Mit der sogenannten Monroe-Doktrin hatten die USA 1823 den Europäern untersagt, in Nordamerika oder Südamerika zu intervenieren, während sie versprachen, dies auch nicht in Europa zu tun. Als die USA erkannten, dass die europäische Kolonialmacht Spanien, die damals Kuba und die Philippinen beherrschte, Schwächen zeigte, entschloss sich Washington, die Spanier zu verdrängen. »Amerikanische Fabriken produzieren mehr, als die amerikanische Bevölkerung benutzen kann, amerikanischer Boden produziert mehr, als sie konsumieren können«, erklärte Senator Albert Beveridge aus Indiana im Jahre 1897. »Das Schicksal hat unsere Politik vorbestimmt. Der Handel der Welt muss