Schiller: Wilhelm Tell. Friedrich Schiller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich Schiller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783129090589
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bald tät es Not,

      Wir hätten Schloss und Riegel an den Türen.

      Er öffnet und tritt erstaunt zurück, da Werner Stauffacher hereintritt.

      Was seh ich? Ihr, Herr Werner! Nun, bei Gott!

      Ein werter, teurer Gast – Kein bessrer Mann

      Ist über diese Schwelle noch gegangen.

      Seid hoch willkommen unter meinem Dach!

      Was führt Euch her? Was sucht ihr hier in Uri?

      STAUFFACHER (ihm die Hand reichend):

      Die alten Zeiten und die alte Schweiz.

      WALTHER FÜRST:

      Die bringt Ihr mit Euch – Sieh, mir wird so wohl,

      Warm geht das Herz mir auf bei Eurem Anblick.

      – Setzt Euch, Herr Werner – Wie verließet Ihr

      Frau Gertrud, Eure angenehme Wirtin,

      Des weisen Ibergs hochverständ’ge Tochter?

      Von allen Wandrern aus dem deutschen Land,

      Die über Meinrads Zell nach Welschland fahren,

      Rühmt jeder Euer gastlich Haus – Doch sagt,

      Kommt Ihr soeben frisch von Flüelen her,

      Und habt Euch nirgend sonst noch umgesehn,

      Eh Ihr den Fuß gesetzt auf diese Schwelle?

      STAUFFACHER (setzt sich):

      Wohl ein erstaunlich neues Werk hab ich

      Bereiten sehen, das mich nicht erfreute.

      WALTHER FÜRST:

      O Freund, da habt Ihr’s gleich mit einem Blicke!

      STAUFFACHER: Ein solches ist in Uri nie gewesen –

      Seit Menschendenken war kein Twinghof hier,

      Und fest war keine Wohnung als das Grab.

      WALTHER FÜRST:

      Ein Grab der Freiheit ist’s. Ihr nennt’s mit Namen.

      STAUFFACHER:

      Herr Walther Fürst, ich will Euch nicht verhalten,

      Nicht eine müß’ge Neugier führt mich her,

      Mich drücken schwere Sorgen – Drangsal hab ich

      Zu Haus verlassen, Drangsal find ich hier.

      Denn ganz unleidlich ist’s, was wir erdulden,

      Und dieses Dranges ist kein Ziel zu sehn.

      Frei war der Schweizer von uralters her,

      Wir sind’s gewohnt, dass man uns gut begegnet,

      Ein solches war im Lande nie erlebt,

      Solang ein Hirte trieb auf diesen Bergen.

      WALTHER FÜRST: Ja, es ist ohne Beispiel, wie sie’s treiben!

      Auch unser edler Herr von Attinghausen,

      Der noch die alten Zeiten hat gesehn,

      Meint selber, es sei nicht mehr zu ertragen.

      STAUFFACHER:

      Auch drüben unterm Wald geht Schweres vor,

      Und blutig wird’s gebüßt – Der Wolfenschießen,

      Des Kaisers Vogt, der auf dem Roßberg hauste,

      Gelüsten trug er nach verbotner Frucht,

      Baumgartens Weib, der haushält zu Alzellen,

      Wollt er zu frecher Ungebühr missbrauchen,

      Und mit der Axt hat ihn der Mann erschlagen.

      WALTHER FÜRST: O die Gerichte Gottes sind gerecht!

      – Baumgarten, sagt Ihr? Ein bescheidner Mann!

      Er ist gerettet doch und wohl geborgen?

      STAUFFACHER: Euer Eidam hat ihn übern See geflüchtet,

      Bei mir zu Steinen halt ich ihn verborgen –

      – Noch Greulichers hat mir derselbe Mann

      Berichtet, was zu Samen ist geschehn.

      Das Herz muss jedem Biedermanne bluten.

      WALTHER FÜRST (aufmerksam): Sagt an, was ist’s?

      STAUFFACHER: Im Melchthal, da, wo man

      Eintritt bei Kerns, wohnt ein gerechter Mann,

      Sie nennen ihn den Heinrich von der Halden,

      Und seine Stimm’ gilt was in der Gemeinde.

      WALTHER FÜRST:

      Wer kennt ihn nicht! Was ist’s mit ihm! Vollendet!

      STAUFFACHER: Der Landenberger büßte seinen Sohn

      Um kleinen Fehlers willen, ließ die Ochsen,

      Das beste Paar, ihm aus dem Pfluge spannen,

      Da schlug der Knab den Knecht und wurde flüchtig.

      WALTHER FÜRST (in höchster Spannung):

      Der Vater aber – sagt, wie steht’s um den?

      STAUFFACHER: Den Vater lässt der Landenberger fodern.

      Zur Stelle schaffen soll er ihm den Sohn,

      Und da der alte Mann mit Wahrheit schwört,

      Er habe von dem Flüchtling keine Kunde,

      Da lässt der Vogt die Folterknechte kommen –

      WALTHER FÜRST (springt auf und will ihn auf die andre Seite führen): O still, nichts mehr!

      STAUFFACHER (mit steigendem Ton):

      »Ist mir der Sohn entgangen,

      So hab ich dich!« – Lässt ihn zu Boden werfen,

      Den spitz’gen Stahl ihm in die Augen bohren –

      WALTHER FÜRST: Barmherz’ger Himmel!

      MELCHTHAL (stürzt heraus): In die Augen, sagt Ihr?

      STAUFFACHER (erstaunt zu Walther Fürst):

      Wer ist der Jüngling?

      MELCHTHAL (fasst ihn mit krampfhafter Heftigkeit):

      In die Augen? Redet!

      WALTHER FÜRST: O der Bejammernswürdige!

      STAUFFACHER: Wer ist’s?

       (Da Walther Fürst ihm ein Zeichen gibt.)

      Der Sohn ist’s? Allgerechter Gott!

      MELCHTHAL: Und ich

      Muss ferne sein! – In seine beiden Augen?

      WALTHER FÜRST:

      Bezwinget Euch, ertragt es wie ein Mann!

      MELCHTHAL:

      Um meiner Schuld, um meines Frevels willen!

      – Blind also! Wirklich blind und ganz geblendet?