Feuerkuss und Flammenseele. Eileen Raven Scott. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eileen Raven Scott
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959592727
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er. Seine Stimme klang viel zu sympathisch für seine Aufmachung.

      „Das ist alles?“, fragte Aruni mit zusammengekniffenen Augen.

      Er wurde nicht einmal rot, als er nickte.

      Sie sah ihn von oben bis unten an. Er starrte zurück. Aruni seufzte und ging um den Verkaufstresen herum. Gezielt fischte sie eine Packung fluoreszierender Schnürsenkel für hohe Stiefel, ein paar fingerlose Lederhandschuhe und einen zusammengerollten Ledergürtel mit Silberschnalle aus seinen Manteltaschen und legte alles auf den Tresen.

      „Das möchtest du also nicht kaufen? Gut, dann lege ich es gleich zurück. Was für ein Glück, dass heute Halloween ist, da drücke ich ein Auge zu, aber ich fürchte, du hast Hausverbot, mein Freund.“ Sie schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln und tippte den Preis für das Trägerhemd in die Kasse. „Neun Pfund und neunundneunzig Pence, bitte“, sagte sie zu dem Typ, dem immer noch der Mund offen stand.

      „Das sind meine Sachen, was fällt dir ein?“, ereiferte er sich und begann die Sachen wieder einzustecken. Aber so einfach würde er nicht davon kommen.

      Aruni hielt seine Hand fest. „So? Und warum ist da ein Preisschild von uns drauf?“ Sie hielt ihm einen Handschuh mit Preisschild unter die Nase. „Soll ich dich doch anzeigen?“, fragte sie leise.

      Hastig griff er nach den Sachen und rannte los. Aber Aruni war schneller. Sie sprang über den Tresen und riss ihn an seinem Mantel zu Boden. Als sie einen Stiefel auf seine Brust setzte, keuchte er auf und sah sie mit riesigen Augen an. Aruni zog ihre Videothek-Mitgliedskarte aus der Tasche und hielt sie hoch. „London Police. Du bist festgenommen.“ Sein Gesichtsausdruck war preislos dämlich. Aruni konnte sich ein kurzes Auflachen nicht verkneifen. „Kleiner Scherz. Du legst jetzt die Sachen zurück auf den Tresen und verziehst dich aus meinem Laden. Oder du bezahlst.“

      Aruni konnte ein Grinsen kaum unterdrücken, als der Typ tatsächlich anfing zu heulen. „Verdammt, du tust mir weh!“, zeterte er. „Lass mich los! Du weißt nicht, wen du vor dir hast!“

      „Einen kleinen Dieb“, brummte Aruni und half ihm hoch. Sie streckte die Hand aus. „Die Sachen oder das Geld dafür.“

      Widerwillig legte er den Gürtel, die Handschuhe und die Schnürsenkel in ihre Hand. „Schlampe“, zischte er und spuckte auf den Boden.

      „So“, sagte Aruni wütend. Sie zog an seinem Mantel und drückte ihm einen Teil davon in die Hand. „Aufwischen“, sagte sie.

      „Ja, genau“, konterte er und zeigte ihr einen Vogel. Wie eine Kobra schnellte ihre Hand vor und griff sein Handgelenk. Mit nur einem Bruchteil ihrer Kraft drückte sie den Dieb mühelos nach unten auf den Boden, wedelte mit seiner Hand und dem Stück seines Mantels über den feuchten Fleck und sagte: „Danke. Geht doch. Und jetzt verzieh dich.“

      Fluchend zog er seinen Mantel zurecht und stolperte aus dem Laden. Aruni seufzte. Dann strich sie ihre Hose glatt und ging zur Tür. Sie stand eine Weile mit verschränkten Armen dort und sah ihm hinterher. Ein Mal drehte er sich tatsächlich um, als ob er daran dachte, es noch einmal zu versuchen. Aber dann verschwand er wenige Schritte später in einem Laden, der Doc Martens Stiefel in allen Farben des Regenbogens führte.

      Aruni ging wieder rein und zückte ihr Handy. „Alan, ein Dieb ist gerade bei dir rein. Wollte hier auch was klauen. Schwarzer Mantel, silberne Hörner, tätowierte Kopfhaut, Ziegenbärtchen. Klar, bis später.“ Sie legte das Handy weg und ließ sich auf den Barhocker sinken, der hinter dem Tresen stand.

      Kapitel 4

      Ilvios Kopf summte von all den Stimmen am Bahnhof. Nur gut, dass Audrey alles für ihn organisiert hatte. Für einen Geist dachte und agierte sie wirklich noch sehr materiell. Kein Wunder, war sie doch fähig, ihren Geistkörper vorübergehend in so feste Substanz zu formen, dass man sie für einen lebendigen Menschen halten konnte. Audrey hatte ihm sogar ein Telefon gegeben. Damit er Hilfe rufen konnte, wenn er alleine in London nicht klarkam, hatte sie gesagt. Und sie hatte ihm jede Menge erzählt, was auf ihn zukam. Wie man sich in der Stadt fortbewegen konnte und worauf er achten sollte. Er stieg ein und suchte sich einen Platz. Noch eine Weile winkte er Audrey und sah zu, wie sie auf dem Bahnsteig immer kleiner und kleiner wurde.

      Als er sie nicht mehr sehen konnte, schaute er sich im Wagen um. Eine junge Frau mit einem kleinen Jungen saß ihm gegenüber. Sie las ihm ein Buch vor und er war völlig in der Geschichte gefangen. Ilvio musste lächeln. Durch sein weißblondes Haar und sein zartes Aussehen hatte der Kleine fast Ähnlichkeit mit einem Meereself. Die Frau sah auf und nickte Ilvio freundlich zu. Eilig nickte Ilvio zurück und sah dann geflissentlich aus dem Fenster. Soviel wusste er schon, die Menschen mochten es nicht besonders, wenn Fremde ihre Kinder allzu auffällig musterten. Draußen rauschten Bäume und Felder vorbei, Schafe und Kühe. Endlose Hecken und der Himmel.

      Das Meer konnte er nicht mehr sehen. Ein seltsames Gefühl überkam ihn. Eine Leere in seinem Herzen. Aber er schüttelte den Kopf und ballte seine Hand zu einer Faust. Er würde es schaffen. Mit neuer Musik würde er zurückkehren und es würde ihm besser gehen.

      Die ersten Häuser Londons tauchten auf. Ilvio staunte, wie riesig sie hier waren. Ganz anders als in der kleinen verträumten Küstenstadt Lyme Regis. Unzählige Fenster glitzerten in der Sonne. Dahinter sah er spitze Kirchtürme, bunt besprühte Mauern und dicht befahrene Straßen. So viele Autos und rote Busse. Der Zug wurde langsamer und fuhr in eine riesige Halle mit Glasdach, gestützt von weißen Metallstreben.

      Viele Menschen warteten dort geduldig auf ihre Bahn. Einige lasen Zeitung, andere unterhielten sich lachend und wieder andere telefonierten. Ilvio vergewisserte sich, dass er das Telefon von Audrey noch hatte, und suchte den Ausgang.

      Lautes Stimmengewirr empfing ihn und ein seltsamer Geruch, den Ilvio nicht kannte. Er sah sich um. Eine Reihe von Glastüren schienen ins Freie zu führen. Ilvio steuerte auf die nächstliegende zu.

      Draußen schien die Sonne. Ein kühler Wind wehte. Jemand neben ihm pfiff laut. Ein schwarzes Auto hielt an und der Mann stieg ein. Auf dem Dach leuchtete ein gelbes Licht auf. Andere dieser Autos kamen und sammelten Leute ein, manche waren schwarz, andere gelb oder ganz bunt. Das mussten Taxis sein, dachte Ilvio.

      Er ging lieber zu Fuß. Er wusste ohnehin nicht, wo er hinwollte. Riesige Gebäude aus hellem Stein ragten neben der Straße empor. Autos hupten und brausten an ihm vorbei. Ilvio atmete tief durch und musste prompt husten. Stadtluft war eindeutig nicht mit Meeresluft zu vergleichen. Er drehte sich in alle Richtungen und erkannte eine Brücke.

      Ilvio folgte ein paar Fußgängern und stand nach einigen Minuten am Ufer eines dreckig-braunen Flusses. Ilvio schauderte. In die Brühe würde er nicht mal eintauchen wollen, wenn jemand ihn mit vorgehaltener Waffe dazu zwang. Er schirmte die Sonne mit der Hand ab, sodass sie ihm nicht in die Augen schien, und überlegte, was Audrey gesagt hatte. Die London Underground solle er nehmen, wenn er längere Strecken fahren wollte. Wollte er das? Möglicherweise.

      Er zählte das Geld in seiner Tasche und fand bald ein Gebäude, an dem das Underground-Zeichen angebracht war. Dort kaufte er sich einen Drei-Tage-Pass, nachdem er auf seinen Notizzettel gesehen hatte. Audrey hatte ihm glücklicherweise alles notiert und wieder war er seiner Tante unendlich dankbar für ihr Interesse an der Menschenwelt und dass sie die Geduld besessen hatte, ihm die Menschenschrift beizubringen.

      Ilvio beobachtete die Leute um sich herum. Die anderen nachahmend, steckte er die Karte in einen schmalen Schlitz vor ein paar schwarzen Drehkreuzen. Das Drehkreuz gab nach und Ilvio tauchte mit einer steilen Rolltreppe in die Tiefe.

      An der Wand hingen in immer gleichen Abständen Plakate mit den unterschiedlichsten Bildern und Texten. Ein Plakat erregte seine Aufmerksamkeit, darauf war ein Foto von einer Meerjungfrau, am Arm eine weiße Gestalt mit einem Umhang und eine Art Teufel. Sie schlenderten Arm in Arm über eine nächtliche Straße. Im Hintergrund sah er runde orange Laternen mit Gesichtern.

      Dort wo solche Wesen waren, passte er sicher auch gut hin.

      „Camden Town, Open Air Halloween-Party“,