So war sie, die Ricky, immer um Ausgleich bemüht, um häuslichen Frieden. Nicht nur sie konnte froh sein, einen so fabelhaften Mann wie Fabian zu haben, nein, umgekehrt war es ebenso.
»Und meine Kinder sind ins ferne Brasilien, nach Belo Horizonte, verschwunden, ich als Vater kann sie nicht sehen, und die Großeltern, die Urgroßeltern, ebenfalls nicht. Es ist wirklich sehr schrecklich, wenn etwas auseinanderbricht, von dem man geglaubt hatte, es sei für die Ewigkeit bestimmt.«
Ricky legte einen Hand auf den Arm ihres Bruders.
»Jörg, es wird Stella einholen. So etwas bleibt nicht ungestraft, sie hat unendlich viel Schaden angerichtet aus reinem Egoismus.«
Er bekam einen gequälten Gesichtsausdruck. »Ricky, können wir bitte davon aufhören und das Thema wechseln? Erzähl von deiner Rasselbande, ganz besonders die kleine Teresa scheint ja die ganze Familie so richtig aufzumischen, sagt zumindest Mama.«
Ricky blickte ihren Bruder an.
Sollte sie jetzt wirklich anfangen, von ihrer heilen Welt zu berichten?
Zum Glück wurde ihr die Entscheidung abgenommen. Pamela kam ins Zimmer gepoltert.
»Die Mami und die Omi haben zwar gesagt, dass ich nicht stören darf. Aber das kann doch wohl nicht sein. Ihr seid doch meine Geschwister, und Geschwister untereinander, die stören sich doch nicht.«
Sie blickte ihre große Schwester ein wenig Hilfe suchend an.
»Du bist so selten hier, Ricky. Ich möchte auch etwas von dir haben, ehe du wieder wegfährst. Und guck mal, die Luna, die will dich auch begrüßen.«
Und ob Luna das wollte.
Jörg und Ricky sagten Pamela, dass sie überhaupt nicht störe, und Inge und Teresa merkten ebenfalls sehr rasch, dass sie dazustoßen durften. Auch sie freuten sich jedes Mal, Ricky zu sehen, und so oft kam die ja nun wirklich nicht mehr in den Sonnenwinkel, was ja auch durchaus verständlich war.
Inge warf ihrem Sohn einen vorsichtigen Blick zu. Er sah noch immer ganz bekümmert aus. Was hatte sie denn erwartet? Zaubern konnte Ricky auch nicht.
»Wollt ihr Kaffee und Kuchen haben?«, erkundigte Inge sich, und sie freute sich, dass das von allen begrüßt wurde. So etwas ging bei den Auerbachs immer.
*
Roberta kam von einem Patientenbesuch, und als sie gerade ganz in der Nähe des ›Seeblicks‹ war, entschloss sie sich, einen Abstecher dorthin zu machen.
Das passte auch ganz gut, denn sie war länger unterwegs gewesen, Alma war gerade dabei, den kleinen Philip ins Bett zu bringen, der immer noch etwas vorgelesen haben wollte.
Sie würde also im ›Seeblick‹ eine Kleinigkeit essen, und wenn sie ehrlich war, dann wollte sie in erster Linie nach Daniel sehen, der sich bei ihr nicht mehr gemeldet hatte.
Das Fest zur Rettung des Hohenborner Tierheims war vorüber, und es war ein grandioser Erfolg gewesen. Auf dem Fest hatte sie ihn nicht gesehen, doch da waren so viele Menschen gewesen, mit denen sie sich unterhalten musste. Da hatte sie nicht extra nach ihm Ausschau gehalten. Aber heute würde sie die Gelegenheit ergreifen, ihm zu sagen, dass er das, was sie ihm gesagt hatte, nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Vorausgesetzt, sie hatte mal einen Augenblick mit ihm allein. Sie wusste nicht, inwieweit er mit Julia über den Besuch bei ihr gesprochen hatte, und sie durfte wegen des Datenschutzes nicht darüber reden.
Aber da machte sie sich keine Sorgen, Julia war die Wirtin, nach der immer verlangt wurde, auch wenn mittlerweile genügend Personal vorhanden war.
Der Parkplatz war beinahe vollbesetzt. Vermutlich waren das Gäste, die mehr über das rauschende Fest erfahren wollten, an dem sie nicht teilgenommen hatten, nicht hatten teilnehmen dürfen. Mit einem solch bombastischen Erfolg hatte niemand rechnen können. Es hatte sich ein Vielfaches an Menschen für das Fest interessiert. Doch bei allem Wohlwollen hätte man nicht mehr Leute unterbringen können. Das Festzelt und das Restaurant waren bis auf den letzten Platz besetzt gewesen. Natürlich hatte auch Roberta es sich nicht nehmen lassen, reichlich zu spenden. Und sie würde niemals das glückstrahlende Gesicht von Frau Dr. Fischer vergessen, der Leiterin des Tierheims, als sie ihren Scheck in Empfang nehmen konnte, der sie erst einmal von ihren finanziellen Sorgen befreite.
Roberta ging langsam zum Restaurant, nicht ohne vorher noch von der Terrasse aus einen Blick auf den See geworfen zu haben. Das war jetzt wieder möglich, denn das Zelt war abgebaut worden.
Das Wasser des Sees hatte ein Nachtschattenblau angenommen, das hier und da durch die letzten, späten Strahlen der beinahe untergegangenen Sonne mit goldenen Tupfen versehen wurde.
Die hereinbrechenden Schatten der Nacht verschluckten allmählich das rotgoldene Licht am Himmel.
Es war ein Augenblick der Ewigkeit, der selbst für einen Moment die schnatternden Enten zum Schweigen brachte, das Gekreische der Möwen war verstummt, mit lautlosem Flügelschlag schwebten sie über dem See.
Roberta merkte, wie Ruhe in ihr einkehrte, und es fiel ihr sehr schwer, sich von diesem grandiosen Schauspiel loszureißen.
Schön war es hier oben, wunderschön, wo einem der See praktisch wie auf einem Silbertablett serviert wurde.
Langsam ging sie zurück, ins Restaurant, aus dem gerade Leute traten, die sie kannte, mit denen sie ein paar flüchtige Worte wechseln musste. Ja, ja, sie war hier bekannt wie ein bunter Hund, die Frau Doktor. Das war auch etwas, was Roberta an ihrer neuen Heimat liebte, der nichts von der Anonymität der Großstadt anhaftete, die vorher ihr Zuhause gewesen war.
Wie lange war das schon wieder her.
Sie war angekommen, und für sie gab es mittlerweile zum Sonnenwinkel keine Alternative mehr.
Sie verabschiedete sich, betrat das Restaurant, Julia kam ihr entgegen. Sie war blass, sah sehr schlecht aus, und darüber konnte auch nicht das Make-up hinwegtäuschen, das sie aufgetragen hatte.
Doch sollte man sich darüber wundern?
Julia war über sich hinausgewachsen, sie hatte Großartiges geleistet. Teresa von Roth, Sophia von Bergen, Rosmarie Rückert hatten im Vorfeld viel getan, Heinz Rückert hatte viel bezahlt, doch die Hauptarbeit hatte Julia gehabt, und wenn man dann noch bedachte, dass sie alles zum Selbstkostenpreis ausgerichtet hatte, dann konnte man ihr nicht genug danken.
Ja, die durfte jetzt elend aussehen, aber doch irgendwie auch glücklich und zufrieden, aber das war nicht der Fall. Auf den ersten Blick wirkte sie auf Roberta wie erloschen.
Natürlich bekam Roberta ihren Stammplatz, es war auch nicht zu übersehen, dass Julia sich freute. Julia wurde abgerufen, und Roberta hielt Ausschau nach Daniel. Er war nirgendwo zu sehen, und eigentlich hielt er sich um diese Zeit doch meistens im Restaurant auf, um etwas zu essen.
Roberta bestellte ein Rote-Bete-Curry mit Kokos und Kichererbsen, dazu Naan, das frisch gebackene indische Fladenbrot.
Das hatte Roberta schon einmal ganz zu Anfangszeiten bestellt, und sie konnte sich erinnern, dass es köstlich geschmeckt hatte.
Von Julia sah sie nicht viel, die war heute sehr gefragt, aber Roberta wurde aufmerksam bedient, was wollte sie mehr, und ihre Wahl war richtig gewesen. Es schmeckte so, wie sie es in Erinnerung hatte.
Von Daniel war noch immer nichts zu sehen. Sie wollte auch die Bedienung nicht nach ihm fragen. Doch als Julia endlich an ihren Tisch kam und sich für einen Augenblick zu ihr setzte, erkundigte sie sich.
Roberta