Germaine Chapu hat bis jetzt immer nur als Künstlerin geholfen, das Fest zu verschönern. Heute ist sie aber als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft zum Essen und anschließenden Ball eingeladen. Sie ist sehr glücklich darüber, auch auf ihre Tochter ist sie stolz. Und doch zittert sie innerlich, und das überschattet ihre Freude.
Ein paar Stunden dauert das Essen, unterbrochen von Ansprachen, die gehalten werden und in denen auch von der jungen, vielversprechenden Künstlerin Beatrix Chapu die Rede ist.
Beatrix wagt kaum die Augen zu heben. Die dichten Wimpern liegen wie ein Schleier über den schönen tiefblauen Augen. Wenn sie sie hebt, trifft ihr Blick jedesmal mit dem des Fürsten zusammen. Sie spürt jedesmal ihr Herz heftig hämmern.
Endlich ist auch die lange Tafel überstanden. Die nächsten Flügeltüren öffnen sich, und eine gute Kapelle spielt zum Tanz auf.
Noch immer hat der Fürst mit einer Tochter aus erster Familie den Reigen eröffnet, und jedesmal hoffte man, es sei die Auserwählte des Fürsten. Doch genauso oft wurde man enttäuscht.
Fürst Alexander steuert direkt auf Beatrix Chapu zu. Heute kümmert er sich überhaupt nicht um Tradition. Heute will er nichts als ein glücklicher Mensch sein.
Und zum Erstaunen aller, außer der Fürstin-Mutter, eröffnet er die diesjährige Ball-Saison mit der jungen, liebreizenden Beatrix Chapu. Aus respektvoller Entfernung sieht man den ersten Runden des Wiener Walzers zu, den das schöne Paar zusammen tanzt. Erst auf einen Wink des Haushofmeisters reihen sich die anderen Paare ein.
Stumm, aber beglückt, schwebt der Fürst mit seiner anmutigen Tänzerin über das Parkett.
Lange hält der Fürst das Schweigen nicht aus.
»Kennen Sie ein junges Mädchen, das ein edles Pferd mit einer ›alten Mähre‹ verglichen hat?«
Ohne den Blick zu heben, haucht
Beatrix:
»Ja, Durchlaucht!«
»Demnach dürfte Ihnen ein rollerwütiges Mädchen auch nicht unbekannt sein.«
»Ja, Durchlaucht!«
Er zieht sie mit einer heftigen Gebärde enger an sich heran.
»Gedenken Sie mich den ganzen Abend mit der geistreichen Rede ›ja, Durchlaucht‹ zu unterhalten?«
Die dunklen Wimpern flattern. Ihr Mund bleib todernst.
»Nein, Durchlaucht, damit würde ich eine Todsünde begehen.«
»Eine – was?«
»Eine Todsünde, Durchlaucht. All diese schönen jungen Damen sind eigens Ihretwegen hierher gekommen. Nicht nur um Sie von weitem anzuhimmeln. Sie wollen mit Ihnen tanzen.«
»Sagten Sie wirklich – anzuhimmeln?«
»Sehr richtig. Das dürfte Ihnen doch kaum entgangen sein, Durchlaucht. Sie würden also eine Todsünde begehen, wollten Sie wirklich den ganzen Abend auf mein ›geistreiches‹ Geplaudere hören.«
Er lacht herzlich auf
»Sie reden wie ein Rechtsanwalt. Wenn ich mal in der Klemme bin, komme ich zu Ihnen.«
Ihre Augen funkeln ihn erzürnt an.
»Sie machen sich nur lustig über mich, Durchlaucht.«
»Im Gegenteil, Gnädigste, ich nehme Sie sogar sehr ernst«, widerspricht er, dabei sitzt ein Lächeln in seinen Mundwinkeln. Sie ist ja noch viel anziehender, als er sie in Erinnerung hat.
»Und Sie sind nun überzeugt, daß ich Ihren weisen Rat befolgen werde und es den ganzen Abend mit diesem einen Tanz mit Ihnen bewenden lasse?«
»Überzeugt?« Sie sieht in das schmale, energische Gesicht des Fürsten, und sie weiß, daß er unter allen Umständen seinen Willen durchzusetzen verstehen wird. So gibt sie zögernd zu. »Überzeugt? – Nein! Sie werden nur einsichtsvoll sein und alles vermeiden, sich den Zorn der Fürstin-Mutter zuzuziehen –«
»– zumal man von mir verlangt, daß ich mir heute meine zukünftige Frau auswähle«, versetzt er mit einem Ernst, der sie tief erblassen läßt. Ihr Herz zieht sich schmerzvoll zusammen. Lieber Himmel! Er wird sich unter den standesgemäßen Töchtern eine passende Frau aussuchen. Er wird eine der anwesenden Damen zur glücklichsten Frau der Welt machen, und sie wird todunglücklich sein.
Er hat ihr Erblassen wohl bemerkt, weiß aber nicht, mit was er es in Verbindung bringen soll.
Seine Fürsorge erwacht, und mit warmer Stimme fragt er:
»Sie sind ganz bleich geworden. Ist Ihnen nicht wohl?«
Mit einer geistesabwesenden Geste streicht sie sich mit der Linken über die Stirn, als könne sie damit die quälenden Gedanken fortwischen.
»In der Tat«, stammelt sie. »Es ist sehr heiß hier –«
»– und der Tag ist sicher auch sehr aufregend für Sie«, vollendet er.
»Ja, Durchlaucht!«
»Nun sind wir bereits wieder bei unserer einseitigen Unterhaltung angelangt –«
»Und der Tanz wird auch gleich zu Ende sein«, erinnert sie ihn an die Wirklichkeit.
Im selben Augenblick setzt auch die Musik aus, und der Fürst gibt sie frei. Ihren Arm jedoch nicht. Er hat es auch nicht sehr eilig, sie sofort an ihren Tisch zu bringen. Er steuert auf den an-schließenden Salon zu, und ängstlich sieht Beatrix zu ihm auf.
»Es wäre besser, Durchlaucht würden mich zu meiner Mutter zurückbringen«, bittet sie ihn leise.
»Viel besser ist, wenn Sie sich in der hier weit besseren Luft etwas erholen«, schlägt er vor und zwingt sie mit sanfter Gewalt in einen zierlichen Sessel.
»Jetzt sehen Sie so ängstlich aus, als sei ich der böse Wolf und Sie hätten Angst vor mir.«
Sie schöpft tief Atem. »Angst vor Ihnen? Nein! Ich fürchte nur, man wird es mich sehr fühlen lassen, daß Sie sich mehr um mich als um die anderen bemühen. Bitte, führen Sie mich zurück!«
Er sieht ihr lange in die groß zu ihm aufgeschlagenen Augen. Sie hat richtige Märchenaugen, durchfährt es ihn, und er würde sie am liebsten in die Arme nehmen und von dem Trubel hinwegtragen.
Statt dessen verneigt er sich höflich, reicht ihr den Arm und bringt sie wortlos zu Germaine zurück.
Abermals eine Verneigung, auch zu Germaine hin, und er durchquert den Saal, taucht wenig später hinter der Fürstin-Mutter auf, die von einer Anzahl Damen und Herren umgeben ist, die sich im Halbkreis um ihren Platz gruppiert haben.
Die Fürstin-Mutter ist eine glänzende Plauderin, sie besitzt Humor und lacht gern. Ihre Augen suchen Fürst Alexander, sie kann ihn aber nirgends entdecken. Ein klein wenig fährt sie zusammen, als sie hinter sich sein leises Flüstern hört.
»Kann ich dich einen Augenblick sprechen, Großmama?«
Sie nickt, gibt den Umstehenden einen Wink, damit man sie mit dem Fürsten allein läßt, und als es geschehen ist, läßt Fürst Alexander sich neben ihr nieder.
Während die beiden den Tanzenden zuschauen, unterhalten sie sich.
»Nun, gefällt es dir, Alexander? Und warum tanzt du nicht?«
»Es ist sehr schön. Aber ich muß mit dir sprechen, Großmama.«
Freundlich lächelnd nickt die Fürstin-
Mutter einem an ihr vorübergehenden Paar zu. »Was gibt es jetzt Wichtigeres, als dich zu amüsieren? Sieh mal die blonde Gräfin Eichberg an. Ist sie nicht sehr schön?«
»Hm!« macht der Fürst und blickt
sekundenlang interesselos nach der Gräfin. »Geschmacksache, Großmama. Es gibt weitaus schönere Frauen im Saal.«
»Wie