Beatrix vor ihr und umarmt sie.
»Oh, Mutti, ich weiß gar nicht, was ich vor Freude machen soll. Stell dir vor, ich darf im Palais singen. Keiner wird es mir verbieten dürfen, selbst eine Renata Orgon nicht. Die Fürstin-Mutter selbst hat es so bestimmt.«
Germaine kann sich der Umarmungen kaum erwehren. Als sie endlich Luft schnappen kann, sagt sie trocken:
»An deiner Stelle würde ich ins nächste Mauseloch kriechen, wenn die Orgon hier aufkreuzt und ich ihr sagen muß… nein! Das gibt eine Katastrophe. Sie wird dich und mich in der Luft zerreißen und niemals glauben, daß ich am Zustandekommen dieser Einladung völlig unschuldig bin.«
Beatrix springt auf. Unternehmungslustig blitzt sie ihre Mutter an.
»Sie soll nur kommen, Muschi. Jetzt werde ich ihr etwas von ihrem Hochmut und ihrer Arroganz heimzahlen.«
»Nichts wirst du tun, du unmögliches Mädchen«, herrscht Germaine ihre Tochter an. »Du wirst wie immer unsichtbar bleiben.«
Erstaunt mißt Beatrix die Mutter aus großen Augen. Diesen Ton ist sie nicht gewohnt.
»Nun gut, Mutti«, sagt sie recht kleinlaut und ungewöhnlich ernst. »Ich werde also wieder einmal unsichtbar bleiben, weil du es wünschst.«
»Beatrix!« flüstert Germaine Chapu tonlos. Aber der Ruf ist viel zu schwach, um Beatrix’ Ohr zu erreichen. Leise klappt die Tür hinter der schmalen Mäd-chengestalt ins Schloß.
»Mein Gott!« raunt Germaine Chapu. »Habe ich alles falsch gemacht?«
Beatrix ahnt nicht, daß sie eine völlig verwirrte Frau zurückgelassen hat, die mit der Vergangenheit nicht fertig werden kann.
In großer Niedergeschlagenheit betritt Beatrix ihr kleines Reich, das liebevolle Mutterhände zu einem trauten Heim gestaltet haben. Sie öffnet den Wandschrank. An der Innentür ist jedes Plätzchen mit Fotografien bedeckt. Sie zeigen alle verschiedene Aufnahmen eines einzigen Mannes, den Beatrix verehrt, bewundert und heimlich anbetet. Es sind aus Zeitschriften ausgeschnittene Aufnahmen des Fürsten Alexander von Thorsten-Thorn.
*
Wie in jedem Jahr herrscht in jedem Haus, das eine Einladung zum »Fürsten-Ball« erhalten hat, erhebliche Aufregung.
Es wird entworfen und verworfen. Ratschläge werden erteilt, wenn man zuviel des Guten tun will.
Diese Sorgen quälen Beatrix Chapu nicht. Ihr ist von der Fürstin- Mutter mit einem Handschreiben versehen, ein Kleid ins Haus gebracht worden, das einfach überwältigend ist. Fasziniert steht Beatrix vor diesem Wunderwerk, das sie zum »Fürsten-Ball« tragen soll.
Aber einmal gehen die Wogen der Erregung im Hause Chapus, in die Höhe, nämlich als Renata Orgon, der bisher unerreichte Star des Hoftheaters zwar zum »Fürsten-Ball« eingeladen ist, jedoch nicht singen wird.
Wie eine Gewitterwolke braust sie in das kleine Haus Germaine Chapus und ihr Temperament entlädt sich wie ein Unwetter über dem unschuldigen Haupt der Musiklehrerin.
Renata Orgon, deren Figur in den letzten zwei Jahren, sehr zum Leidwesen der Sängerin, in die Breite gegangen ist und den Verlust ihrer entschwundenen Jugend nur noch deutlicher macht, steht wie eine Rachegöttin vor Ger-
maine.
»Sie wünschen, gnädige Frau?« Germaine weist dabei auf die Sesselgruppe. Renata Orgon zittert vor Wut.
»Sie wissen natürlich, daß ich dieses Jahr nicht zum Singen aufgefordert worden bin?« zischt sie Germaine an.
»Ja, gnädige Frau.«
»Und wer wird an meiner Stelle singen?« fragt sie, sich mühsam beherrschend.
Germaine spürt ihr Herz bis zum Halse herauf klopfen. Gerade diese Frage zu beantworten bereitet ihr das größte Unbehagen. Aber sie kann nicht mehr zurück.
Nicht ohne Stolz sagt sie:
»Meine Tochter Beatrix wird singen.«
Renata Orgons Züge verzerren sich. »Das haben Sie wunderbar eingefädelt. Sie sind sehr heimtückisch. Sie haben mein Vertrauen sehr schmählich miß-braucht und hinter meinem Rücken gegen mich intrigiert. Das soll Ihnen teuer zu stehen kommen. Das letzte Wort wird die Fürstin-Mutter sprechen.«
»Sie hat es bereits gesprochen, gnädige Frau«, fällt Germaine ihr beherrscht in die Rede. »Sie war es, sie allein, die die Anwesenheit meiner Tochter auf dem ›Fürsten-Ball‹ gewünscht hat, ja, bestimmte –«
»Sie lügen!« zischt die Orgon.
»Sie irren, gnädige Frau. Die Fürstin-
Mutter hat meine Tochter singen hören. Es ist widersinnig von Ihnen, sich gegen etwas zu sträuben, was bereits feststeht.«
»Sie – Sie sind eine unverschämte Person. Die Antwort darauf wird Ihnen der Hof geben. Ich halte es für unter meiner Würde, mich weiter mit Ihnen zu unterhalten. Selbstverständlich verzichte ich für alle Zukunft auf Ihre musikalische Unterstützung.«
Als das Unwetter an Germaine vor-übergerauscht ist, muß sie sich doch erst einmal niedersetzen. Ihr zittern die Knie. Beatrix, die die Sängerin hat abfahren sehen, kommt ins Zimmer gestürzt. Sie wird von ihrer Mutter mit den Worten empfangen:
»Die bin ich los, Kind – für immer los.«
Beatrix umarmt ihre Mutter. »Freu dich doch darüber, Muschi. Du hast lange genug unter ihren Launen gelitten. Hast du ihr schon jemals etwas recht gemacht?«
»Woher weißt du das, Beatrix? Hast du etwa gelauscht?« erkundigt Ger-
maine sich verwundert. Beatrix errötet. »Ja, Muschi, ich habe oft an der Tür ge-lauscht. Ich – ich wollte doch nur hören, wie die Orgon singt.«
»Und wie singt sie, wenn man fragen darf?« Germaine hat ihren Humor wiedergefunden. »Weißt du das etwa auch, du Guck-in-dieWelt?«
»Genau«, erwidert Beatrix heftig. »Sie singt ausgesprochen schlecht. Ihr macht das Atmen große Mühe. Sie sollte rechtzeitig abtreten. Das ist meine Meinung.«
Und das Kind hat auch noch recht – denkt Germaine – die Orgon sollte sich um einen glanzvollen Abgang bemühen.
»Du sagst doch gar nichts mehr, Mutti!« erinnert Beatrix ihre in Gedanken versunkene Mutter. Germaine lächelt.
»Nun ja, ich gebe zu, Madame Orgon hat früher besser gesungen. Jeder Künstler überschreitet einmal den Zenit. Du aber, Kleines, sollst nicht überheblich werden. Madame Orgon hat schon Erstaunliches geleistet, du aber noch nicht.«
»Aber, Mutti. Auf keinen Fall möchte ich überheblich erscheinen.«
Beatrix stürzt auf ihre Mutter zu und schließt sie impulsiv in die Arme. Ihr ist, als könne sie erst jetzt richtige Freude an der Einladung zum »Fürsten-Ball« finden.
*
Das Fürsten-Palais erstrahlt im festlichen Glanz. Die Tore sind weit geöffnet. Wagen auf Wagen rollen vor dem hellerleuchteten Portal vor. Auf der Freitreppe werden sie von uniformierten Dienern in Empfang genommen und in die Vorhalle und von da aus in die Garderobe geleitet. Dann nimmt sie der Haushofmeister in Empfang und bittet sie in den Audienzsaal, damit sie auf das Erscheinen des Hofes warten können.
Erwartungsvolle Stimmung liegt über den Anwesenden. Die ersten Familien des Landes sind mit ihren Töchtern versammelt. Roben aus glänzenden, kostbaren Stoffen werden achtlos über den flimmernden Marmorboden getragen. Brillanten funkeln in blonden, braunen und schwarzen Haaren.
Während sich der Audienzsaal immer mehr füllt, steht Baron Felix von Horby vor seinem Freund.
»Laß dich mal anschauen«, sagt er und dreht Fürst Alexander zu sich herum. Der Fürst trägt den Frack und die Schärpe der Farben des regierenden Fürstenhauses und an der linken Brust den