Der Schwarm, dessen Korporal mit dem Offiziersdiener verkehrte, war immer am besten informiert, wann es losgehen sollte.
Wenn er sagte: »Um zwei Uhr fünfunddreißig nehmen wir Reißaus«, so fingen die österreichischen Soldaten Punkt zwei Uhr fünfunddreißig an, sich vom Feinde loszulösen.
Der Offiziersdiener stand im intimsten Verkehr mit der Feldküche, trieb sich sehr gern beim Kessel herum und erteilte Befehle, als wäre er in einem Restaurant und hätte die Speisekarte vor sich.
»Ich möcht Rippenfleisch«, sagte er zum Koch, »gestern hast du mir Ochsenschwanz gegeben. Gib mir auch ein Stück Leber in die Suppe zu, du weißt, daß ich Milz nicht eß.«
Aber am großartigsten war der Putzfleck im Arrangieren einer Panik. Beim Bombardement der Schützengräben fiel ihm das Herz in die Hosen. Er befand sich dann stets mit seinem und seines Herrn Gepäck in der sichersten Deckung, steckte den Kopf unter die Decke, damit ihn keine Granate entdecke, und hatte keinen anderen Wunsch, als daß sein Herr verwundet werden möge, damit er mit ihm recht weit in die Etappe, ins Hinterland gelangen könne.
Die Panik pflegte er systematisch mit einer gewissen Geheimnistuerei herbeizuführen: »Mir scheint, sie legen das Telefon zusammen«, teilte er vertraulich den Schwärmen mit. Und war glücklich, wenn er sagen konnte: »Sie hams schon zusammgelegt.«
Niemand ergriff so gern die Flucht wie er. In so einem Augenblick vergaß er, daß über seinem Kopf Granaten und Schrapnells schwirrten, und bahnte sich unermüdlich mit dem Gepäck einen Weg zum Stab, wo der Train stand. Er liebte den österreichischen Train und liebte es außerordentlich, sich fahren zu lassen. Schlimmstenfalls benutzte er die Sanitätskarren. Mußte er zu Fuß gehen, machte er den Eindruck eines völlig vernichteten Menschen. In so einem Fall ließ er das Gepäck seines Herrn im Schützengraben und schleppte bloß seinen eigenen Besitz.
Kam es vor, daß der Offizier sich durch Flucht vor der Gefangenschaft rettete und der Offiziersdiener nicht, vergaß dieser unter keinen Umständen, auch das Gepäck seines Herrn in die Gefangenschaft mitzunehmen. Es ging in seinen Besitz über, an dem er mit ganzer Seele hing!
Ich habe einen in Kriegsgefangenschaft geratenen Offiziersdiener gesehen, der von Dubno mit den anderen zu Fuß bis nach Darnic hinter Kiew gegangen war. Er hatte nebst seinem Rucksack und dem Rucksack seines Offiziers, der der Gefangennahme entronnen war, fünf Handkoffer verschiedener Größe, zwei Decken und ein Polster nebst einem Gepäckstück, das er auf dem Kopf trug, bei sich. Er beschwerte sich, die Kosaken hätten ihm zwei Koffer gestohlen.
Nie werde ich diesen Menschen vergessen, der sich so durch die ganze Ukraine schleppte. Er war ein lebendiger Spediteurwagen, und ich kann mir nicht erklären, wie er das alles ertragen, so viele Hundert Kilometer weit schleppen, damit nach Taschkent fahren und es behüten konnte, um dann auf seinem Gepäck im Gefangenenlager an Flecktyphus zu sterben.
Heute sind die Offiziersdiener über unsere ganze Republik verstreut und erzählen von ihren Heldentaten. Sie haben Sokal, Dubno, Nisch, die Piave gestürmt. Jeder von ihnen ist ein Napoleon.
»Ich hab unserm Oberst gesagt, er soll dem Stab telefonieren, daß es schon losgehn kann.«
Größtenteils waren es Reaktionäre, und die Mannschaft haßte sie. Einige waren Angeber, und es war eine besondere Freude für sie, wenn sie zuschauen konnten, wie man jemanden anband.
Sie entwickelten sich zu einer besonderen Kaste. Ihr Egoismus kannte keine Grenzen.
III
Oberleutnant Lukasch war der Typus eines aktiven Offiziers der morschen österreichischen Monarchie. Die Kadettenschule hatte ihn zu einer Amphibie erzogen. Er sprach in Gesellschaft deutsch, schrieb deutsch, las tschechische Bücher, und wenn er in der Einjährigfreiwilligenschule vor lauter Tschechen unterrichtete, sagte er ihnen vertraulich: »Seien wir Tschechen, aber es muß niemand davon wissen. Ich bin auch Tscheche.«
Er betrachtete das Tschechentum als eine Art Geheimorganisation, der man besser von weitem ausweicht.
Sonst war er ein braver Mensch, fürchtete sich nicht vor seinen Vorgesetzten und kümmerte sich bei den Manövern um seinen Zug, wie sichs gebührt und gehört. Er wußte ihn stets bequem in Scheunen unterzubringen und ließ häufig von seiner bescheidenen Gage seinen Soldaten ein Faß Bier anzapfen.
Er hörte es gern, wenn die Soldaten während des Marsches Lieder sangen. Sie mußten auch singen, wenn sie von der Übung und zu der Übung gingen. Und neben seinem Zug gehend, sang er mit ihm:
Und als die Mitternacht kam heran,
aus dem Sack der Hafer sprang.
Bumatrija bum!
Er erfreute sich bei den Soldaten einer großen Beliebtheit, denn er war ungewöhnlich gerecht und hatte nicht die Gewohnheit, jemanden zu sekkieren.
Die Unteroffiziere zitterten vor ihm, und aus dem rohsten Feldwebel machte er binnen vier Wochen ein wahres Schäfchen.
Er konnte schreien, das ist wahr, aber niemals schimpfte er. Er gebrauchte gewählte Worte und Sätze: »Sehen Sie«, sagte er, »ich strafe Sie wirklich ungern, Junge, aber ich kann mir nicht helfen, denn von der Disziplin hängt die Fähigkeit, die Tapferkeit des Militärs ab, und ohne Disziplin ist die Armee ein im Wind schwankendes Schilfrohr. Wenn Sie Ihre Montur nicht in Ordnung haben und die Knöpfe nicht gut angenäht sind und fehlen, sieht man, daß Sie die Pflichten vergessen, die Sie gegen die Armee haben. Es kann sein, daß es Ihnen unbegreiflich scheint, daß Sie eingesperrt werden sollen, weil Ihnen gestern bei der Ausrückung ein Knopf an der Bluse gefehlt hat, eine kleine, geringfügige Sache, die man in Zivil vollständig übersieht. Aber Sie sehen, daß so eine Vernachlässigung Ihres Äußeren beim Militär eine Strafe zur Folge haben muß. Und warum? Hier handelt es sich nicht darum, daß Ihnen ein Knopf fehlt, sondern darum, daß Sie sich an Ordnung gewöhnen müssen. Heute nähen Sie nicht den Knopf an und fangen an, sich zu vernachlässigen. Morgen wird es Ihnen schon beschwerlich scheinen, das Gewehr auseinanderzunehmen und zu putzen, übermorgen werden Sie irgendwo im Wirtshaus das Bajonett vergessen, und zu guter Letzt werden Sie auf dem Posten einschlafen, weil Sie mit diesem unglückseligen Knopf das Leben eines Schlampen begonnen haben. So ist es, Junge, und deshalb bestrafe ich Sie, um Sie vor einer noch ärgeren Strafe für Dinge zu bewahren, die Sie anstellen könnten, wenn Sie langsam, aber sicher Ihre Pflichten vergessen würden. Ich sperre Sie auf fünf Tage ein und möchte, daß Sie bei Brot und Wasser darüber nachdenken, daß eine Strafe keine Rache ist, sondern nur ein Erziehungsmittel, das eine Änderung und Besserung des bestraften Soldaten bezweckt.«
Er hätte bereits längst Hauptmann sein sollen, wurde es aber trotz seiner Vorsicht in nationaler Hinsicht nicht, weil er seinen Vorgesetzten gegenüber mit wahrhafter Offenheit auftrat und im Dienstverhältnis keine Kriecherei kannte.
Etwas in seinem Charakter erinnerte an einen Bauern aus Südböhmen, wo er in einem Dorf zwischen schwarzen Wäldern und Teichen geboren worden war.
Wenn er aber auch den Soldaten gegenüber gerecht war und sie nicht quälte, so wies sein Charakter dennoch einen besonderen Zug auf. Er haßte seine Putzer, weil er immer das Glück hatte, den unausstehlichsten und niederträchtigsten Putzfleck zu bekommen.
Er schlug sie über den Mund, ohrfeigte sie und bemühte sich, sie durch Verweise und Taten zu erziehen, ohne sie für Soldaten zu halten. Er kämpfte mit ihnen hoffnungslos durch eine Reihe von Jahren, hatte unaufhörlich neue und seufzte zum Schluß: »Wieder hab ich so ein gemeines Rindvieh bekommen!« Seine Diener betrachtete er als eine niedrigere Sorte von Lebewesen.
Außerordentlich groß war seine Liebe zu Tieren. Er besaß einen Harzer Kanarienvogel, eine Angorakatze und einen Stallpinscher. Diese Tiere wurden von den Dienern, die Oberleutnant Lukasch bereits gehabt hatte, nicht schlechter behandelt, als er sie selbst behandelte, wenn sie eine Gemeinheit anstellten.
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