»Der Kranke soll die Letzte Ölung womöglich empfangen, solange er noch bei voller Besinnung ist.«
Dann kam die Ordonnanz und brachte einen Brief, in welchem dem Feldkuraten angezeigt wurde, daß morgen bei der heiligen Handlung im Krankenhaus »Die Vereinigung adeliger Damen zur Pflege der religiösen Erziehung der Soldaten« anwesend sein werde.
Diese »Vereinigung« bestand aus hysterischen alten Weibern und verteilte unter die Soldaten in den Spitälern Heiligenbilder und Geschichten von einem katholischen Krieger, der für Seine Majestät den Kaiser stirbt. Diese Geschichten waren mit farbigen Bildchen geschmückt, die das Schlachtfeld veranschaulichten. Überall wälzten sich Menschen- und Pferdeleichen, umgeworfene Munitionswagen und Kanonen mit steil aufgerichteten Lafetten. Am Horizont brannte ein Dorf, explodierten Schrapnells, und im Vordergrund lag ein sterbender Soldat mit abgerissenem Bein. Ein Engel beugte sich über ihn und reichte ihm einen Kranz mit folgender Inschrift auf der Schleife: »Noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein.« Und der Sterbende lächelte selig, als bringe man ihm Gefrorenes.
Als Otto Katz den Inhalt des Briefes gelesen hatte, spuckte er aus und dachte: Das wird morgen wieder ein Tag sein!
Er kannte dieses Gesindel, wie er es nannte, aus der Ignatiuskirche, wo er vor Jahren Militärpredigten gehalten hatte. Damals wandte er an die Predigt noch viel Mühe, und die »Vereinigung« pflegte hinter dem Obersten zu sitzen. Zwei aufgeschossene Weibsbilder in schwarzen Kleidern mit Rosenkränzen hatten sich ihm einmal nach der Predigt angeschlossen und zwei Stunden lang über die religiöse Erziehung der Soldaten gesprochen, so lange, bis er ihnen endlich wutentbrannt gesagt hatte: »Verzeihen Sie, meine Damen, auf mich wartet der Herr Hauptmann mit einer Partie Färbl.«
»Also wir ham schon Öl«, sagte Schwejk feierlich, als er von der Firma Polak zurückkehrte, »Hanföl Nummer 3, beste Qualität, wir können damit ein ganzes Bataillon einschmieren. Es is eine solide Firma. Sie verkauft auch Firnis, Lack und Pinsel. Noch ein Glöckchen brauchen wir.«
»Wozu ein Glöckchen, Schwejk?«
»Wir müssen am Weg läuten, damit die Leute vor uns den Hut abziehn, wenn wir Gott den Herrn und dieses Hanföl Nummer 3 tragen, Herr Feldkurat. Das macht man so, und es sind schon viele Leute, die das nichts angegangen is, eingesperrt worn, weil sie nicht den Hut gezogen ham. In Zižkov hat einmal der Pfarrer einen Blinden verprügelt, weil er bei so einer Gelegenheit nicht den Hut gezogen hat, und der is noch eingesperrt worn, weil man ihm bei Gericht nachgewiesen hat, daß er nicht taubstumm is und nur blind und daß er das Klingeln von dem Glöckchen gehört hat und Ärgernis erregt hat, obzwar es in der Nacht war. Das is wie am Fronleichnam. Sonst möchten sich die Leute gar nicht auf uns umschaun, und so wern sie vor uns den Hut ziehn. Wenn Sie also nichts dagegen ham, Herr Feldkurat, bring ichs gleich.«
Nachdem er die Zustimmung erhalten hatte, brachte Schwejk nach einer halben Stunde ein Glöckchen. »Es ist vom Tor der Kneipe ›Zum Kreuzl‹«, sagte er, »es hat mich fünf Minuten Angst gekostet, und ich hab lang warten müssen, weil in einem fort Leute vorbeigegangen sind.«
»Ich geh ins Kaffeehaus, Schwejk, wenn jemand käm, soll er warten.«
Etwa eine halbe Stunde später kam ein grauer älterer Herr mit aufrechter Haltung und strengem Blick.
Aus seinem ganzen Äußern sprühte Zorn und Ingrimm. Er schaute drein, als wäre er vom Schicksal entsandt, um unseren elenden Planeten zu vernichten und seine Spuren im Weltall zu vertilgen.
Seine Sprache war scharf, trocken und streng: »Zu Hause? Ins Kaffeehaus gegangen? Ich soll warten? Gut, ich werde bis früh warten. Aufs Kaffeehaus hat er Geld, aber Schulden zahlen, das nicht. Ein Priester, pfui Teufel!«
Er spuckte in der Küche aus.
»Spucken Sie uns hier nicht herum!« sagte Schwejk, der den fremden Herrn mit Interesse betrachtete.
»Und noch einmal spuck ich aus, sehn Sie, so«, sagte hartnäckig der strenge Herr, zum zweitenmal auf den Fußboden spuckend, »daß er sich nicht schämt. Ein Militärgeistlicher, eine Schande!«
»Wenn Sie ein gebildeter Mensch sind«, machte ihn Schwejk aufmerksam, »dann gewöhnen Sie sich ab, in einer fremden Wohnung zu spucken. Oder glauben Sie, weil Weltkrieg is, können Sie sich alles erlauben! Sie solln sich anständig benehmen und nicht wie ein Menschenfresser, Sie solln fein vorgehn, anständig reden und sich nicht aufführen wie ein Gassenbub, Sie blöder Zivilist, Sie!«
Der strenge Herr stand vom Stuhl auf, begann vor Aufregung zu zittern und schrie: »Was unterstehn Sie sich da, wenn ich kein anständiger Mensch bin, was bin ich also, sprechen Sie …!«
»Ein Scheißer sind Sie«, entgegnete Schwejk, ihm in die Augen blickend, »Sie spucken auf die Erde, wie wenn Sie in der Elektrischen, im Zug oder in einem öffentlichen Lokal wärn. Ich hab mich in einem fort gewundert, warum dort überall Zettel hängen, daß das Spucken auf die Erde verboten is, und jetzt seh ich, daß das wegen Ihnen is. Man muß Sie wahrscheinlich überall sehr gut kennen.«
Der strenge Herr wechselte die Gesichtsfarbe und bemühte sich, mit einem Ansturm von Schimpfworten zu antworten, die an Schwejk und an den Feldkuraten adressiert waren.
»Sind Sie fertig mit Ihrer Rede?« fragte Schwejk ruhig (als das letzte »Lumpen seid ihr beide, wie der Herr, so der Knecht« verklungen war), »oder wolln Sie noch was hinzufügen, bevor Sie die Stiege herunterfliegen?«
Da der strenge Herr bereits so erschöpft war, daß ihm kein würdiger Schimpfname mehr einfiel, weshalb er verstummte, nahm Schwejk an, daß er vergeblich auf eine Ergänzung warten würde.
Er öffnete die Tür, kehrte den strengen Herrn mit dem Gesicht zum Gang und versetzte ihm einen Stoß, für den sich nicht einmal der beste Spieler der besten internationalen Fußballmeister-Mannschaft hätte schämen müssen.
Und hinter dem strengen Herrn erscholl Schwejks Stimme auf der Stiege: »Nächstens, wenn Sie zu anständigen Leuten auf Besuch gehn, so benehmen Sie sich anständig.«
Der strenge Herr ging lange unter den Fenstern auf und ab und wartete auf den Feldkuraten.
Schwejk öffnete das Fenster und beobachtete ihn.
Schließlich kehrte der Feldkurat zurück; er führte den Gast ins Zimmer und ließ ihn sich gegenüber auf einem Stuhl Platz nehmen.
Schwejk brachte schweigend einen Spucknapf und stellte ihn vor den Gast.
»Was machen Sie da, Schwejk?«
»Melde gehorsamst, Herr Feldkurat, mit dem Herrn war hier schon eine kleine Unannehmlichkeit wegen Spucken aufn Fußboden.«
»Verlassen Sie uns, Schwejk, wir haben etwas miteinander zu erledigen.«
Schwejk salutierte. »Melde gehorsamst, Herr Feldkurat, daß ich Sie verlasse.«
Er ging in die Küche, und im Zimmer wurde ein überaus interessantes Gespräch geführt.
»Sie sind das Geld für den Wechsel holen gekommen, wenn ich mich nicht irre?« fragte der Feldkurat seinen Gast.
»Ja, und ich hoffe …«
Der Feldkurat seufzte.
»Der Mensch kommt in solche Situationen, daß ihm nur eine einzige Hoffnung bleibt. Wie schön ist das Wörtchen ›hoffen‹ aus jenem Kleeblatt, das den Menschen aus dem Chaos des Lebens emporhebt: ›Glaube, Hoffnung, Liebe‹.«
»Ich hoffe, Herr Feldkurat, daß der Betrag …«
»Gewiß, Verehrter«, unterbrach ihn der Feldkurat, »ich kann nochmals wiederholen, daß das Wort ›hoffen‹ den Menschen in seinem Kampf mit dem Leben stärkt. Auch Sie verlieren nicht die Hoffnung. Wie schön ist es, ein bestimmtes Ideal zu haben, ein unschuldiges reines Wesen zu sein, das Geld auf einen Wechsel leiht und die Hoffnung hat, ihn rechtzeitig eingelöst