Klaus verstand absolut nicht, was sie ihm mitteilen wollte. Stattdessen wurde er immer neugieriger. Um sie ein wenig zu ermutigen, meinte er: »Fang doch einfach am Anfang an.«
Svetlana atmete tief ein, so als müsste sie ein letztes Mal Kraft tanken. »Ich habe dir ja gesagt, ich stamme aus Budapest. Erinnerst du dich?« Als Klaus nickte, fuhr sie fort. »Eigentlich bin ich im Umland von Budapest groß geworden, meine Eltern hatten einen Bauernhof, was uns in die glückliche Lage versetzte, dass wir ein gutes Leben führten, denn so konnten wir einen regen Tauschhandel betreiben und uns so das ein oder andere leisten. Du weißt bestimmt, dass damals der sogenannte Eiserne Vorhang und der Kalte Krieg noch da waren.«
»Ja, die NATO gegen den Warschauer Pakt, ich weiß.«
»Ich frage nur interessehalber, bist du in der BRD oder der DDR aufgewachsen?«
»BRD. Aber ich verstehe immer noch nicht, was dir so schwerfällt, mir zu sagen. Was willst du mir beantworten?«
»Du hast mich gestern gefragt, wie ich von Budapest nach Stockholm gekommen bin. Das würde ich dir gern erzählen und hoffe, du verträgst die Wahrheit.« Statt etwas zu sagen, schaute Klaus sie nur sehr irritiert an. Er bedeutete ihr, einfach fortzufahren, doch sie fragte ihn nur: »Kannst du mit dem Begriff Stasinutte etwas anfangen?«
Klaus überlegte kurz. »Waren das nicht diese, nennen wir sie armen Frauen, die von der Staatssicherheit der DDR auf westliche Manager und Wissenschaftler angesetzt wurden, um mit denen in die Kiste zu hüpfen und ihnen danach am besten noch irgendwelche Geheimnisse zu entlocken oder sie gegebenenfalls mit pikanten Fotos zu erpressen?«
»Ja, so kann man es sagen. Bei uns in Ungarn gab es auch solche Damen.« Svetlana machte eine Pause und schaute Klaus an.
»Aha. Und was willst du mir sagen?«, hakte er nach.
»Nun, als junges Mädchen hat mich das Leben auf unserem Hof nicht gerade begeistert. Ich war kurz vor dem Schulabschluss, da wurde ich von einem Mann in der Schule angesprochen, damals kamen immer wieder Männer und Frauen, um zu schauen, ob wir für diesen oder jenen Beruf geeignet wären. Da ich eine sehr gute Schülerin war, hatte ich mehrere solcher Anfragen. Dieser Mann fragte mich, ob ich nicht meine Fremdsprachenkenntnisse erweitern wollte. Ich dachte, ich sollte irgendwo für unsere Politiker übersetzen und würde viel reisen, so malte er mir das auch aus, wahrscheinlich, um es mir schmackhaft zu machen, jedenfalls willigte ich ein und nach der letzten Klasse kam ich dann in Budapest auf eine Sprachschule. Ich lernte weiter Russisch, dazu Deutsch, was leider sehr eingerostet ist, Englisch und auch Schwedisch. Meinen Abschluss machte ich mit Bravour und freute mich bereits drauf, viel zu reisen. Aber dann …« Sie machte eine Pause.
Klaus schaute sie an und bat sie, weiterzuerzählen.
»Jedenfalls wurde ich mit meinem Abschlusszeugnis dann in das Büro des Direktors gebeten und dort saßen er sowie noch ein Mann und eine Frau. Beide waren mir unbekannt. Sie zeigten mir Fotos von mir, wie ich an den Wochenenden, wie es Jugendliche so tun, in Discos war und auch mit einigen Jungen geflirtet, sie geküsst habe und mit zweien war ich auch … intim.«
Man merkte, dass es Svetlana immer schwerer fiel, weiterzusprechen, und sie beobachtete Klaus’ Reaktionen sehr genau. Der nickte nur, er hatte eine Ahnung, was jetzt kommen würde, aber er bedeutete ihr nur mit der Hand, fortzufahren.
»Man zeigte mir also die Fotos und meinte, ich würde mich gut als Frau machen. Und dann sagte man mir zunächst in freundlichem Ton, dass man eben von mir erwarten würde, dass ich in den einschlägigen Hotels, in denen die Westmänner übernachteten, mich an diese ranmachen und auch mit ihnen schlafen sollte, um eben Geheimnisse zu bekommen.«
»Ach, deswegen hast du nach den Stasifrauen gefragt«, meinte Klaus und vermied absichtlich das Wort Nutte.
»Ja, und als ich wissen wollte, was passieren würde, wenn ich mich weigern würde, bekam ich zur Antwort, dass man eben dafür sorgen würde, dass diese Bilder und noch einige mehr bei uns öffentlich werden würden. Und damit wäre ich dann als Schlampe gebrandmarkt gewesen in der damaligen Zeit. Meiner Familie sollte ich erzählen, ich wäre eine gute Übersetzerin. Ich gebe zu, es hatte seine Vorteile. Ich bekam sofort eine schöne, komplett eingerichtete Wohnung, tolle Kleider und so weiter. Es war nur jedes Mal für mich ein Graus, heimzufahren. Vielleicht hat es mich auch ein wenig geblendet, der ganze Glanz, ich hatte schicke Kleidung, die sonst nicht jede Frau hatte. Ich machte den Job mehrere Jahre, jedoch merkte ich, wie es mir immer schwerer fiel. Je weiter es mit dem sozialistischen System bergab ging, umso härter wurden wir rangenommen, umso mehr Druck bekamen wir. Als ich neunundzwanzig war, war ich mal wieder an der Hotelbar dieses einschlägigen Palasthotels, da sah ich ihn! Ole. Er war so ganz anders als die anderen Männer aus dem Westen, verstehst du?«
»Wie anders?«, hakte Klaus nach, gebannt von dem Mut, den sie aufbrachte, ihm das alles zu erzählen, und auch von der Geschichte.
»Na ja, die meisten Männer aus dem Westen waren großkotzig und prahlten. Bei uns war für die ja alles extrem billig, die haben sich dann gerne besoffen und so. Du ahnst gar nicht, was Kerle alles wollen, wenn sie besoffen sind. Jedenfalls war er ganz anders. Er war der Einzige, der in der Bar am Tresen saß und noch komplett in Anzug sowie Krawatte war. Nicht so wie die anderen mit offenen Hemden, manchmal sogar mit Goldkettchen. Auch sah ich sofort, dass er nicht verheiratet war, viele dieser Männer hatten zwar den Ring abgelegt, aber man sah natürlich noch den Streifen am Finger. Ole saß einfach da und trank sein Bier. Er war total in sich gekehrt, schaute sich nicht suchend um. Wir wussten alle, dass es immer mindestens einen Spitzel in der Bar gab, wenn wir auch nicht immer wussten, wer es war. Also habe ich mich zwei Sitze neben ihm platziert und irgendwann angefangen, oder besser gesagt es versucht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Aber was ich auch tat oder sagte, er war höflich und charmant, doch immer so abweisend, dass ich merkte, der wollte nichts von einer Frau. Am nächsten Tag wurde ich dann informiert, dass Ole ein sehr bedeutender Mann im Innenministerium von Schweden wäre und ich ihn unbedingt kompromittieren müsste. Also bin ich abends wieder hin, dieses Mal im Businesskostüm, und versuchte, irgendwie in die Rolle der gestressten Frau zu schlüpfen. Aber auch das gelang nicht, er machte mir Komplimente, war extrem charmant, aber immer zurückhaltend, fast so wie du. Und irgendwie merkte ich da, dass ich raus musste aus dieser, sagen wir, Nuttenmühle. Fragte sich nur wie. Ich wusste, dass er noch drei Nächte dableiben würde. Einen Tag gönnte ich ihm Ruhe, damit er nicht dachte, ich würde ihn bedrängen. Aber ich war nicht ganz untätig. Ole hatte es mir angetan. So hatte mich noch kein Mann behandelt, so gut, so charmant. Ich musste ihm irgendwie eine Nachricht zukommen lassen. Also schrieb ich eine kurze Mitteilung und am nächsten Abend, als wir wieder zusammensaßen, da schob ich ihm diese heimlich in sein Jackett. Er wusste, wie er mir später sagte, schon zu diesem Zeitpunkt, dass ich nicht ganz freiwillig dauernd bei ihm war. In der Nachricht hatte ich mich ihm offenbart und darum gebeten, dass er mich dort rausholen sollte. Als er von der Toilette kam, hatte er die Nachricht wohl entdeckt und gelesen gehabt und fing an, mit mir zu flirten Zunächst war ich irritiert, aber ich stieg drauf ein und irgendwann bat er mich darum, mit ihm in ein Restaurant zu gehen. Wir verließen die Bar und nach einigen Minuten schaute er zwar immer noch charmant, fragte mich gleichzeitig aber sehr hart aus. Da sagte er mir auch, dass er von Anfang an so etwas vermutet hatte, was meine Position anging. Wer uns beobachtete, dachte wohl, wir wären ein verliebtes Paar, nur reden durfte man uns nicht hören. Beim Essen haben wir dann wieder nur Small Talk betrieben und auf dem Weg zurück zu seinem Hotel meinte er, er könnte so auf die Schnelle nichts machen, aber er würde meinen Leuten jetzt in die Hände spielen. Wir gingen auf sein Zimmer und als ich dachte, jetzt wollte er doch Sex, nahmen wir nur einen Drink. Ich höre noch heute die Worte: Schöne Frau, gern würde ich jetzt mit Ihnen etwas anderes machen, aber leider bin ich seit meiner OP nicht mehr dazu in der Lage. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, jedenfalls komplimentierte er mich danach aus dem Zimmer und ich musste gleich am nächsten Morgen Rede und Antwort stehen. Ich kam mir vor wie in einem Agentenfilm, was ja auch nicht ganz gelogen war. Ich sollte ihn abends noch einmal sehen und da steckte