Aelia zog ihren Mantel enger um sich, als sie Dardanus, Marcellus und dem Offizier folgte. Man starrte sie mit unverhohlener Neugierde an, manche machten rasch ein verstohlenes Zeichen vor der Brust, als sei sie ein Dämon.
Sarus fasste sie am Arm und zog sie weiter. Ihr Unbehagen stieg. Am Rand der Menge sah sie bewaffnete Soldaten – gut ausgerüstete Männer mit Schwertern und Kettenhemden. Sie mussten zu Marcellus’ Leibwache gehören.
Sarus führte Aelia in einen dunklen Winkel des Badesaals. Ein paar Soldaten kamen und postierten sich um sie herum, während Sarus Aelia den Mantel abnahm und sie zu massieren begann. Das hatte er noch nie getan. Seine festen Hände griffen in ihren Nacken und strichen hart darüber hinweg. Ein kalter Schauer lief über ihren Rücken, als ihr klar wurde, dass es ihm nicht um die Massage ging. Er würde sie sofort packen, sollte sie sich auch nur einen Zoll wegbewegen.
Ein Raunen lief durch die Versammelten, als zwei dunkel gewandete Gestalten durch den Saal schritten. Ihre Gesichter konnte man unter den großen Kapuzen, die sie trugen, nicht sehen. Rasch durchquerten sie den Saal, bis die Menschenmenge sie verschluckte.
Aelia spürte, wie Sarus’ Griff fester wurde, wie er mit kleinen, heftigen Bewegungen ihren Oberarm knetete, als wollte er damit den Siegeswillen seines Herrn bekräftigen. Ihre Angst stieg. War es Verina auch so ergangen? Hatte man sie hierher gefahren und dann kämpfen lassen? Eine Mischung aus Wut und Hass stieg in ihr auf, als sie an den Soldaten vorbei auf die Zuschauer blickte, während die Gäste neugierige Blicke auf sie warfen.
Marcellus bahnte sich einen Weg durch die Menschen. »Werte Gäste, liebe Freunde!«, rief er, und das Stimmengewirr brach ab. »Die Wetten sind abgeschlossen. Wenn ihr euch jetzt zu den Plätzen begeben wollt!«
Die Menschen schlossen sich zu einer Traube zusammen, die sich langsam zu einem der größeren Badebecken an einer Längsseite des Saales bewegte und an seinem Rand stehen blieb. Fackelträger kamen hinzu und säumten die Treppe, die zum Beckenrand führte.
Das war kein Ort für ein Gastmahl. Marcellus’ Gäste hatten offenbar schon gegessen und sich jetzt an diesen verlassenen Ort begeben, um einen richtigen Kampf zu sehen. Aelias Herzschlag beschleunigte sich.
Sarus führte Aelia durch die Zuschauer hindurch, die eine Gasse für sie bildeten. In ihren Blicken lag etwas Lauerndes, etwas Gieriges, etwas, das ihr ganz und gar nicht gefiel. Sie hielt nach Dardanus Ausschau, nach Marcellus, sah sie nirgends, und mit erschreckender Klarheit wurde ihr bewusst, dass sie allein war, allein und ungeschützt, ausgeliefert diesen Menschen, die nichts anderes wollten als einen guten Kampf zu sehen.
Ihr Lehrer führte sie zum Wasserbecken und trat zur Seite. Neben ihm am Rand des Beckens standen mehrere bewaffnete Soldaten. Die Zuschauer begannen zu rufen und zu pfeifen, um nach einer Weile, in der nichts geschah, durch rhythmisches Klatschen ihrer Ungeduld Ausdruck zu verleihen.
In diesem Augenblick kam ein Mann aus einem Winkel des Saales, nahm Aelia am Arm und führte sie zum Beckenrand. Er trug eine dunkle Tunika, auf der eine gelbe Sonne prangte, und eine gelbe Stoffsonne auf dem Kopf, deren Strahlen in alle Richtungen zeigten. Aelia kannte ihn, er war ein Sklave von Marcellus, der die Kämpfe ankündigte. Das Publikum johlte und klatschte. Er hob die Hand und winkte ihnen zu.
»Verehrte Gäste! Im Namen eures Gastgebers, des vortrefflichen Marcellus, begrüße ich euch zum größten Schauspiel des Jahres. Lasst uns zusammen in dieser Nacht die Geburt unseres Herrn Sol Invictus feiern!«
Das Publikum jubelte. Der Applaus hallte laut von den hohen Wänden wider und schwappte über Aelia hinweg. Zwei Soldaten packten sie und schoben sie über eine Holztreppe hinunter ins Becken. Die Mauern des rechteckigen Beckens waren hoch und überragten sie etwas. Über ihr brannte eine Fackel in einem Halter an der Wand. Ihr Lichtschein zuckte über die Reste einer marmornen Beckenverkleidung, die Kühle ausströmte, als wäre das Wasser noch darin.
Aelia fror, als die Angst sie packte. Ohne Mantel und nur in ihrem seidenen Gewand, das Dardanus ihr extra hatte anfertigen lassen, fühlte sie sich nackt. Ihr war, als striche ein kühler Lufthauch über ihren kahlen Kopf. Sie sah hinauf zu den Zuschauern, die den Beckenrand umringten, und entdeckte das Gesicht des Offiziers, der ihr gerade vorgestellt worden war – Tertinius. Er sah sehr ernst aus. Sie suchte Dardanus und Marcellus, konnte sie aber nicht sehen. Stattdessen erkannte sie den Gastgeber des letzten Festmahles, bei dem sie gekämpft hatte, Eborius, und seine Frau, die unverwandt auf sie herunterstarrten.
Sarus wachte mit verschränkten Armen und undurchdringlicher Miene am Beckenrand bei den Soldaten.
»Noch ist es Nacht!«, erklang die Stimme des Ausrufers. »Tiefe dunkle Nacht. Brach liegen die Felder, die Erde harrt in winterlicher Kälte. Alle Wasser sind zu Eis gefroren, und in den Wäldern schwebt der Hauch der Winterdämonen. Solange das Land ihrem düsteren Gott gehört, dürfen sie tun, was sie wollen – nachts in den Wäldern heulen, Menschen fangen und ihnen ihren kalten Odem einhauchen, bis sie erfrieren.«
Ein Soldat reichte Aelia einen kleinen runden Schild und ein Messer. Was sollte das? Warum bekam sie Waffen? Sie hatte noch nie einen Schild getragen und kannte sich damit nicht aus. Der Messergriff blitzte silbern im Licht der Fackel. Kühl schmiegte er sich in ihre Hand. Es war also ein Kampf mit Waffen, ein Gladiatorenkampf.
Ein verbotener Kampf.
Sie merkte, wie sie zu zittern begann. Fest schloss sie ihre linke Hand um die lederne Schildfessel, während wie durch eine dicke Nebelwand, als sei er weit weg, die Stimme von Marcellus’ Sklave an ihr Ohr drang.
»… alles Lebende hat sich tief ins Innere der Erde zurückgezogen und wartet, bis die Herrschaft des Winters vorbei ist. Der Anfang vom Ende ist gekommen, meine lieben Gäste, wenn der erste Sonnenstrahl nach der längsten Nacht auf die gefrorene Erde fällt. Er ist noch schwach, aber er trägt etwas in sich, das stärker ist als Hoffnung und Zuversicht: Gewissheit. Der erste Sonnenstrahl nach der längsten Nacht schenkt der Erde die Gewissheit, dass der Winter ein Ende haben wird. Sie, die tot war und ihrer Erinnerungen beraubt, wird auferstehen und leben wie zuvor. Der erste Lichtstrahl nach der längsten Nacht ist die Geburtsstunde unseres Gottes. Denn er wird wiedergeboren und die Erde erwecken, und sie beginnt, sich an den letzten Sommer zu erinnern, an seine Wärme, seinen Geruch, die singenden Vögel, die Früchte. Solange man sich erinnert, ist nichts verloren. Die Erde wird sich erinnern und alles wieder erschaffen, wie es war. Das ist die Verheißung dieser Nacht!«
Eine Weile war es still, dann klatschten die Vornehmen Beifall. Danach fuhr der Ausrufer fort: »Es ist seit jeher Brauch, diese Nacht zu feiern. Viele glauben, die Tradition der Kämpfe und Spiele wäre tot, seitdem unser Amphitheater verfällt. Aber sie ist nicht tot, sie lebt wie unser Gott! Deshalb wollen wir heute Nacht einen Kampf veranstalten, den Kampf zwischen Tag und Nacht, zwischen Dunkelheit und Licht. Ein Kampf zwischen den Dämonen des Winters und des kommenden Frühlings. Lasst uns sehen, wer den Sieg davontragen wird!«
Applaus brandete auf, vereinzelte Rufe und Pfiffe ertönten. Die Zuschauer bildeten eine Gasse, um jemanden hindurch zu lassen: jene Gestalt im schwarzen Mantel, die beim Betreten der Halle mit Applaus empfangen worden war. Aelias Gegnerin.
Behände kletterte sie die Holztreppe zum Becken hinab. Als sie unten stand, wurde die Treppe hinaufgezogen.
Tief hing die Kapuze ins Gesicht der Frau. Sie war groß, aber nicht größer als Aelia, und unter ihrem Mantel ragte etwas hervor, das Aelia das Blut in den Adern stocken ließ: die Klinge eines langen Schwertes.
Aelias Herz pochte bis zum Hals. Vor ihrem geistigen Auge tauchte ein Bild auf, klar und unmittelbar – Blut auf blauer Seide. Ihr Blut. Sie würde sterben. Sie war die Nacht, das Dunkle, der Dämon des Winters. Noch bevor der Morgen graute, würde man ihren erkalteten Leib in eine Kiste legen. Marcellus, Dardanus, Sarus – sie alle hatten sie betrogen. Sie hatten sie hierher gebracht, an diesen unwirtlichen