Ich betrete die Hotellobby. Alles glänzt hier, Kronleuchter, teure Edelhölzer, Stuck, Messing und Gold in Hülle und Fülle. Das »Metropole« ist das einzige Luxushotel aus dem 19. Jahrhundert, das es im Brüsseler Zentrum immer noch gibt und die Einrichtung lässt nichts unversucht, einem dies ständig unter die Nase zu reiben.
Mein Weg führt möglichst weit weg von der Rezeption, hinein in die verwinkelten Gänge und Räume des Tagungsflügels. Trotzdem folgen mir etliche Augenpaare, als ich in meinem duftigen, weißen Kleid vorüberschwebe, eine elfenhafte Gestalt mit wehenden dunkelbraunen Haaren. Auch dies ist ein Teil der Tarnung.
Zwei Wochen zuvor hatte ich bereits ein anderes Telefonat geführt, ebenfalls auf Niederländisch. Oder Flämisch, wie die Belgier hier dazu sagen.
»Spreche ich mit Denise? Hier ist Anne Spreuw, Privatsekretariat von Mijnheer van Brueggen. Ich würde Sie gern im Auftrag meines Chefs buchen. Für Sonntag, den siebzehnten August, ab dreiundzwanzig Uhr im ›Metropole‹. Wäre das möglich, sind Sie noch frei? Ah, das ist schön! Mein Chef möchte, dass Sie in einem schlichten, weißen Kleid mit Spaghettiträgern kommen, mit weißer Handtasche. Falls Sie nichts Passendes haben, dann kaufen Sie es bitte und setzen es mit auf die Rechnung. Ach ja, und offene Haare bitte – da ist er eigen. Wie bitte? Ja, genau, Barzahlung am Abend. Ich rufe Sie dann an diesem Abend an und gebe Ihnen die Zimmernummer durch, ja? Sehr schön! Ich bedanke mich und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag! Op Wiederhoeren!«
Das Internet ist eine herrliche Sache, ich weiß nicht, wie die Leute früher ohne überleben konnten! Denise hatte ich problemlos im Netz über ihre Bilder bei einer Brüssler Escort-Agentur aufgetrieben. Sie hat etwa meine Größe und Figur, was ich bei einer persönlichen Inaugenscheinnahme in einem Café prüfte. Sie wunderte sich lediglich, warum der angekündigte Kunde nicht auftauchte und ging schließlich wieder nach Hause. Bei dieser Gelegenheit fand ich auch heraus, wo sie wohnt, dass sie mit einem Mann mit anderem Nachnamen zusammenlebte und dass er offenbar nichts von ihrem einträglichen Nebenberuf als Callgirl wusste. Alle Zutaten für ein perfektes Szenario also!
»Miss Talker! Wie schön, Sie wiederzusehen!«
Georg erwartet mich an der kleinen Bar im 3. Stock. Er trägt einen schicken, anthrazitfarbenen Anzug, eine grellorangefarbene Krawatte und irgendetwas Glitzerndes an den Manschetten. Dabei strahlt er mich an wie ein Immobilienmakler, der einer älteren Dame die Vorzüge eines Anwesens erklärt, und genießt sichtlich meinen feminin zurecht gemachten Anblick. Ich wiederum genieße seinen Blick, wie er über meinen Körper streicht, und spüre prickelnde Vorfreude durch die Schenkel ziehen.
»Ganz, ganz herzlichen Dank, dass Sie sich nochmals Zeit für mich nehmen, Mr van Brueggen!«, bedanke ich mich artig. »Ich bin fast fertig mit der Arbeit, aber ein paar Punkte möchte ich Sie noch fragen.«
»Aber gern. Was möchten Sie trinken?« Er weist auf den Barhocker neben sich.
Nicht gut. Zu viele Leute ringsum.
»Oh, das ist nett, aber könnten wir vielleicht irgendwohin gehen, wo es ein wenig ruhiger ist als hier? Von dem Getippe am Computer habe ich schon den ganzen Tag Kopfweh, und ich möchte mich doch konzentrieren.«
»Ach wirklich. Nun, vielleicht ein Spaziergang ... oder ...«, er tut so, als falle ihm das ganz spontan ein und schafft es fast, mir dabei nicht in den offenherzigen Ausschnitt zu glotzen, »... wir können uns auf meinem Zimmer unterhalten, dort ist es ganz still.«
»Wäre das möglich? Oh, das ist super. Ich weiß gar nicht, wie ich mich bei Ihnen bedanken kann.«
Seine Augen leuchten auf, und ich kann förmlich das Textband dahinter lesen: »Da fällt mir schon was ein, Kleine!«
Gleich darauf sind wir in seinem Zimmer im fünften Stock, eine Suite mit großem Schlafzimmer, einer Teeküche und einem Eck mit Schreibtisch, alles geschmackvoll-traditionell-modern in Terrakotta und Beigeweiß eingerichtet. Er geleitet mich formvollendet zum Ecksofa und hat mir einen Champagner aufgetischt, noch bevor ich den Block, nun schon halb vollgekritzelt, aus meiner großen und verdächtig schweren Handtasche ziehen kann. Wie ich so in bemühter Unbehaglichkeit auf der Kante des Sofas kauere, da presst sich diese angenehm von unten gegen meinen Unterkörper und ich reibe die Schenkel ein wenig aneinander. Er bemerkt es aus den Augenwinkeln und verschüttet etwas von dem teuren Zeug.
»Also, Mr van Brueggen ...«, beginne ich.
»Georg, bitte!«
»Wie bitte? Äh, also ... das ist ...« Ich räuspere mich. »Gut. Georg. Ich heiße Jana.«
»Schön, dass Sie heute Abend da sind, Jana!« Er hält mir seine Champagnerflöte hin, das Feuer in den Augen immer noch sorgsam verborgen. Die Gläser klingen elfenfein beim Anstoßen.
»Also, Georg«, versuche ich es erneut, »ich habe etwas über diesen Major, diesen James Umbriega nachgeforscht. Sie sagten ja, er hätte keine Verbindungen. Aber wussten Sie, dass er drei Jahre bei den Jesuiten gelebt hat und dass er einen unehelichen Sohn mit einer Philippinerin hat, der in Manila lebt?«
Georg setzt das Glas ab und sieht mich erstaunt an.
»Nein«, meint er langsam und mustert mich mit neuem Respekt. »Das wusste ich noch nicht.«
Kein Wunder. Es ist ja auch schlicht von mir erfunden.
Ich klatsche begeistert in die Hände. »Wow! Das ist krass! Ich dachte nicht, dass ich Sie damit wirklich überraschen könnte. Jedenfalls ...«, hier beuge ich mich wieder enthusiastisch weit vor, »... das könnte doch der fehlende Link sein, oder? Die Jesuiten mischen auch an anderer Stelle in Afrika mit, und auf den Philippinen gibt es genug Rauschgift für alle Diktatoren der Welt, oder etwa nicht?«
Er lehnt sich nach einem intensiven Blick in meine Auslage zurück und denkt nach. Die Rädchen in seinem Kopf klicken fast hörbar, als er sich auf der Grundlage meiner Falschinformation ein neues Bild der Situation einige tausend Kilometer südlich von uns bastelt. Dann nickt er langsam und sieht mich bedeutungsvoll an.
»Jana, wenn das wirklich stimmt, dann haben Sie einen Volltreffer gelandet! Die Geheimdienste wissen so etwas vermutlich, aber die Öffentlichkeit bis jetzt noch nicht.« Er beugt sich vor und nimmt vertraulich meine Hände in die seinen. Kühle Haut in warmem Griff. Für einen irritierenden Augenblick lang fühlt es sich so an, als befänden sich meine Finger in einer körperwarmen Bärenfalle, kurz vor dem Zuschnappen. Ich schüttle diese Empfindung schnell ab und hole tief Luft, damit sich die Umrisse meiner Brüste schön gegen das eng anliegende Kleid drücken.
»Wenn Ihr Professor das von Ihnen liest und daraus vielleicht eine eigene Veröffentlichung oder einen Artikel macht, dann ist Ihnen die Eins garantiert, das verspreche ich Ihnen.«
»Ehrlich?«, hauche ich überwältigt.
»Ja, bestimmt! Für so etwas leben diese Theoretiker doch. Und falls er keine Lust hat, selbst etwas zu schreiben, dann kann er die Information vielleicht an die ›Financial Times‹ verkaufen oder so.«
Ich sinne kurz nach, dann grinse ich, mache mich aus seinem Griff los und hebe das Sektglas wieder.
»Das ist die beste Nachricht, die ich seit langem gehört habe, Mr van ... Georg! Ich habe mich so verrückt gemacht mit diesem Paper, ich bin seit Wochen gar nicht mehr richtig zum Leben gekommen! Mein Gott, da habe ich jetzt ja einen richtigen freien Abend!«
Das ist vielleicht eine Spur zu direkt aufgetragen, aber wir stehen schließlich etwas unter Zeitdruck. In knapp zwei Stunden wird Denise anklopfen.
Er schöpft keinen Verdacht, sondern stimmt leutselig ein und stößt erneut mit mir an. Die Prickelperlen rinnen ganz köstlich durch meine Kehle, die Härchen auf meinen Armen stellen sich erwartungsvoll auf.
Da kommt er auch schon. Noch während ich das Glas wieder absetze, hat er sich auf dem Sofa dicht neben mich geschoben und legt mir nun