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Tödliche Leidenschaft
von Henry Nolan
Originalausgabe
© 2017 by blue panther books, Hamburg
All rights reserved
Cover: AleksandarNakic © istock
Umschlaggestaltung: www.heubach-media.de
ISBN 9783862774456
www.blue-panther-books.de
Kapitel 1 - Dienstag, 05.08.08, 15:45 Uhr
Ein billiges Hotelzimmer in der Nähe des Hauptbahnhofes von Amsterdam. Ich sitze auf dem Bett. Nackt. Durch die herabgelassenen Jalousien dringen das Licht und der Lärm dieses Nachmittags nur gedämpft herein. Das entfernte, dumpfe Dröhnen der Straßenbahnen lässt in regelmäßigen Abständen die bunten Glasschirmchen der beiden Nachttischlampen klirren.
Zwischen meinen bleichen Knien liegt ein großes Foto, über das ich mich beuge. Links und rechts wird es eingerahmt von meinen herabhängenden Haarsträhnen, die von der Dusche noch feucht und dunkel sind, glatte Fransen in der Farbe von Ebenholz. Der Vorhang hilft, alles außer dem Gesicht auf dem Foto auszublenden.
Georg van Brueggen. 40 Jahre alt. Deutsch-Niederländer. Zweifacher Vater. Inhaber einer Softwarefirma, die auf Sicherheitstechnik spezialisiert ist. Die unter anderem den deutschen Bundesgrenzschutz, den Bundesnachrichtendienst und das Innenministerium berät, ebenso wie die entsprechenden Behörden eines halben Dutzend weiterer EU-Staaten. Das steht auf der Website des Unternehmens. Auf der Homepage nicht genannt, sind Regierungen, Geheimdienste und andere, dunklere Organisationen aus verschiedenen Drittweltländern. Laut »Financial Times online« verwenden auch diese mit Vorliebe GVBU-Software. Ich nehme an, dass aus diesen Reihen auch der Auftrag kommt, der mich jetzt über seinem Foto meditieren lässt.
Mein Name ist Jana Walker. Das ist natürlich nicht mein richtiger Name. Der geht keinen etwas an. Aber als Jana Walker bin ich an der University of London für Wirtschaftspolitik, Geschichte und Journalistik immatrikuliert. Ebenso wie ich als Austauschstudentin und Gasthörerin an der »Universiteit van Amsterdam« und der »Universidad de Sevilla« eingeschrieben bin.
Die Professoren, und speziell die International Officers im akademischen Mittelbau, lieben mich, den Prototyp der neuen weltoffenen, global ausgerichteten Studentin, die sich ihr eigenes, höchst persönliches Studienprogramm zimmert – und nebenbei noch so lecker aussieht! Die Mitarbeiter in den Studentensekretariaten und den Prüfungsämtern verfluchen mich: Ich falle aus dem Rahmen und verursache laufend neue Präzedenzfälle und andere bürokratische Katastrophen. Aber was Prüfungsordnungen und Hochschulregularien betrifft, kann ich es inzwischen spielend mit Fachanwälten für öffentliches Recht aufnehmen. Ich bin sehr geübt darin, mir meine Nischen selbst zu schaffen.
In den Vorlesungen bin ich sehr selten zu finden. Aber dieser Studentenstatus ist eine einwandfreie Tarnung. Man kann überall hinreisen, recherchieren, forschen und schnüffeln, und immer alles mit Studienarbeiten oder Prüfungsvorbereitungen oder der Suche nach weiteren Austauschmöglichkeiten mit irgendeiner Hochschule begründen. Außerdem wundert es keinen, wenn man irgendwo auf der Welt auftaucht und eine Weile bleibt. Studenten haben schließlich Zeit genug, oder?
Georg van Brueggen starrt mich aus leicht zusammengekniffenen Augen an. Er sieht gut aus, keine Frage. Scharf geschnittene Gesichtszüge. Gerade Nase. Ein kantiges Kinn – damit könnte er in jedem Western mitspielen. Kurze, dunkelblonde Haare, Van-Dyke-Bärtchen und natürlich diese forschenden, leicht stechenden dunklen Augen. Sicher kein Mensch, der sich als »Opfer« sieht, sondern als »Täter«. Als Gestalter seiner Welt, als Schaffender, als Kreativer. Diese Selfmade-Unternehmertypen sind alle so. Wenn sie dann auf einen Täter treffen, der sie zum Opfer macht, verstehen sie die Welt nicht mehr. Aber das ist ein sehr vorübergehender Zustand. Gleich darauf brauchen sie auch nichts mehr zu verstehen.
Methodisch lasse ich mir alle Informationen durch den Kopf gehen, die ich in den letzten zwei Wochen über meinen neuen Klienten gesammelt habe. Sein Wohnort: eine Villa in der nobelsten Ecke von Utrecht. Sicherheitstechnisch hochgerüstet bis zum Gehtnichtmehr. Seine Familie: die hübsche Frau und die zwei halbwüchsigen Jungs. Seine Firma: in Hafennähe, umschlossen von vier Meter hohem Stacheldraht. Hm ...
Meine Order besagt, dass es aussehen sollte wie ein Unfall oder ein tragisches Geschehen, jedenfalls nicht wie ein Auftragsmord. Ich vermute, dass ein anderer, willfähriger Kopf an die Spitze der Company gehievt werden soll. Oder sonst ein verwinkeltes Manöver eines Dienstes. Aber das interessiert mich eigentlich nicht. Die Frage ist vielmehr: Wie lockt man jemanden aus seiner Deckung, aus seiner Höhle, wenn er dort alles hat, was er will und braucht?
Einerseits macht so eine Situation die Dinge kompliziert. Kein einfacher Schuss aus bequemer Entfernung, bei dem man den roten Nebel nur kurz durch das Zielfernrohr sieht. Kein schneller, simpler Hinterhalt in einer dunklen Seitenstraße, ein geleertes Magazin und Schalldämpfer. Kein harmloses Pülverchen in einem Weinglas.
Andererseits ist so eine Herausforderung viel interessanter. Jeder Depp kann andere Menschen töten, das beweisen die jährlichen Amokläufer in den Schulen. Die sind sogar noch jünger als ich mit meinen vierundzwanzig Jahren. Aber das Ganze entweder unter verschärften Bedingungen durchführen – beispielsweise mit einem bewachten Ziel, oder so, dass es nach etwas völlig anderem aussieht – das ist den Spezialisten vorbehalten. Also mir und meinen Kollegen. Nur dafür werden dann auch vernünftige Gagen bezahlt. Die Preise für simple Morde sind dagegen seit Jahren so in den Keller gegangen, dass es sich angesichts des Risikos eigentlich nicht mehr lohnt. Das machen dann verzweifelte Amateure aus Osteuropa.
Mit einer fließenden Bewegung gleite ich vom Bett und absolviere einige Lockerungsübungen. Meine Brüste hüpfen etwas mehr als sonst. Sie sind noch ein wenig gewachsen in den letzten ein, zwei Jahren. Außerdem erwarte ich für morgen meine Periode, dann füllen sie die B-Körbchen meines für heute bereitliegenden BHs halbwegs aus, sonst tut es meist ein A. Ich empfinde das als Vorteil, denn ich komme durchaus in Situationen, in denen hüpfende Brüste hinderlich sein können. Und kleine Brüste scheinen kein Thema zu sein, wenn es um Männer geht. Jedenfalls war es noch nie ein Problem für mich, das Interesse von Vertretern des anderen Geschlechts auf mich zu ziehen. Abgesehen davon, würden große Möpse gar nicht zu meiner schlanken, sportlichen Figur passen.
Beim systematischen Durchgehen einiger Katas denke ich weiter über mein Vorgehen nach. Ich werde sehr nahe an meinen Klienten herangehen müssen. Das macht einen Auftrag immer gefährlich, denn man hinterlässt Spuren, ob man will oder nicht.
Nach Möglichkeit vermeide ich das. So wie bei meinem letzten Auftrag in Zürich. Da fuhr ich meinen Klienten – einen ziemlich alten Knacker – mit einem riesigen Geländewagen über den Haufen. Den hatte ich kurz zuvor einigen Jugendlichen abgenommen, die ihn aufgebrochen hatten und damit eine Spritztour unternehmen wollten. Natürlich fand die Polizei nur deren Fingerabdrücke im Auto. Fall geklärt, Fall abgeschlossen.
Es gibt aber auch noch andere Gründe für mich, Georg van Brueggen nahezukommen. Als Mann gefällt er mir ganz gut. Ich stehe halt auf diese maskulinen Typen. Wie meinen Stiefvater zum Beispiel.
Aber daran will ich jetzt nicht denken. Lieber an Georg.
Wie er sich wohl anfühlen wird.
An mir, auf mir.
In mir.
Wohlige Wärme läuft in meinem Bauch zusammen und stört die makellose Konzentration meiner Übungen.
Kapitel 2 - Freitag, 08.08.09, 12:30 Uhr
»Mr van Brueggen, dürfte ich Ihnen einige Fragen stellen?«
Georg dreht sich überrascht um, als er gerade den Hoteltresen im »Karel V« erreicht hat. An dem leichten Weiten seiner Pupillen erkenne ich, dass ihm gefällt, was er sieht. Für meine Rolle habe ich mich auch sehr in Schale geworfen und trage ein anthrazitgraues Business-Kostüm in Konfektionsgröße vierunddreißig und eine eisblaue Bluse, die gut zu meiner Haut passt. Ich bin ein Winter-Typ, das erleichtert