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Farben der Lust | Erotische Geschichten
von Aimée Rossignol
Aimée Rossignol lebt, liebt und schreibt am liebsten da, wo in heißen Sommernächten Zikaden zirpen und ein kühler Wind vom Meer die Gräser wiegt. Zu Hause ist sie überall und nirgends. Sie bleibt, wenn ihr die knorrige Kiefer vor dem Haus gefällt oder Lavendelblüten ihre Nase kitzeln, und sie zieht weiter, wenn der Regen an ihre Scheibe klopft. Die Inspiration für ihre Geschichten findet sie in den prickelnden Begegnungen, die ihren Alltag so aufregend machen: Die flüchtige Berührung eines Fremden im Zug, eine hastig gemurmelte Entschuldigung und dann ein langer Blick in geheimnisvoll dunkle Augen – schon entsteht vor ihrem geistigen Auge ein neuer Charakter, dessen Geschichte sie unbedingt erzählen und vielleicht auch erleben will ...
Lektorat: Nicola Heubach
Originalausgabe
© 2018 by blue panther books, Hamburg
All rights reserved
Cover: © MaxFrost @ shutterstock.com
Umschlaggestaltung: MT Design
ISBN 9783862777464
www.blue-panther-books.de
1. Farben der Lust
»Helena, wie lange verkriechst du dich jetzt schon in deinem Atelier?« Ohne meine Antwort abzuwarten, spricht Tony weiter: »Viel zu lange, viel zu lange!«
Ungeduldig trommelt er mit den Fingern auf den Schreibtisch vor ihm. »Überleg doch mal. Den ganzen Sommer in Südfrankreich!«
Er macht eine Pause. »Süd.« Punkt. Pause. »Frank-« Punkt. Dramatische Pause, in der er mit stämmigen Armen vor seinem runden Gesicht rudert. »-reich!«
Ausrufezeichen, füge ich im Geist hinzu und seufze.
Durch das schmale Fenster im Büro von Tonys Galerie fällt ein Streifen Frühlingssonne durch die Häuserschlucht in Berlin Mitte.
Mein Galerist hat ja recht. Ich sehe es ein. Seit der Trennung von Marc, nein, ich muss mich korrigieren, seitdem Marc mich verlassen hat, habe ich mich nur noch hinter meiner Kunst versteckt. Die letzten fünf Jahre, zwei Monate und zwölf Tage. Eine lange Zeit, Tony hat recht. Aber Marc war auch mein erster Freund, meine erste Beziehung. Da kommt man nicht so leicht drüber hinweg.
»Sechs Jahre?« Tony wedelt eine mögliche Antwort von mir mit seiner Hand beiseite und rollt mit den Augen. »Marc war einfach nicht der Richtige. Zwei Künstler – das passt doch nicht. Ich habe es dir immer gesagt, aber du wolltest ja nicht hören. Und jetzt hast du über alledem deinen Kummer völlig vergessen, dass du nicht nur eine talentierte Malerin bist, sondern immer noch eine junge Frau! Aber das ist ja jetzt nicht der Punkt.«
Ich atme genervt aus.
Trotzdem fährt Tony ungerührt fort: »Der Punkt ist: Du musst mal raus. Du weißt, ich liebe deine Kunst, und deine Bilder verkaufen sich gut, aber dieses Portrait von Henri Marchand für seinen Konzernsitz könnte deinen Wert noch einmal steigern.«
Ich muss mich räuspern, bevor ich spreche. Mein Hals ist trocken. Zu lange habe ich Tony nur zugehört. »Wer ist eigentlich dieser Henri Marchand?«
»Helena!« Meine einfache Frage bringt Tony komplett aus der Fassung. Kurz schnappt er nach Luft. »Was? Du weißt nicht, wer Henri Marchand ist?«
Für einen Moment sieht es so aus, als würde mein Galerist mit einem tiefen Atemzug in den runden Leib, seinen grauen Anzug sprengen wollen. »Pack deine Pinselchen und deine Farbdosen, und was immer du sonst brauchst, hiss die Leinwand und dann ab mit dir nach Cannes! Aber zack, zack!«, presst Tony zwischen schmalen Lippen hervor, bevor er mich mit einer wilden Handbewegung aus seiner Galerie wedelt.
Kapitel 1
Nervös zupfe ich am Ausschnitt meines neuen, dunkelroten Sommerkleides. Vielleicht ist er ein wenig zu tief, vielleicht sitzt das Kleid auch ein bisschen zu eng, aber die Verkäuferin in der kleinen Boutique am Savignyplatz zu Hause in Berlin hat es mir förmlich aufgedrängt. Es stünde mir so gut, hat sie gesagt und im Laden hat es mir auch sehr gefallen, genau wie eben noch im Flugzeug, aber hier in Cannes, am Terminal, bin ich mir nicht mehr sicher. Egal, es ist zu spät.
Suchend sehe ich durch das Menschengewirr am Ausgang und tatsächlich: Hinter der Schwingtür steht der Fahrer eines Limousinen-Service. Er wartet auf mich, ein Schild mit meinem Namen in der Hand: »Helena Waldmann«
Hinter den getönten Fenstern des Wagens zieht bald die Côte d’Azur an mir vorbei und obwohl das Innere angenehm klimatisiert ist, klebt der Stoff des Kleides an meiner Haut. Sicherlich ist das nicht nur die Hitze von eben, sondern auch ein wenig die Aufregung.
Henri Marchand. Ich habe ihn gegoogelt, weil ich von Tony ja nichts erfahren habe. Henri Marchand ist Winzer in dritter Generation. Sein »Marchand-Champagner« gehört zu den edelsten und teuersten Champagnern in ganz Europa, aber was noch viel wichtiger ist: Er sieht unverschämt gut aus. Eben genau wie ein Mann aussehen sollte, der weiß, was er will und auch bekommt, was er sich vorstellt. Er ist nicht verheiratet und lebt überwiegend in Paris, nur seine Sommer verbringt er in Südfrankreich. Über sein Privatleben erfährt man wenig, selten landet ein Bild von ihm in der Klatschpresse. Er versteht es wirklich, sein Privatleben privat zu halten.
Inzwischen haben wir die Küstenstraße verlassen und der Wagen rollt langsam auf ein schmiedeeisernes Tor zu, das wie von Zauberhand aufschwingt und den Blick über satt-grünen Rasen auf eine weiße Villa freigibt. Vor einer von Säulen eingerahmten Freitreppe kommen wir schließlich zum Stehen. Noch einen Moment habe ich Zeit, mich zu sammeln, doch dann schwingt schon die Autotür auf und ich atme Pinienduft in der Hitze des Sommers. Südfrankreich.
Eine Dame mittleren Alters mit kurzen, grauen Haaren reicht mir die Hand und begrüßt mich auf Deutsch: »Ah, Madame Waldmann, herzlich willkommen am Cap d’Antibes! Mein Name ist Madame Bertrand. Ich bin die Haushälterin und stehe gern zu Ihrer Verfügung.« Sie lächelt. »Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer! Folgen Sie mir.«
In der kühlen Eingangshalle klappern die Absätze meiner Sandaletten auf weißem Marmorboden. Für einen Moment bleibe ich stehen. Die Eleganz der Einrichtung und die weitläufige Treppe in das Obergeschoss machen mich sprachlos und mir wird bewusst, dass ich verschwitzt und müde aussehen muss.
Und genau in diesem Augenblick öffnet sich die große Flügeltür rechts vor der Treppe. Ich habe zu lange gezögert. Henri Marchand.
So wollte ich ihm eigentlich nicht begegnen, hatte ich doch gehofft, mich erst frisch machen zu können.
Unwillkürlich fahre ich mir durch das feuchte Haar und ziehe meinen Rock über die Knie.
Er sieht noch besser aus, als auf den Fotos im Internet, die seine tatsächliche Wirkung gar nicht wiedergeben können. Sein ganzes Wesen scheint plötzlich diese Eingangshalle auszufüllen. Ich vergesse Madame Bertrand. Es gibt nur noch ihn und mich. Um seine breiten Schultern spannt sich ein weißes Hemd. Eine beigefarbene Hose ist bis zu den muskulösen, gebräunten Waden hochgekrempelt. Er sieht aus, als hätte er gerade ein Segelboot mit einem schwierigen Manöver sicher in den Hafen gesteuert, so breit und zufrieden ist sein Lächeln, das eine Reihe schneeweißer Zähne entblößt. Eine markante Nase erhebt sich aus seinem Gesicht und ich kann nicht anders, als ihrem Schwung nach oben zu folgen und in unergründlich blauen Augen zu versinken.
Nachdem er mich schamlos mit eben diesen Augen von unten nach oben gemustert hat, nicht ohne einen Moment an der Rundung meiner Brüste hängenzubleiben, wird sein Lächeln etwas schmaler und ich höre ihn tief einatmen.
In der Luft liegt plötzlich ein Flirren, eine Hitze, von der ich mir sicher bin, dass wir beide sie spüren. Als er mir schließlich seine große Hand hinstreckt und ich zögernd meine schmalen Finger hineinschiebe, drückt er nur kurz zu, bevor er sie so hastig zurückzieht, als hätte er sich verbrannt.
»Helena Waldmann«, sage ich leise und weiche einen Schritt zurück, strauchele auf den hohen Absätzen und spüre dabei seinen Arm an meinem. Er hat