Quentin schleckte sich über den Mund. Er wollte nach dem Strahl greifen.
»Bleib liegen! Hände auf den Boden!«, herrschte ich ihn an und dachte mir: Oh mein Gott, was tue ich da?
Es roch nach Vanille. Nach den Cocktails, die ich bei Tom geleert hatte.
Die goldene Lache sammelte sich rund um die Toilette. Es grauste mich. Ich hatte einem Mann ins Gesicht gepinkelt. Gab es etwas Verachtenswerteres als das? Ich brauchte einen Martini. Eine Dusche. Beides. Ich musste fort. Ich ertrug es nicht länger, hier zu sein.
Ich stand auf, ließ das Wasser im Bad ab und brauste mich gründlich ab. Schrubbte jeden Zoll meiner Haut. Als könnte ich den Dreck abwaschen, der meine Seele belastete. Doch das gelang nicht. Es würde nie gelingen.
»Alors, du weißt, was du zu tun hast.«
Doch Quentin beachtete mich nicht. Er strahlte über das ganze Gesicht. Er lag in meiner Pisse und lächelte verzückt. Dann sah ich, dass er gekommen war. Sein Sperma hatte sich mit meinem Urin vermischt. Er hatte sich seine Belohnung selbst genehmigt. Ich war eine miserable Herrin.
»Mach das Zimmer sauber. Das Bad ... Mach ...« Meine Stimme erstarb. Ich würgte. Quentin, mein persönlicher Toilettensklave. Nein, danke!
Ich zog mich an und verließ das Hotel.
***
Ich saß im Auto und war auf dem Weg nach Hause, als mein Handy klingelte. Mich ekelte vor meinem Job. Es ekelte mich vor mir selbst. Bevor ich noch darüber nachdachte, nahm ich das Gespräch an. Meine Finger waren leider schneller.
»Ja?«
»Hallo Chérie!« Worte auf Französisch. Hallo Chérie.
Mit quietschenden Reifen hielt ich am rechten Straßenrand.
»Arnaud!«, entfuhr es mir. Meine Hand zitterte. »Woher hast du diese Nummer?«
»Spielt das eine Rolle?« Er lachte. Seine Stimme hatte noch immer diesen melodischen Klang. Diesen Klang, der mich in meinen Albträumen verfolgte. In dunklen, langen Albträumen.
»Was willst du?« Ein hässlicher Geschmack lag mir auf der Zunge.
»Ich bin die Woche vor Thanksgiving in der Stadt und treffe mich mit alten Bekannten. Ich will, dass du mich begleitest.«
»Scher dich zum Teufel!«
»Na, na, na, Chérie! Behandelt man so seinen ehemaligen Liebhaber? Dein Mann hat mich eine schöne Stange Geld gekostet. Die wirst du abarbeiten. Oder soll ich ihm von unserem kleinen Arrangement erzählen?«
Musste er nicht! Schnell blätterte ich meinen Terminkalender durch. »Ich kann nur am Mittwoch vor Thanksgiving.« Ich dachte fieberhaft nach. Terminkollisionen musste ich wohl in Kauf nehmen. Ich presste die Lippen aufeinander. Meine Pobacken brannten noch immer von Toms »Liebkosungen«.
»Du hast dann Zeit, wenn ich es sage. Denn du möchtest ja um deines Sohnes willen nicht, dass gewisse Dinge ans Licht kommen, nicht wahr?«
»Ich warne dich!«
»Willst du beschissene Nutte mir etwa drohen?«
Meine Arme zuckten. Kalter Schweiß lief über meine Stirn. »Das nächste Mal wird es kein Pfefferspray sein!«
Er lachte überheblich. »Entspann dich, Chérie. Ich geb’ dir auch wieder Taschengeld. Ganz wie früher.«
»Du kennst meine Forderung.«
»Forderung?«, amüsierte er sich. »Was für ein hochgestochenes Wort. Also, ich ruf dich an, wenn ich im Hotel einchecke. Und dann zeig ich dir gründlich, was ich mir von dir erwarte. Zieh die schwarzen Strapse an, die ich dir letztes Mal aus Paris mitgebracht habe!«
Letztes Mal, vor drei Jahren? Als er diese ... diese »Dinge« mit mir gemacht hatte?
Er legte auf.
Ich zitterte am ganzen Körper und hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Fahrig kramte ich in meiner Handtasche rum und zog mir eine ordentliche Portion »Raketentreibstoff für Champions« rein. Koks. Zum zweiten Mal am heutigen Tag. Dabei hatte ich mir geschworen, die Finger von dem Scheißzeug zu lassen. Ich unterdrückte einen Fluch. Ich hatte mir aber auch geschworen, nie wieder mit Arnaud, diesem Scheißkerl, zu reden.
***
Gegen halb zwei Uhr morgens kam ich endlich nach Hause. Der mit Sperma befleckte Mini und die Bluse landeten in der Wäsche, gefolgt von meinen Dessous – dem Teil, der noch davon übrig war – und den Strümpfen.
Stille. Nackt schlich ich durch die menschenleeren Räume. Es war stockdunkel bis auf die Lichtverschwendung der Portlander Skyline, die durch die ostseitig gelegenen Fenster funkelte. Draußen in der Einfahrt glomm im Halloween-Kürbis eine einsame Kerze und warf fratzenhafte Schatten über den Asphalt. Die Dunkelheit beschützte mich – genauso wie mich das Licht in der »Mother Therese« heute Nachmittag beschützt hatte. Sie beschützte mich vor dem, was ich gesehen und getan hatte. Und vor dem, was im Dunkel meiner Erinnerung lauerte. Vor den Stimmen. Den Worten auf Französisch ... Hallo Chérie.
Ich sah mich erschlagen in meinen vier Wänden um. Das war ein Riesenhaus mit sonnigem Garten, schoss es mir durch den Kopf. Zu groß für eine einzelne Frau. Viel zu groß. Allein der Kaufpreis für den Pool im Anschluss zur Terrasse belief sich auf knapp hundertfünfzigtausend Dollar – dreimal mehr, als manch ein Grundstück samt Haus in anderen Teilen des Countys wert war. Das Haus selbst hatte siebenhundertfünfzigtausend Dollar gekostet – das heißt, wenn es einmal abbezahlt war. Mittlerweile glaubte ich nicht mehr daran.
Wie farblos und grau alles wirkte, wenn das Leben keinen Sinn mehr hatte. Wenn man vom Weg abgekommen war und seinen Platz nicht mehr kannte. Dabei hatten mein Mann und ich immer davon geträumt, eine Hauseinweihungsfeier zu veranstalten. Eine Swingerparty. Doch zu der würde es wohl nie mehr kommen.
Ich ertappte mich, dass ich meine schattenhaften Rundungen im Garderobenspiegel betrachtete – meine schwarzen Haare, die über meine großen cremefarbenen Brüste fielen. Wie verlogen das Pechschwarz auf mich wirkte. Meine Haut sah dann noch heller aus. Noch blasser. So unnatürlich. Ich vermisste meine honiggoldene Walle-Mähne, die wie Gold und Silber glänzte, wenn sich das Sonnenlicht darin verfing.
Ich vermisste mein früheres Leben. Meine Freundinnen Mel, Lauren und Jacky. Ich hatte sie alle belogen. Sie und ein paar andere. Keine von ihnen durfte wissen, was ich hier trieb.
Mich überfiel große Lust, jemanden anzurufen. Meine Cousine. Wie spät es wohl gerade in Paris sein mochte? Ich besaß nicht die notwendige Kraft nachzurechnen.
Marc. Meinen Piloten. Er brachte mich immer so herrlich zum Lachen.
Steven. Meinen guten, bösen Cop. Zu gern hätte ich mich an seine starke Brust gekuschelt.
Meinen Mann Ronald. Ja ... Ron. Wahrscheinlich vögelte er dieser verdammten Schlampe Ellen in diesen Augenblicken die Seele aus dem Leib.
Meine Atemzüge mutierten zu einer Ansammlung von schweren Seufzern. Lieber Gott, hol mich von hier fort!
Ich legte das Handy weg. Ich konnte niemanden anrufen. Nicht jetzt. Nicht um diese Uhrzeit. Ich hätte schlafen sollen. Morgen, eigentlich heute, dachte ich verwirrt, war ein wichtiger Tag. Halloween. Ronald würde unseren gemeinsamen Sohn Titouan vorbeibringen. Damit er über die Feiertage bei mir war.
Ich betrachtete Jack O’Lanterns unheimliches Schattenspiel. Die Kürbisfratze hatten Titou und ich zusammen ausgehöhlt. Toueys Halloween-Kostüm lag schon bereit. Er wollte als Spiderman gehen. Ich hatte versprochen, ihn und seine Schulfreunde auf eine »Süßes oder Saures«-Tour durch die Nachbarschaft zu begleiten. Weil ich von allen die coolste Mom war, wie die Kids meinten. Wenn die Eltern der Kinder gewusst hätten, womit ich derzeit meinen Lebensunterhalt verdiente, hätte mein Sohn mit einem Schlag alle seine Freunde verloren. Vielleicht wären wir sogar von der Schule verwiesen worden.