Erschrocken springt er auf, lässt die Selbstgedrehte fallen und tritt sie umgehend aus.
»Es tut mir leid. Das hab ich nicht gewusst …« Er hält die Hände abwehrend nach vorn, als hätte er Angst, dass ich ihn angreifen würde.
»Wie kommst du hier rein? Und vor allem: Was willst du hier?« Mein Blick ist sicher unfreundlicher als nötig, aber so bin ich die letzten Monate in dieser von Männern dominierten Gegend besser klargekommen. Ist man zu freundlich, wird man nur belächelt und nicht ernst genommen.
»Ich habe letzte Nacht einen Unterschlupf gesucht. Das Zelt ist gerissen und bei dem Regen brauchte ich ein Dach über dem Kopf. Es war nachts, da wollte ich nicht klingeln und fragen, sondern bin einfach hineingegangen.«
Ich schnaube. »Das nennt man Hausfriedensbruch. Ich hoffe, du hast nichts geklaut oder beschädigt. Sieh zu, dass du weiterkommst.«
Der Mann steht zögerlich vor mir und macht einen unschlüssigen Eindruck. Offensichtlich will er nicht hier weg, vielleicht kann er nirgendwo hin.
»Brauchst du vielleicht jemanden, der hier arbeitet?«, fragt er. »Ich bin pleite und habe keinen Job.«
»Warum sollte ich einen Fremden beschäftigen, von dem ich nur weiß, dass er nachts ungefragt auf mein Grundstück kommt?«
»Zufall. Dass ich hier bin, ist reiner Zufall. Ich wandere ziellos seit Wochen durch diese Wälder. Die Scheune stand offen und letzte Nacht war es, wie gesagt, nass und kalt.«
Er sieht nicht aus wie ein Dieb. Mein Bauchgefühl bleibt seltsam ruhig und gibt keinerlei Warnung heraus.
»Was kannst du denn?«, will ich wissen.
»Alles, was du von mir verlangst.« Er macht einen Schritt auf mich zu. »Sämtliche körperlichen Aktivitäten kann ich leisten.«
Das wird mir dann doch zu forsch und ich mache zwei Schritte zurück, behalte ihn aber im Blick.
Ich schüttele schließlich den Kopf. »Nein, tut mir leid, aber ich kann niemanden bezahlen. Finanziell ist es mir nicht möglich, dich einzustellen. Auch wenn ich dringend jemanden bräuchte.« Unklar, wieso ich das überhaupt erwähne, drehe ich mich um und will gehen.
»Warte mal! Ich packe auch mit an, wenn ich dafür bei dir wohnen kann und etwas zu essen bekomme. Das ist mehr als ich die letzten Wochen hatte. Geld bedeutet mir nichts.«
Ich bleibe stehen und fixiere ihn genau. Das Angebot ist fast zu gut, um wahr zu sein. Aktuell ist Hauptsaison und Nachfrage besteht genug. Wenn ich einen Helfer habe, kann ich Gruppen annehmen und wieder etwas Gewinn machen.
Er scheint zu spüren, dass er auf dem richtigen Weg ist und setzt nach: »Wenn ich dir lästig werde, wirfst du mich einfach wieder raus, du bist der Boss.«
Ich habe im wahrsten Sinne nicht viel zu verlieren. Selbst wenn er versucht, mich zu betrügen, am Ende kann ich fast nur gewinnen. Was will er schon stehlen, die windschiefen Wände der Scheune oder gar den rostigen Traktor? Bargeld gibt es hier keines und der Schmuck ist schon seit letztem Jahr versetzt.
»Okay, wir lassen es auf einen Versuch ankommen. Aber nur, weil ich aktuell dringend Hilfe brauche, nicht, weil ich dir vertrauen würde. Du kannst im Gästehaus bleiben, dort ist auch eine kleine Küche. In dem großen Schrank im Flur ist Kleidung vom Vorbesitzer des Hofes. Vielleicht passt dir ja etwas davon.«
Er macht einen Schritt auf mich zu und hält mir seine rechte Hand hin. »Ich danke dir, du wirst es nicht bereuen. Mein Name ist Patrick.«
Seine Augen blicken in die meinen und es ist mir nicht möglich, die Verbindung zu lösen.
Unbewusst fange ich an, ihn genauer zu betrachten. Es ist nicht so, dass er mich an meinen verstorbenen Mann erinnert, auch wenn die Männer zweifelsfrei einige Gemeinsamkeiten haben. Das ungestüme Wesen und doch zugleich eine wortlose Verbindlichkeit, auf die ich mich immer verlassen konnte. Auch hatten mich an meinem Mann die muskulösen Arme fasziniert. Bei Patrick sind die Muskeln anders verteilt. Sein ganzer Körper erzählt von einer entbehrungsreichen Zeit, in der offensichtlich wenig Nahrung und hohe körperliche Anstrengung dafür gesorgt haben, dass seine Muskeln die Aufgabe übernehmen, für die sie von der Natur auch gemacht sind.
»Freut mich, ich bin Elena. Wenn du dich eingerichtet und etwas gegessen hast, komm zu mir an das Haupttor. Dort sind mehrere Zäune kaputt. Hinter der kleinen blauen Tür im Haus findest du passendes Werkzeug.«
Er streckt sich und es sieht fast so aus, als wenn sein Körper damit eingeschaltet wird. Wie ein stahlharter Roboter läuft er aufrecht und bereit auf sein Ziel zu, nicht ohne mich dabei mit dem Unterarm zu streifen. Ob es Absicht ist? Ich mache mir darüber keine Gedanken – dank seinem vorherigen Angebot, dass ich alles von ihm haben kann. Wie lange ist es her, dass ein Mann mich berührt hat? Viel zu lange. Das merke ich in dem Moment, wo der Hautkontakt entsteht.
Ich bleibe vor der Scheune stehen und schaue ihm nach. Wenn ich schon hier bin, kann ich auch direkt die Ziegen füttern, die im Gatter nebendran stehen. Für sie ist der Heuvorrat gedacht, denn im nahenden Winter gibt der Boden nicht genug Nahrung her. Der selbstgemachte Ziegenkäse ist bei den Bergleuten immer heiß begehrt, wenn sie hier zu Gast sind.
***
Über den Tag bin ich gut beschäftigt und vergesse ganz, dass ich einen unbekannten Besucher habe. Doch gelegentlich finde ich erledigte Arbeit vor und brauche einige Sekunden, bis mir einfällt, dass ich nicht mehr allein bin. Anscheinend sieht Patrick, wo Bedarf ist, und packt selbstständig an. Eine sehr günstige Eigenschaft.
Bis zum Nachmittag ist er fleißig und nimmt sich vor allem die Sachen, die körperlich anstrengend sind, vor. In mir flammt Dankbarkeit auf, denn manches war mir tatsächlich zu schwer und mir fehlte eine starke Hand, die ich hätte bitten können.
***
Als der Tag sich dem Ende neigt, bereite ich meinen beliebten Eintopf zu. Es lohnt sich, eine größere Menge anzusetzen, denn bereits am nächsten Tag erwarte ich eine Reisegruppe. Kaum ist das Essen fertig, tritt Patrick in meine Küche und wartet schnüffelnd in der Tür. Der Geruch hat ihn hergelockt, typisch Mann. Ich bitte ihn herein und gemeinsam setzen wir uns an den großen Esstisch. Beim Essen unterhalten wir uns über Gott und die Welt. Patrick ist erstaunlich belesen und hat viele lustige Geschichten zu erzählen. Als er gähnt, erkenne ich auch meine eigene Müdigkeit.
»Ich zeig dir, wo du heute Nacht schlafen kannst«, sage ich. »Auch wenn du einen guten Eindruck machst, du bist ein Fremder und ich muss vorsichtig sein. Daher lasse ich dich vorerst nicht ins Haus.«
»Das machst du auch völlig richtig, dafür habe ich vollstes Verständnis.«
Misstrauische Menschen könnten nun denken, er will mich in Sicherheit wiegen. Doch ich bin zu kaputt, um darüber nachzudenken, was er anstellen könnte. Im Grunde gibt es keine Garantie für irgendwas. Auch ein gut ausgewählter Angestellter, den ich fürstlich bezahle, kann mich bestehlen oder nachts erwürgen.
Wir gehen zusammen in die Scheune, in der ich ihn am Morgen gefunden habe. Sein Rucksack und ein paar Kleinigkeiten liegen immer noch an der gleichen Stelle. Während ich ein Bett im Gästehaus überziehe, steht er plötzlich sehr dicht hinter mir und berührt meinen Arm, genauso wie heute früh. Und wieder bekomme ich Gänsehaut. Ich kann nicht verhindern, dass es passiert, und auch nicht, dass er es sieht. Ich fühle mich unsicher und bevor ich entscheiden kann, was ich tun soll, spüre ich seine Lippen in meinem Nacken. Seine Hände sind vorsichtig auf meinen Hüftknochen.
Bevor ich es als angenehm empfinden kann, mache ich einen Schwung zur Seite und hebe meinen Arm zum Schlag. Mein Atem geht schneller, der ganze Körper wird von Adrenalin durchflutet und steht auf Alarm. Ich kann mich wehren, wenn es nötig ist, doch ich will nicht wahrhaben, dass mein Bauchgefühl mich getäuscht haben soll. Er ist kein gewalttätiger Typ, ein ernsthafter Angriff kann das hier nicht sein.
Patrick reagiert genauso erschrocken wie ich und zieht sich sofort zurück. In seinem Blick sehe ich Panik und das beruhigt mich umgehend.
»Mein