Erfreulicherweise wurden zu dieser Zeit einige Science-Fiction-Taschenbücher von ihm bei Heyne veröffentlicht. Wenn ich bedenke, dass ich diese Romane teilweise noch sehr gut im Gedächtnis habe, obwohl ich sie seitdem nicht mehr gelesen habe, belegt das in gewisser Weise, wie eindrucksvoll sie für mich waren.
»Grand Orientale 3301« spielt in einer vergleichsweise nahen Zukunft, nachdem ein Atomkraftwerk außer Kontrolle geraten ist. Es geht um Stromleitungen, die die halbe Welt umspannen; letztlich behandelt also dieser Roman, der im Jahr 1980 veröffentlicht wurde, das Thema der Energiekrise.
Auch »Der Pflanzen Heiland« empfand ich als beeindruckend, so sehr, dass ich darüber einen Aufsatz in der Schule verfasste – dieser ist leider verschollen. Auch dieser Roman spielt in der Zeit nach einer Umweltkatastrophe; ich erinnere mich an Szenen in Sibirien, die der Autor sehr plastisch schilderte.
Am stärksten fand ich stets »Das Sakriversum«; der Untertitel »Roman einer Kathedrale« trifft absolut zu. Unter dem Dach einer Kathedrale hat sich eine Zivilisation ausgebildet, die der Autor fantastisch und abwechslungsreich schilderte.
Es brauchte nach der Lektüre dieser Romane einige Zeit, bis ich den Autor persönlich kennenlernte. Grund dafür war »Karl der Große, der Roman seines Lebens«, ein dicker historischer Roman, der anfangs der Neunzigerjahre bei Schneekluth veröffentlicht wurde. Er trug dazu bei, mein Bild von Karl dem Großen zu erweitern; der Roman war »breit« erzählt, mit einer Schreibe, die man damals als »süffig« bezeichnete. Ich war ziemlich beeindruckt.
Weil ich darüber in meinem Fanzine SAGITTARIUS etwas schreiben wollte, fragte ich bei dem Autor an, ob ich ein Interview machen könnte. Ich konnte, der Autor antwortete rasch.
Wir verabredeten uns zu einem Termin, als ich wieder einmal in Berlin war. Wir trafen uns in einer Kneipe unweit des Kurfürstendamms, in der Mielke, wie er mir erzählte, als Stammgast immer an aktuellen Romanen schreibe. Er zeigte mir den Platz an der Theke, wo er stand und schrieb; die Agentur, in der er tätig war, lag ganz um die Ecke. Ich hatte großen Respekt vor dem Autor und Werbefachmann, der viele Dinge zu erzählen wusste und auf mich sehr selbstbewusst und zugleich korrekt wirkte, ein Mensch mit klaren Überzeugungen und Standpunkten.
Wir führten ein schönes Interview, in dem es um die Science-Fiction und den historischen Roman ging, um Karl den Großen und eine gewisse Heftromanserie, und wir schieden in bestem Einvernehmen. Mein Artikel wurde veröffentlicht, und seither kannten wir uns.
Wir trafen uns immer wieder: in Wolfenbüttel an der Bundesakademie oder auf der Buchmesse. Seltsamerweise kam ich nicht dazu, weitere Romane von Thomas R. P. Mielke zu lesen; zwei oder drei davon liegen in einem der vielen Stapel ungelesener Bücher in meiner Wohnung und warten darauf.
Ich habe nach wie vor großen Respekt vor dem Autor und seinem Lebenswerk, von der Art und Weise, wie er sich jahrzehntelang im Literaturbetrieb positioniert hat, eigenwillig und eigensinnig, auf einem erheblichen literarischen Niveau. Zu seinem Jubiläum am 12. März 2020, das ich kaum glauben kann – so alt wirkt er ja nicht! –, gratuliere ich mit ebensolchem Respekt. Ich wünsche weiterhin erfolgreiche Schaffenskraft!
Jörg Weigand: Vorbereitung für größere Aufgaben
Thomas R. P. Mielke und seine Spionage-Leihbücher
Es gibt Legenden, die halten sich hartnäckig – auch in der Science-Fiction-Szene. Zum Beispiel:
In der Adventszeit des Jahres 1960 schickte der zwanzigjährige Thomas Mielke, ein begeisterter Science-Fiction-Leser, sein erstes Manuskript an einen Verlag. Wie so gut wie jeder Enthusiast der damaligen Jahre, träumte er davon, ein berühmter und – natürlich – erfolgreicher Autor zu werden. Seine Wahl war auf die Verlagsgruppe Zimmermann in Balve gefallen, einen Spezialisten für Unterhaltungsromane aller Genres, die in gewerblichen Leihbüchereien ausgeliehen wurden.
Einem Gerücht zufolge, das sich hartnäckig in der Szene der vielbelesenen SF-Fans hält, soll der junge Autor – schließlich war Vorweihnachtszeit – seiner Manuskriptsendung einen mit Lametta geschmückten Tannenzweig beigelegt haben. Ein weiteres Gerücht will wissen, dass der (heute unbekannte) Lektor so gerührt über diese Geste war, dass er das Manuskript zur Veröffentlichung annahm.
Einiges an diesen »Ondits« ist richtig, eine Menge allerdings auch nicht. Thomas Mielke selbst ist nicht sicher über die zeitliche Abfolge und die genauen Umstände, wie es zur Veröffentlichung seines Erstlings »Unternehmen Dämmerung« gekommen ist. Wer übrigens Genaueres über den Inhalt dieses Schmökers (Mielkes eigene Bezeichnung dafür) wissen will, sei auf den Beitrag von Franz Schröpf in diesem Band verwiesen.
In seiner Mail vom 4. August 2019 schreibt Mielke: »So dürftig ich mich heute erinnere, habe ich ›Unternehmen Dämmerung‹ in den Jahren 1957/58 (also mit siebzehn, achtzehn) geschrieben und das Manuskript Ende 1958 zu Weihnachten in Weihnachtspapier verpackt und mit einem Tannenzweig belegt an den Zimmermann-Verlag geschickt.
Am 01.12.1958 habe ich in der ersten Freiwilligen Kompanie vom 1. LW-[=Luftwaffen]-Ausbildungs-Regiment in Husum angefangen und dabei statt eisigen Wintermärschen und blöder Grundausbildung sehr angenehme Indoor-Zeiten für das Ausmalen – z. B. mit Raumschiffen – der Kasernenflure verbracht. 1959 kamen zweimal die Technische Schule 1 der Luftwaffe in Kaufbeuren, die LW-Sprachschule und, da ich ja kein Abi hatte, ein Uffz-[Unteroffiziers]-Lehrgang dazu. Ich will’s nicht beschwören, aber es kann sein, dass ich das Manuskript erst beim Heimaturlaub zu Weihnachten 1959 abgeschickt habe. Denn erst im Februar 1960 ist das Agenturangebot von Heinz Bingenheimer von TRANSGALAXIS belegbar.«
In Bingenheimers Angebot vom 15. Februar 1960 heißt es: »Ich hatte Gelegenheit, Ihre Arbeit ›Unternehmen Dämmerung‹ zu lesen und war davon gut beeindruckt. Falls Sie mögen, würde ich Ihnen einen Agenturvertrag unterbreiten, um diese und evtl. folgende Arbeiten bei entsprechenden Verlagen zur Veröffentlichung zu bringen. Ich würde allerdings ein Pseudonym empfehlen, da die Verleger allgemein neuen deutschen Autorennamen (außer ein paar wenigen eingeführten Namen wie Scheer etc.) skeptisch gegenüberstehen.«
Der Vertrag mit Zimmermann in Balve datiert nur wenige Tage später als Bingenheimers Angebot, nämlich vom 24. Februar 1960.
In einer weiteren Mail vom selben Tage hatte Mielke noch angemerkt: »Wann das Ding erschienen ist, kann ich nicht mehr sagen. Sicherheitshalber würde ich 1961 annehmen.«
In eine einigermaßen verständliche Ordnung gebracht, hieße das wohl:
Geschrieben 1957/58.
Abgeschickt direkt an den Verlag in Balve wohl erst Adventszeit 1959.
Eine vermutete enge Zusammenarbeit (Lektoratstätigkeit?) zwischen Verlag und Bingenheimer (auch) als Agentur vorausgesetzt, wurde das Manuskript wohl vom Verlag zu Bingenheimer nach Friedrichsdorf im Taunus zur Begutachtung/Lektorierung geschickt.
Darauf erfolgte das Angebot durch Bingenheimer an den jungen Autor.
Es folgte der Verlagsvertrag.
Erscheinungstermin, folgt man dem Autor, war (Anfang) 1961.
In der ersten, hier zitierten Mail, schrieb Mielke weiter: »Bingenheimer, den ich bereits beim Con mit WE [= Walter Ernsting] und Jesco [von Puttkamer] in Bad Homburg [sogenannter »Biggercon«, 14.–16. September 1957] kennengelernt hatte, hat mir eine Serie von vier Spionage-Leihbüchern vermittelt, die alle etwas mit Ost-West, dem US-Projekt Mercury, Geheimdienst à la Bond und erdgebundener SF zu tun hatten.«
War »Unternehmen Dämmerung« eigentlich ein reines Fanprodukt, so könnte man diese vier Spionagetitel