Lieber Ulrich, lieber Jakob, lieber Mark, liebe Melodia und liebe Haru,
ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo ich anfangen soll. Bitte entschuldigt, wenn dieser Brief ein wenig chaotisch wird.
Ich war kurz im Wohnhaus, um meine Sachen zu packen. Ich werde lange nicht zurückkommen. Und damit meine ich nicht nur, dass ich Windfeld verlasse, nein, ich werde weiter weggehen. Aber macht euch keine Sorgen um mich. Lloyd ist bei mir und auch die Fiorita lassen mich nie allein. Wir fangen neu an.
Bitte passt auf euch auf. Lasst euch nicht von den Schattenbringern erwischen, lasst meinen Vater nicht gewinnen. Würdet ihr bitte ein Auge auf meine Mutter haben? Ich kann sie nicht mehr beschützen ...
Ulrich, ich danke dir für alles. Du warst für mich der beste, zuverlässigste, klügste Vorgesetzte der Welt. Ohne dich wäre ich in Windfeld vor Heimweh gestorben. Ohne dich hätte ich nie so viel über das Dasein als Ranger gelernt. Ohne dich hätte ich nie als Takuto arbeiten können. Danke für deine Hilfe in allen Lagen, dein Vertrauen und deinen Rat. Du wirst immer wie ein Vater für mich sein.
Jakob, es tut mir schrecklich leid, dass ich dir so oft Sorgen bereitet habe. Dass ich dich zur Verzweiflung und zur Weißglut getrieben habe. Danke, dass du mir immer wieder verziehen und mich jederzeit beschützt hast. Danke, dass du mir trotz des Schocks darüber, wer ich wirklich bin, wieder vertraut hast. Du bist der liebe, clevere, aufrechte große Bruder, den ich mir immer gewünscht habe und der immer auf mich aufpasst.
Mark, ich hätte nie gedacht, dass ich das mal schreiben würde, nachdem du mich in der Grundschule immer so fertiggemacht hast, aber inzwischen bist du einer meiner liebsten Kollegen und einer meiner besten Freunde. Obwohl du nur zufällig und unfreiwillig erfahren hast, wer ich bin, hast du mich nicht verraten. Du bist stärker und vertrauenswürdiger, als ich gedacht habe. Du hast mir bewiesen, dass der erste Eindruck nicht immer der richtige ist. Danke für alles. Und sei Melodia ein guter Freund.
Womit ich auch gleich zu dir komme, Melodia. Du warst nicht nur in der Schulzeit meine beste Freundin. Selbst als ich dich als Takuto kennengelernt habe, bist du wieder zu meiner besten Freundin geworden. Was uns verbindet, ist unglaublich. Darum weiß ich, dass du verstehen wirst, was ich dir hier kurz und knapp sagen will: danke, dass ich immer auf dich zählen kann, danke, dass du mich immer aufheiterst, danke, dass ich immer so offen zu dir sein kann.
Haru, es ist kaum zu glauben, wie wichtig du mir in so kurzer Zeit geworden bist. Du bist einer der intelligentesten, besonnensten und liebenswertesten Menschen, die ich je getroffen habe. Du hast dich nicht mal davon erschüttern lassen, dass ich euch jahrelang belogen habe. Danke für unsere Gespräche, unsere Mädelsabende, unsere gemeinsame Zeit. Ich bin so froh, dass wir zusammen in Windfeld gelandet sind.
Danke, dass ich euch alle meine Freunde nennen darf. Und entschuldigt all die Probleme, die ich euch gemacht habe.
Ich werde einen Weg finden, mich bei euch zu melden. Ich weiß noch nicht, welchen, doch sobald sich die Aufregung gelegt hat, wird mir etwas einfallen.
Ich hab euch unendlich lieb.
Eure Mia
Stille Tränen rannen über meine Wangen. Es war mir nicht leichtgefallen, das zu schreiben. Aber vielleicht freuten sich der Stationsleiter, die beiden Ranger und die Technikerinnen über den Brief. Vielleicht erklärte er einiges oder ermutigte sie.
Ob ich meine Schwangerschaft erwähnen sollte? Außer Lloyd, den Fiorita und mir wusste niemand davon, nicht mal meine Eltern. Eigentlich hatte ich mit Melodia und Haru darüber reden wollen, aber nun erschien mir das Thema unpassend. Immerhin herrschte Krieg.
Nein, das reichte so. Ich legte den Kugelschreiber weg und erhob mich. Dann platzierte ich das Handy auf dem Zettel und überflog ein letztes Mal die Zeilen. Unkontrolliert schluchzte ich auf. Ich musste gehen, bevor es mir noch schwerer fiel, Windfeld hinter mir zu lassen.
Ich schniefte laut, schwang mir den Rucksack über die Schultern und blickte auf das Zimmer, in dem ich drei Jahre gewohnt hatte. Nur mühsam riss ich mich davon los. Und hinter mir fiel die Tür leise ins Schloss.
***
„Mauz, da bist du ja!“, freute sich Herr Tokano und nahm mir das Nekota ab, um es zu streicheln und in den Transportkäfig zu setzen. „Ich hoffe, er hat keinen Ärger gemacht?“
Ich schüttelte den Kopf. „Er war nur ein wenig aufgeregt, aber das war kein Problem“, erzählte ich.
„Dann gehen wir mal nach Hause“, sagte der Mann, wahrscheinlich an sein Hausanimalia gerichtet. „Auf Wiedersehen.“
„Tschüss“, verabschiedete ich mich.
Nachdem der ältere Mann das Wartezimmer verlassen hatte, blieb ich im nun leeren Raum stehen, um tief durchzuatmen. Ich legte beide Hände auf meinen mittlerweile runden Bauch. Es war ungewohnt, plötzlich so viel Gewicht mit mir herumzuschleppen. Dabei war ich erst im vierten Monat – wie sollte ich das bis zur Geburt, wenn diese Kugel noch größer und schwerer wurde, schaffen? Hoffentlich gewöhnte ich mich irgendwann daran.
Langsam kehrte ich in den Untersuchungsraum zurück, in dem Frau Hana gerade aufräumte. „Soll ich helfen?“, fragte ich.
„Nicht nötig, mein Mann ist jeden Moment da“, winkte sie ab. „Es ist schon kurz nach fünf, du hast längst Feierabend, Mia.“
„Aber Herr Hana operiert doch noch den Feuerhund“, wandte ich ein und half ihr dabei, die benutzten Utensilien zusammenzuräumen.
Sie lächelte milde. „Du bist wirklich ein Schatz. Wie gut, dass wir dich haben.“
„Ich bin froh, dass ich hier arbeiten darf“, lachte ich.
Ich konnte kein Ranger mehr sein, doch umgeben von Animalia zu arbeiten, kam meiner Definition eines Traumjobs schon sehr nahe. Außerdem mussten Lloyd und ich Geld verdienen. Wir hatten zwar unsere Konten geräumt, aber unsere Ersparnisse reichten nicht ewig, erst recht nicht für Arztkosten, Miete, Strom, Wasser, Lebensmittel, Kleidung und was wir sonst alles brauchten.
Kurz nachdem wir alles aufgeräumt hatten, betrat Herr Hana das Zimmer. Der dunkelhaarige Mann, der kaum älter war als seine Frau, wirkte erschöpft. „Zeit für Feierabend ...“
„Ganz meine Meinung“, stimmte sie zu. „Mia, ab nach Hause. Du musst dich bestimmt auch ausruhen.“
Ich lächelte schief. „Ja, ich bin echt müde.“ Kein Wunder, ich arbeitete seit acht Uhr heute Morgen. Also fast zehn Stunden, was trotz Mittagspause ziemlich anstrengend war. „Bis morgen!“
„Bis morgen“, antworteten die beiden Animaliaärzte wie aus einem Mund.
Ich holte meine Handtasche hinter der Rezeption hervor und verließ die Praxis. Warme Luft hüllte mich ein, als ich ins Freie trat. Durch den Vorgarten, an einem kleinen Blumenbeet vorbei, gelangte ich zur Straße. Einige Animalia, sogenannte Farbfalter, flatterten um mich herum, manche setzten sich sogar auf meine Schultern.
„Leute, nicht so auffällig“, ermahnte ich sie, musste aber lächeln.