»Ja, gewiss, Monsieur!« Du Bousquier hub seltsame Klagen an: Er hatte soeben die letzte Zahlung auf sein Haus geleistet, er musste den Maler, den Maurer, den Schreiner befriedigen; doch Suzanne ließ ihn reden, sie wartete darauf, dass er die Summe nennen würde. Du Bousquier bot hundert Taler. Suzanne spielte, was man im Kulissenstil einen falschen Abgang nennt, sie ging auf die Tür zu.
»Nun, wo willst du hin?« rief Du Bousquier unruhig. »Da hast du dir was Schönes eingebrockt«, sagte er zu sich selbst; »der Teufel soll mich holen, wenn ich ihr mehr als den Halskragen zerdrückt habe! ... Verflucht! Sie macht sich einen Scherz zunutze, um auf dich einen Wechsel, mit der geladenen Pistole in der Hand, zu ziehen!«
»Aber Monsieur«, schluchzte jetzt Suzanne, »ich gehe zu Madame Granson, der Schatzmeisterin des Mütterfürsorgevereins, die, soviel ich weiß, ein armes Mädchen im gleichen Fall sozusagen aus dem Wasser gezogen hat.«
»Madame Granson?« – »Ja«, erwiderte Susanne, »die Verwandte von Mademoiselle Cormon, der Vorsitzenden des Mütterfürsorgevereins. Mit Verlaub haben die Damen der Stadt da eine Einrichtung geschaffen, die manches arme Ding davon abhalten wird, ihr Kind umzubringen, wofür man vor drei Jahren in Mortagne die schöne Faustine d'Argentan mit dem Tode bestraft hat.« – »Da, Suzanne«, sagte Du Bousquier und reichte ihr einen Schlüssel, »öffne selbst den Sekretär, nimm den angebrochenen Beutel, welcher noch sechshundert Francs enthält; es ist alles, was ich besitze.«
Der alte Lieferant bekundete durch seine Niedergeschlagenheit, wie schwer es ihm wurde, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
›Alter Gauner‹ sagte Suzanne im stillen, ›ich werde von seinem Toupet erzählen.‹ Sie verglich Du Bousquier mit dem köstlichen Chevalier de Valois, der nichts gegeben, aber der sie verstanden, ihr einen Rat erteilt und der die Grisetten in sein Herz geschlossen hatte.
»Wenn du mich zum besten hast, Suzanne«, rief da Du Bousquier, als er sah, dass sie ihre Hand in der Schublade hatte ... »Nun«, meinte sie mit einer grandiosen Unverschämtheit, »Sie würden sie mir doch auch geben, wenn ich Sie darum bäte?«
Der Lieferant, der sich an der Ehre seiner Galanterie gepackt fühlte und an seine gute Zeit zurückdachte, ließ ein Knurren der Zustimmung hören. Suzanne nahm den Beutel und verließ das Zimmer, nachdem sie sich von dem alten Junggesellen hatte auf die Stirn küssen lassen, der dabei aussah, als kombinierte er ungefähr folgendes: ›Das ist ein Zoll, der mich teuer zu stehen kommt. Immerhin ist es besser, als vor Gericht als Verführer einer Kindesmörderin zu erscheinen.‹
Suzanne verbarg den Beutel in einer Art Markttasche aus feinem Weidengeflecht, die sie am Arm hatte, und fluchte dem Geiz Du Bousquiers, denn sie hatte tausend Francs haben wollen. Wenn ein Mädchen erst von einer Begierde besessen ist und sich auf den Weg des Betrages begeben hat, geht sie weit. Als die schöne Plätterin die Rue du Bercail entlangging, überlegte sie, dass der Mütterfürsorgeverein, dessen Vorsitzende Mademoiselle Cormon war, ihr vielleicht die Summe, die sie sich zur Bestreitung ihrer Ausgaben ausgerechnet hatte und die für eine Grisette aus Alençon sehr beträchtlich war, ergänzen würde. Überdies hasste sie Du Bousquier. Es schien, als ob der alte Hagestolz Furcht davor hatte, dass man sein angebliches Verbrechen Madame Granson verriet. Suzanne beschloss, auf die Gefahr hin, von dem Mütterfürsorgeverein nicht einen Sois zu erhalten, den ehemaligen Lieferanten bei ihrem Weggang von Alençon in die unentwirrbaren Schlingen eines Provinzklatsches zu verwickeln. Es steckt in der Grisette immer etwas von der Bosheit des Affen. Suzanne setzte also eine recht trübselige Miene auf, als sie bei Madame Granson eintrat.
Madame Granson, die Witwe eines Oberstleutnants der Artillerie, der bei Jena gefallen war, besaß als ganzes Vermögen eine kärgliche Pension von neunhundert Francs, hundert Taler Rente für sich selbst, außerdem einen Sohn, dessen Erziehung und Unterhalt ihre Ersparnisse aufgezehrt hatten. Sie bewohnten in der Rue du Bercail eins der armseligen Erdgeschosse, die der Reisende mit einem Blick übersieht, wenn er in die Hauptstraße der kleinen Stadt einbiegt. Es hatte ein Halbtor, das sich auf drei mächtigen Stufen erhob; ein Gang, an dessen Ende sich eine von einer Holzgalerie überdeckte Treppe befand, führte in den inneren Hof. Auf der einen Seite des Ganges lagen das Esszimmer und die Küche, auf der andern ein Salon für alle Zwecke und das Schlafzimmer der Witwe. Athanase Granson, ein junger Mann von dreiundzwanzig Jahren, wohnte in einer Mansarde über dem ersten Stockwerk des Hauses. Er brachte dem Haushalt seiner armen Mutter den Zuschuss von sechshundert Francs, die ihm ein kleiner Posten beim Gemeindeamt eintrug, wo er bei den Zivilstandsakten beschäftigt war, und den er dem Einfluss seiner Verwandten, Mademoiselle Cormon, verdankte. Nach diesen Angaben wird jeder Madame Granson in ihrem kalten Salon mit gelben Vorhängen und Möbeln aus gelbem Utrechter Samt vor Augen haben, wie sie nach einem Besuch die kleinen Schilfmatten wieder zurechtrückt, die sie vor die Stühle zu schieben pflegte, damit der gebohnerte rote Steinfußboden nicht beschmutzt würde; wie sie dann wieder mit ihrer Näharbeit ihren mit Kissen ausstaffierten Lehnstuhl am Arbeitstisch, der zwischen den beiden Fenstern unter dem Bilde des Oberstleutnants der Artillerie steht, einnimmt, von wo aus sie die ganze Rue du Bercail mit allem, was da kommt und geht, übersehen kann. Sie war eine gute Frau, die in bürgerlicher Einfachheit gekleidet war, wie es zu ihrem blassen Gesicht, das der Kummer förmlich ausgedörrt hatte, passte. Die unerbittliche Bescheidenheit der Armut zeigte sich in allen kleinen Nebendingen dieses Haushalts, der die rechtschaffenen, strengen Sitten der Provinz spiegelte. In diesem Augenblick befanden sich der Sohn und die Mutter in dem Esszimmer, wo sie zum Frühstück eine Tasse Kaffee nebst Butter und Radieschen zu sich nahmen. Um zu begreifen, welches Vergnügen der Besuch Suzannes Madame Granson bereiten sollte, ist es nötig, die geheimen Interessen der Mutter und des Sohnes darzulegen.
Athanase Granson war ein magerer, blasser junger Mann von mittlerer Figur, mit hohlem Gesicht, in welchem zwei schwarze, geistsprühende Augen wie zwei Kohlen funkelten. Die etwas gequälten Linien seines Gesichts, die Krümmungen des Mundes, sein vorspringendes Kinn, der regelmäßige Schnitt der marmornen Stirn, ein Ausdruck der Melancholie, der von dem Gefühl des Elends herrührte, das im Widerspruch zu der innern Kraft stand, deren er sich bewusst war, bekundeten einen begabten Menschen in Gefangenschaft. Überall anderswo als in Alençon hätte ihm seine Erscheinung den Beistand bedeutender Männer oder Frauen, die das Genie in seinem Inkognito erkannten, verschafft. War es nicht das Genie selbst, so war es doch die Form, die es annimmt; war es nicht die Kraft eines großen Herzens, so doch ein Leuchten, das sie dem Blick verleiht. Obwohl er die feinste Sensibilität der Seele hätte ausdrücken können, so war seine Schüchternheit doch so groß, dass sie fast die Anmut der Jugend zerstörte; auch ließ der Frost der Armut nichts Kühnes in ihm aufkommen. Das Provinzleben, ohne Erfolg, ohne Beifall, ohne Ermutigung, zog einen Kreis um ihn, in dem jeder Gedanke in der Knospe welken musste. Überdies hatte Athanase den spröden Stolz, den die Armut bei erlesenen Menschen züchtet, einen Stolz, der sie in ihrem Kampf mit Menschen und Dingen wohl erhöht, ihnen aber bei ihrem Fortkommen hinderlich ist. Das Genie verfährt auf zwei Arten: entweder nimmt es, was ihm gehört, sobald es dessen ansichtig wird, wie es Napoleon und Molière gemacht haben, oder es wartet darauf, dass man zu ihm komme, wenn es sich in der Stille offenbart hat. Der junge Granson gehörte zu der Klasse begabter Menschen, die sich selbst nicht kennen und leicht mutlos werden. Seine Seele war beschaulich, er lebte mehr im Denken als im Tun. Vielleicht wäre er jenen, welche sich das Genie nicht ohne das leidenschaftliche Flackern des Franzosen denken können, unvollkommen erschienen; doch war er mächtig in der Welt des Geistes, und er sollte durch eine Reihe innerer Kämpfe, die sich dem gewöhnlichen Blick entziehen, zu jenen plötzlichen Entschließungen gelangen, die deren Abschluss bilden und die Dummköpfe zu dem Ausruf veranlassen: Er ist verrückt. Die Verachtung, welche die Welt über die Armut ergießt, lähmte Athanase; die entnervende Atmosphäre einer beklemmenden Einsamkeit erschlaffte seinen Geist, der sich immer wieder aufs neue anspannte, ein schreckliches Spiel ohne jeglichen Erfolg, das die Seele ermüdete. Athanase hätte sich den ausgezeichnetsten Männern Frankreichs an die Seite stellen können; aber dieser Adler, der in einen Käfig gesperrt war, wo er kein Futter fand, war im Begriff, Hungers zu sterben, wiewohl sein glühendes Auge an den Weiten des Himmels und den Höhen, in denen das Genie schwebt, geschweift hatte. Obwohl seine Arbeiten im Gemeindeamt bei den Zivilstandsakten der allgemeinen Aufmerksamkeit entgingen, vergrub er seine nach Ruhm begehrenden