»›Frankreich! Frankreich!‹ rief ich aus. ›Endlich Frankreich!‹ – wie ein verwundetes Kind ›Ach, Mutter!‹ schreit.« So erzählte er mir.
Vor seiner Geburt war er reich; als Armer betrat er Frankreichs Boden. Geschaffen, um ein Regiment zu befehligen oder einen Staat zu lenken, stand er da, machtlos und ohne Zukunft. Obwohl von Geburt gesund und kräftig, kehrte er nun krank und verbraucht zurück. In einem Lande, wo Menschen und Dinge fortgeschritten waren, konnte er ohne Bildung notgedrungen keinerlei Einfluss ausüben. Er war aller Mittel beraubt, selbst der körperlichen und seelischen Kräfte. Die Armut ließ ihn seinen Namen als eine Last empfinden. Seine unerschütterlichen Überzeugungen, seine Dienstzeit in der Armee Condés, seine Sorgen, seine Erinnerungen, seine verlorene Gesundheit verliehen ihm eine Reizbarkeit, die in Frankreich, dem Lande der Spottlust, wenig geschont wurde. Halbtot gelangte er in die Maine, wo durch einen Zufall, der vielleicht mit dem Bürgerkriege zusammenhing, die revolutionäre Regierung vergessen hatte, ein ausgedehntes Gut zu verkaufen, dessen Pächter es für den Comte verwaltete, indem er vorgab, selbst der Eigentümer zu sein. Als die Familie Lenoncourt, die Givry, ein Schloss in der Nähe jenes Gutes, bewohnte, die Ankunft des Comte erfuhr, schlug ihm der Duc de Lenoncourt vor, in Givry zu wohnen, bis sein Haus wieder instand gesetzt wäre. Die Familie Lenoncourt erwies sich edel und großmütig gegen den Comte, der sich dort während eines mehrmonatigen Aufenthalts erholte und sein mögliches tat, um während dieses ersten Aufenthalts seine Schmerzen zu verbergen. Die Lenoncourts hatten ihre riesigen Besitztümer verloren. Mit seinem Namen war Monsieur de Mortsauf eine standesgemäße Partie für ihre Tochter. Statt sich der Verheiratung mit einem fünfunddreißigjährigen kränklichen und gealterten Manne zu widersetzen, schien Mademoiselle de Lenoncourt im Gegenteil beglückt darüber. Die Ehe verschaffte ihr das Recht, mit ihrer Tante, der Duchesse de Verneuil, der Schwester des Prince de Blamont-Chauvry, zu leben, die für sie eine Adoptivmutter war.
Madame de Verneuil war eine vertraute Freundin der Duchesse de Bourbon und gehörte einem religiösen Klub an, dessen Seele Monsieur Saint-Martin war, der aus der Touraine stammte und den Beinamen >der unbekannte Philosoph< führte. Die Jünger dieses Philosophen übten die Tugenden, die die hohen Spekulationen der Mystiker vorschreiben. Diese Lehre liefert einen Schlüssel zur jenseitigen Welt, erklärt das Dasein als eine Reihe von Wandlungen, durch die der Mensch allmählich zu seiner höchsten Bestimmung gelangt, nimmt dem Gehorsam das Entwürdigende der Pflichterfüllung, trägt in die Mühen des Lebens eine unwandelbare Quäkergelassenheit und verordnet Geringschätzung des Leidens, indem sie so etwas wie ein mütterliches Gefühl eingibt für den Engel in uns, den wir gen Himmel tragen. Es ist eine Art Stoizismus, der ein Jenseits kennt. Tatkräftiges Beten und reine Liebe sind die Elemente jenes Glaubens, der sich vom Katholizismus der römischen Kirche trennt und zum primitiven Christentum zurückkehrt. Mademoiselle de Lenoncourt blieb nichtsdestoweniger im Schoß der apostolischen Kirche, der ihre Tante stets treu ergeben war. Durch die Stürme der Revolution hart geprüft, hatte die Duchesse de Verneuil in den letzten Tagen ihres Lebens eine leidenschaftliche Frömmigkeit an den Tag gelegt, die – wie Saint-Martin sich ausdrückt – in die Seele ihres geliebtes Kindes >das Licht himmlischer Liebe< und >das Öl innerer Wonne< goss. Nach dem Tode ihrer Tante, bei der Saint-Martin viel verkehrt hatte, beherbergte die Comtesse mehrmals diesen Mann des Friedens und der Tugendweisheit. Von Clochegourde aus überwachte Saint-Martin das Erscheinen seiner letzten Bücher, die bei Letourmy in Tours gedruckt wurden. Erleuchtet durch die Weisheit alter Frauen, die des Lebens stürmische See kennen, vermachte Madame de Verneuil der jungen Frau Clochegourde; um ihr auf diese Weise ein Heim zu schaffen. Mit der anmutigen Opferfreudigkeit edler Greise trat die Duchesse alles, was sie besaß, an ihre Nichte ab und begnügte sich mit einem Zimmer über dem, das sie früher bewohnt hatte und das jetzt das Zimmer der Comtesse war. Ihr unerwarteter Tod warf Trauerschleier über die Freuden dieses Bundes und drückte Clochegourde und der abergläubischen Seele der jungen Frau den Stempel unauslöschlicher Trauer auf. Die ersten Tage ihres Aufenthalts waren für die Comtesse die einzige, wenn nicht glückliche, so doch sorgenlose Zeit ihres Lebens.
Nach den Irrfahrten seines Aufenthalts in der Fremde war Monsieur de Mortsauf beglückt, eine milde Zukunft vor sich zu sehen, und es kam wie eine seelische Genesung über ihn. In diesem Tal atmete er den berauschenden Duft einer voll erblühten Hoffnung. Weil er immer rechnen und peinlich haushalten musste, vertiefte er sich in die Vorbereitungen auf seinen neuen Beruf und fand einiges Vergnügen daran. Aber die Geburt Jacques' war ein Blitzstrahl, der zerstörend in Gegenwart und Zukunft fiel: der Arzt gab den Neugeborenen auf. Der Comte verschwieg der Mutter das Todesurteil. Dann ließ er sich selbst untersuchen und erhielt einen vernichtenden Bescheid, der durch die Geburt Madeleines bestätigt wurde. Diese beiden Ereignisse, eine Art innerer Gewissheit, die die verhängnisvolle Aussage bestätigte, verschlimmerten noch die krankhaften Anlagen des Emigranten. Sein Name würde auf ewig erlöschen. Eine reine junge Frau ohne Makel war unglücklich an seiner Seite, war den Qualen der Mutterschaft preisgegeben, ohne deren Freuden zu kosten. Dieser Humus seines früheren Lebens, aus dem neue Leiden keimten, lastete schwer auf seinem Herzen und vernichtete ihn vollends. Die Comtesse erriet aus der Gegenwart die Vergangenheit und las in der Zukunft. Obwohl es nichts Schwereres gibt, als einen Mann, der sich schuldig weiß, glücklich zu machen, unternahm die Comtesse de Mortsauf diesen Versuch, der eines Engels würdig gewesen wäre. In einem Tage wurde sie stoisch. Nachdem sie hinabgestiegen war in den Abgrund, aus dessen Tiefe sie zum Himmel emporsah, widmete sie sich für einen einzigen Menschen dem Beruf, den die Krankenpflegerin für alle ausübt; und um ihren Mann mit sich selbst zu versöhnen, verzieh sie ihm, was er selbst sich nicht verzeihen konnte. Der Comte wurde geizig. Sie nahm alle ihr auferlegten Entbehrungen hin. Aber er lebte in der steten Furcht, hintergangen zu werden, wie alle, die aus ihrer Kenntnis der Welt nur Ekel geschöpft haben; sie blieb in der Einsamkeit