Das Castle aus alter Zeit befand sich in tadellosem Zustand. Die Renovierung mußte ein kleines Vermögen gekostet haben. Die Trossen der Zugbrücke waren schneeweiß gestrichen. Diese Farbe harmonierte sehr gut mit dem ehrwürdigen Gemäuer, das auf der abgeflachten Kuppe einer Art Felsnadel stand. Nur diese Hän-gebrücke allein gab den Zugang zum Castle frei. Die Flanken der Felsnadel waren steil und nur von Hochal-pinisten mit entsprechender Ausrüstung zu besteigen.
Hinter dem Schloß, das mehr einer alten Festung glich, war die breite, bayartige Mündung des Fal zu se-hen, eines an sich kleinen Flusses, der sich dann bei Falmouth in den Atlantik ergoß. Man befand sich, um die Beschreibung abzurunden, im Süden Cornwalls in England, einem Landstrich, der fast mittelmeerähnli-chen Charakter aufwies.
»Ein beneidenswert schönes Castle«, sagte Agatha Simpson, »ich möchte nur wissen, wie dieser Lümmel an dieses Schloß gekommen ist. Nun, ich werde ihn danach fragen, Mister Parker. Fahren wir weiter.«
Butler Parker sah keine Möglichkeit, Myladys Wunsch zu torpedieren. Nachdem Agatha Simpson zurück in den Fond des hochbeinigen Wagens gestiegen war, setzte sich Parker an das Steuer des ehemaligen Lon-doner Taxis, das nach seinen speziellen Wünschen gründlich umgebaut worden war. Dieser Wagen war eine technische Überraschung auf Rädern und zeichnete sich vor allen Dingen durch einen sehr leistungsstarken Motor aus.
Josuah Parker wußte mehr als Lady Simpson. Er besaß bereits einige Informationen über diesen Stephan Waters und hütete sich bisher, ihr davon Mitteilung zu machen. Der Besitzer des Castle war eine sehr dubio-se Gestalt, die vor Jahren in der Unterwelt von London eine gewichtige Rolle gespielt hatte. Wie gesagt, davon hatte Parker seiner energischen Herrin nichts gesagt und hoffte inständig, daß sie ahnungslos blieb.
Der Weg von der sanften Bergkuppe hinunter zur Hängebrücke war schmal, aber gut gepflegt. Vor der Hängebrücke gab es eine Art Vorburg, deren Fallgitter hochgezogen war. Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum durch den Torbogen und mußte dann anhalten. Ein starkes Gitter versperrte die Fahrt über die Hängebrücke hinüber zum eigentlichen Schloß.
Bevor Josuah Parker sich nach einem geeigneten Meldemittel umsehen konnte, erschien ein junger Mann mit dümmlichem Gesicht. Es war der Zwilling jenes Mannes, der Myladys »Glücksbringer« ausgiebig gekos-tet hatte.
»Lady Simpson wünscht Mr. Stephan Waters zu sprechen«, sagte Parker, der ausgestiegen war. Mit einem einzigen prüfenden Blick hatte der Butler den Mann abtaxiert. Er sah sofort, daß er es mit einem Profi aus der Unterwelt zu tun hatte. Die Dümmlichkeit war nichts als Tarnung. Hinter dem schafsmäßigen Aussehen verbargen sich Härte und Brutalität.
»Lady Simpson?« Der junge Mann trat an den Wagen und sah sich Parkers Herrin sehr ungeniert an. Er grinste, als er Kathy Porter entdeckte.
Agatha Simpson blickte durch den jungen Mann hindurch. Er existierte für sie überhaupt nicht.
»Und warum will sie ihn sprechen?« erkundigte sich der junge Mann, der zu Parker zurückgekommen war.
»Rufen Sie Mr. Waters an«, erwiderte Parker. »Melden Sie Lady Simpson!«
Parker deutete auf die geöffnete Tür in einem Wachtturm. Das Telefon an der Wand war deutlich zu se-hen. Er sprach in einem Ton, daß der junge Mann darauf verzichtete, weitere Fragen zu stellen, in den Rund-turm ging und telefonierte.
Nach knapp einer Minute kam er zurück und grinste unverhohlen.
»Ihre Lady soll sich zum Teufel scheren«, sagte er, »genau das soll ich bestellen. Mr. Waters empfängt keinen Besuch!«
»Ich fürchte, Mylady wird diese Auskunft nicht günstig aufnehmen«, prophezeite der Butler. Er kannte doch seine Herrin. Widerstand reizte sie nur, um besonders aktiv zu werden.
»Danke, Sie brauchen mir nichts zu sagen«, meinte Lady Agatha, als er an den hinteren Wagenschlag trat. »Ich habe alles gehört, Mister Parker.«
»Ich möchte betonen, Mylady, daß ich bestürzt bin«, erklärte der Butler gemessen.
»Im Grunde war von diesem ausgedienten Gangster nicht mehr zu erwarten.«
»Mylady wissen?« Parker war überrascht. Er wußte zwar nicht, woher sie ihr Wissen hatte, aber darauf kam es auch gar nicht an. Er sah das angeregte Funkeln in ihren dunklen Augen und spürte, daß gewisse Dinge wieder mal ihren Lauf nahmen.
*
Sie waren nach Falmouth zurückgekehrt und befanden sich wieder im Hotel.
Während der Rückfahrt verharrte Agatha Simpson in Schweigen. Parker fürchtete, seine Herrin könnte über gewisse Vergeltungsmaßnahmen brüten. Eine Lady Agatha Simpson war nicht die Frau, die eine Belei-digung ohne weiteres einsteckte. Sie pflegte sich stets nachdrücklich zu revanchieren.
»Darf ich mir erlauben, daran zu erinnern, daß Mylady morgen in London erwartet wird?« sagte Parker.
»Wir bleiben!«
»Haben Mylady besondere Pläne?«
»Dumme Frage, Mister Parker! Das wissen Sie doch längst! Wir werden es diesem Subjekt zeigen.«
»Mylady sollten daran denken, daß man es mit einem Gangster zu tun hat.«
»Einem ausgedienten, Mister Parker. Auch ich habe so meine Informanten in London. Nicht nur Sie!«
»Mylady mögen meine Diskretion verzeihen«, entschuldigte sich der Butler würdevoll.
»Reden wir davon, wie wir es diesem Lümmel zeigen könnten, Mister Parker. Das ist unser Thema! Was wissen Sie über diesen Waters?«
»Stephan Waters, vierundfünfzig Jahre alt, geboren in Liverpool, zuerst Gelegenheitsarbeiter, dann Zuhäl-ter, erste Kontakte mit den Gerichten, einige unerhebliche Geldstrafen wegen Körperverletzung, dann über-gewechselt nach London und hier im Rauschgiftgeschäft tätig gewesen. Die Behörden sahen sich außerstan-de, Stephan Waters je etwas nachzuweisen. In eingeweihten Kreisen war seine Brutalität sprichwörtlich. Er soll einige Konkurrenten mittels Mord aus dem Weg geräumt haben. Nachzuweisen war ihm nichts. Er blieb unbehelligt. Stephan Waters hat sich vor etwa drei Jahren aus seinen Geschäften zurückgezogen und privati-siert, wenn ich es so ausdrücken darf.«
»Warum ist dieses Subjekt ausgestiegen, wie Sie sich ausdrückten?«
»Mister Waters geriet in Streit mit amerikanischen Syndikats Vertretern, die ihre Rauschgiftgeschäfte auch auf England ausdehnen wollten. Er soll, das sage ich mit allem Vorbehalt, einen dieser Männer erschossen haben.«
»Er hat es also mit der Angst zu tun bekommen, das ist doch die Wahrheit, oder?«
»So könnte man es natürlich auch ausdrücken.«
»Verschaffen wir diesem Strolch doch etwas Angst, Mister Parker.«
»Mylady wollen sich mit solch einem üblen Gangster anlegen?« Parkers Gesicht drückte Widerwillen aus.
»Ich will ihm aufspielen«, präzisierte Lady Agatha unternehmungslustig. »Ein wahrer Zufall, daß er mei-nen Weg kreuzte. Und sein Pech, daß seine Subjekte mir die Vase zerschmetterten.«
»Mister Waters wird sich kaum etwas bieten lassen, Mylady. Ich möchte entschieden warnen.«
»Lady Simpson läßt sich ebenfalls nichts bieten«, kommentierte die streitbare Dame. »Und wer warnt Wa-ters?«
Bevor Josuah Parker darauf antworten konnte, griff die Detektivin bereits nach dem Telefonhörer und ver-langte von der Hotel Vermittlung eine Verbindung mit Stephan Waters. Während sie auf diese Verbindung wartete, sah sie Parker und ihre Gesellschafterin kriegerisch an. Sie zupfte ihr undamenhaft solides Taschen-tuch aus dem Pompadour und legte es über die Sprechmuschel. Agatha Simpson hatte zu viele Kriminalfilme gesehen, um nicht zu wissen, wie man seine Stimme am Telefon verzerrt.