Sein erster Entschluß, auf keinen Fall die Flucht zu ergreifen, war endgültig. Flucht war sinnlos. Hier vom Schloß aus konnte er nicht nur alle weiteren Angriffe abwehren, sondern auch zum Gegenangriff übergehen. Mit Geld ließ sich viel erreichen. Und Geld besaß er tatsächlich in mehr als ausreichender Menge. Die Jahre als Gangsterboß in London hatte er genutzt.
Er hörte das Läuten des Telefons in seinem großen Wohnraum, verließ den Balkon und ging an den Appa-rat. Er meldete sich und hörte auf der Gegenseite nur ein deutliches Atmen.
»Wer ist da?« fragte Waters scharf.
»Wirklich keine Ahnung?« Undeutlich und verzerrt klang die Stimme, die er erst vor wenigen Stunden gehört haben mußte.
Wenigstens kam ihm das so vor.
»Lady Simpson?« fragte er spontan.
Auf der Gegenseite war ein ersticktes Kichern zu hören.
»Sie sind ein Witzbold, Waters«, reagierte die Stimme.
»Wer spricht denn da?« Waters wurde wütend.
»Denken Sie darüber mal nach«, schloß die Stimme am anderen Leitungsende. »Ich bin’s gewöhnt, meine Rechnung zu präsentieren.«
Waters starrte auf den Hörer, nachdem die Verbindung getrennt worden war. Dann knallte er den Hörer in die Gabel und massierte sich nachdenklich seinen Nasenrücken.
Wie war das gewesen? Rechnung präsentieren!? Sollte diese Lady erneut angerufen haben? Waters war verunsichert. Ob diese komische Lady mit ihrem Butler und der Gesellschafterin vielleicht zum Syndikat gehörte?
*
Parker betrat nach etwa anderthalb Stunden wieder das Ferienhaus und machte einen recht zufriedenen Eindruck.
»Schon zurück?« erkundigte sich Agatha Simpson, die sich unten im Wohnraum befand.
»Die Verhandlung mit Mister Waters gestaltete sich erfreulich kurz«, schwindelte Parker. »Er konnte sich meinen Argumenten nicht länger verschließen, Mylady.«
»Und?!« Die streitbare Dame sah ihren Butler wachsam an.
»Mister Waters bittet um Entschuldigung für sein unmögliches Betragen und erstattet Ihnen hiermit die restlichen, geforderten 45 Pfund.«
Parker war hochherrschaftlicher Butler genug, um die Pfundnoten zuerst auf ein Silbertablett zu legen, be-vor er sie Mylady reichte.
»Pfui, Parker.«
»Mylady!« Parker hatte eine dumpfe Ahnung, daß seine Herrin den Schwindel bereits durchschaut hatte.
»Mylady sind meiner bescheidenen Wenigkeit gram?« erkundigte sich Parker.
»Sie wollen mich beschwindeln«, gab die Detektivin zurück. »Dieses Geld stammt niemals von diesem Flegel Waters. Stimmt es?«
»Mylady sehen mich zerknirscht.« Parker senkte den Kopf, um damit seine Betroffenheit anzudeuten.
»Es geht mir schon gar nicht mehr um das Geld«, stellte Agatha Simpson fest. »Es geht um das Prinzip der Höflichkeit. Dieser Lümmel hat sich zu entschuldigen. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Ich wollte Mylady sehr viel Ärger ersparen.«
»Haben Sie solch eine Angst vor diesem Subkekt?« Ihre Augen funkelten kriegerisch.
»Mylady kennen Stephan Waters nicht.«
»So ähnlich drückten Sie sich schon mal aus, Parker. Ob es gefährlich ist oder nicht, interessiert mich nicht. Er hat sich an die Regeln der Höflichkeit zu halten, vor allen Dingen einer Dame gegenüber. Haben Sie das Fernrohr mitgebracht?«
»Sicherheitshalber, Mylady.«
»Sie rechneten also damit, daß ich Sie durchschauen würde?« Lady Agatha lächelte triumphierend.
»Ich fürchtete es, Mylady.«
»Bauen Sie das Fernrohr auf, daß ich das Castle beobachten kann. Und dann erwarte ich Ihre Vorschläge, Mister Parker.«
»Können Mylady mir noch mal verzeihen?«
»Was bleibt mir anderes übrig? Ich brauche Ihre Tricks. Und das wissen Sie sehr genau.« Sie entließ Josu-ah Parker mit einer Handbewegung und widmete sich wieder dem kleinen Erfrischungstrunk, den Kathy Porter ihr besorgt hatte. Sie genoß den alten Whisky und sah die junge, attraktive Frau dann augenzwin-kernd an.
»Wer hat nun recht gehabt?« fragte sie. »Ich wußte gleich, daß er mich anschwindeln würde. Ja, Mister Parker muß noch viel lernen. Mister Rander scheint es ihm in all den Jahren etwas zu einfach gemacht zu haben.«
»Seine Warnungen klingen aber sehr ernst, Mylady.«
»Ich werde diesen Lümmel von einem Gangsterboß schon nicht unterschätzen, Kindchen.« Agatha Simp-son trank das Glas leer und stiefelte dann über die etwas steile Holztreppe hinauf ins Obergeschoß. In einer kleinen Giebelkammer hatte Parker inzwischen die private Beobachtungsstation eingerichtet.
Auf ein schweres Holzstativ war ein Teleskop montiert, das über eine Brennweite von rund 900 mm ver-fügte. Dieses Gerät sah schon recht professionell aus.
Agatha Simpson nickte zufrieden.
»Der Verkäufer garantiert eine fast 450fache Vergrößerung«, erläuterte Parker. »An sich ist dieses Tele-skop für die Beobachtung der Gestirne gedacht und für Amateuerastronomen entwickelt worden.«
»Ich will diesen Lümmel beobachten«, stellte die Detektivin fest.
»Mylady werden mit der Normalbeobachtung ungemein zufrieden sein«, verhieß Josuah Parker und jus-tierte das Teleskop. »Die Wasserfront des Castle weist im Objektiv erstaunliche Details auf.«
Lady Simpson sah durch das Okular und war angenehm überrascht. Die Vergrößerung wär wirklich be-achtlich. Sie suchte die Wasserseite des Castle ab und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit dann schließlich auf einen Balkon, dessen Tür zum Wohnraum weit geöffnet war.
»Was ist denn das?« fragte sie sich halblaut und bediente die Feineinstellung. »Sehen Sie doch mal, Mister Parker! Wenn das keine Schußspuren sind, will ich Mrs. Smith heißen.«
»Wenn Mylady erlauben.« Parker baute sich vor dem Teleskop auf und sah sich die Stelle an, die Agatha Simpson eingerichtet hatte.
»Mylady brauchen Ihren Namen nicht zu wechseln«, sagte er nach einigen Sekunden trocken. »Es sind Schußspuren! Und dazu noch recht frische.«
Als er sich aufrichtete, dachte Parker sofort an den Hubschrauber. Er fragte sich, ob da vielleicht ein Zu-sammenhang bestand.
*
Der Verkäufer, der Josuah Parker in Falmouth bedient hatte, war an diesem Tag besonders erfolgreich ge-wesen. Er hatte nämlich ein zweites Teleskop verkauft, und zwar an einen sehr trocken aussehenden Mann mit einer etwas altertümlich wirkenden Brille. Dieser Mann hatte den Verkäufer an einen stillen Privatgelehr-ten erinnert, der so etwas wie ein Wissenschaftler war.
Er besaß einen britischen Paß auf den Namen Ellis Kildare, war etwa fünfundvierzig Jahre alt und nannte sich Fachschriftsteller. Seine bisherigen Arbeiten waren in einem kleinen amerikanischen Verlag erschienen, wie sich beweisen ließ.
Das wirkliche Fachgebiet dieses Wissenschaftlers war Mord!
Ellis Kildare war der Henker des Syndikats und zuständig für den europäischen Bereich. Kildare, ein durch und durch humorloser Mensch, betrieb seine Arbeit wie eine Wissenschaft. Bevor er sich seinen Op-fern näherte, pflegte er deren Gewohnheiten sehr gründlich zu studieren. Wenn er dann zuschlug, war der Mord perfekt und kaum beweisbar. Ellis Kildare war auf dem Gebiet der tragischen Alltagsunfälle eine Ka-pazität. Waters heißt das Opfer, auf das Kildare angesetzt worden war. Der Henker des Syndikats war vor einigen Tagen hier im südlichen Cornwall eingetroffen und hatte sich in der Kapitänssiedlung ein kleines Fachwerk-Ferienhaus gemietet. Es war der Laune des Zufalls zuzuschreiben,