»Oh, oh! Kamen sie nie mehr zurück?« rief Kurt im höchsten Bedauern aus.
»Nie wieder«, entgegnete die Mutter. »In diesem Augenblick war es denn, dass plötzlich das, wie wir glaubten, längst erloschene Gerücht wieder auftauchte, der Geist von Wildenstein gehe um im Schloss, und der und jener wollte ihn gehört und andere ihn gesehen haben, und bis auf den heutigen Tag spukt der Geist von Wildenstein in den Köpfen der Leute.«
»Siehe unten, kann nun hier angewandt werden«, sagte Bruno trocken, nach dem unteren Ende des Tisches blickend, wo Kurt sass. »Erzähl doch fertig, Mutter«, bat dieser eilig, »wo sind sie denn alle hingekommen. Und der verschwundene Bruder?«
»Was ich noch zu erzählen habe, ist kurz und traurig«, sagte die Mutter. »Leonore schrieb mir getreulich. Nachdem der erste Winter im Süden zugebracht worden, zeigte es sich, dass die Gesundheit der Frau Baron erschüttert war. Sie wünschte nicht, auf das Schloss zurückzukehren. Sie sandte ihre Anordnungen an Apollonie, die sich mit dem Schlossgärtner verheiratet hatte und mit ihm das Schloss hütete. Drei Jahre nachher starb die Frau Baron, ohne je wieder heimgekehrt zu sein. Kurze Zeit vorher war Leonore Salos Frau geworden. Nicht lange sollten die beiden zusammenbleiben, nicht viel mehr als drei Jahre, da starb Salo an einem hitzigen Fieber, und Leonore folgte ihm wenige Monate nachher, ein ganz kleines Mädchen und einen auch noch kleinen Jungen zurücklassend. Eine Tante aus Holstein war nach Nizza gekommen, wo Leonore nach dem Tode ihres Mannes ganz alleinstand, und hatte dann die Kinder mit sich nach Holstein genommen. Diese letzte Nachricht hörte ich durch die Apollonie, der von jener Tante die letzten Anordnungen der Leonore zugesandt worden waren. Von diesen Kindern habe ich nie mehr etwas gehört. Von dem verschwundenen Bruder habe ich durch Apollonie einmal noch Nachricht erhalten. Der junge Pfarrer Bergmann, euer seliger Vater, hatte mich um dieselbe Zeit, da die Nachricht vom Tode der Frau Baron kam, in sein Pfarrhaus nach Sils im Tal geholt, wohin ich ihm um so lieber folgte, als mein Bruder Phipp sich soeben dort ein Gut gekauft hatte und mich auch gern in seiner Nähe haben wollte. Dorthin nun kam eines Tages Apollonie in grosser Aufregung, um mir von einem Ereignis zu berichten, von dem sie ganz erfüllt war: nach wohl acht Jahren Abwesenheit, ohne je ein Wort von sich hören zu lassen, war plötzlich Baron Bruno auf dem Schloss angekommen mit einem Begleiter, der sich Herr Demetrius nannte. Der Baron glaubte, auf dem Schlosse Mutter und Bruder und die einstige Spielgenossin zu finden. Als er von Apollonie alles vernahm, was sich seit seiner Entfernung zugetragen hatte, brach er in einen furchtbaren Zorn aus; denn er glaubte, man habe ihm absichtlich keine Nachrichten zukommen lassen. Apollonie konnte ihm zwar aus den Briefen der Frau Baron beweisen, dass sie immer alle ihre Anordnungen im Hinblick auf die Rückkehr des ältesten Sohnes gab, dem sie auch, wie sie schrieb, immer wieder Nachrichten zu senden versuche, freilich ohne eine Antwort zu erhalten. Bei dem unsteten Leben, das Baron Bruno führte, hatten ihn keine Briefe erreicht, obschon er behauptete, auf den Posten der Hauptstädte dafür gesorgt zu haben, dass er gefunden werde. Erzürnt und verbittert, hatte der Baron gleich wieder das Schloss verlassen, und bis auf die heutige Stunde weiss man nichts mehr von ihm. Der Herr Demetrius, Herr Trius, wie er nachher von jedermann genannt wurde, kam vor einigen Jahren allein in das leere Schloss zurück. Apollonie hatte unterdessen ihren Mann verloren, hatte alle Räume des Schlosses zugemacht und die frühere Gärtnerwohnung bezogen, das Häuschen, wo sie noch jetzt wohnt. Von der Zeit an, da er wieder erschienen war, bis heute, führt dieser Herr Trius ein abgeschlossenes Leben dort oben und verkehrt mit keinem Menschen, als etwa mit Apollonie, und auch mit ihr nur, wenn er sie durchaus nötig hat. Von seinem Herrn gab er durchaus keine Nachricht, Apollonie konnte sich darum bemühen, wie sie wollte. Nun wisst ihr, wie mein Jugendleben mit dem Schlosse zusammenhing und könnt begreifen, dass es mich nach dem Tode eueres Vaters vor dem Jahr wieder hierherzog, um so mehr, als ein naher Bekannter meines Vaters ihm als Pfarrer hier gefolgt war. Von diesem wusste ich auch, er würde meinem Bruno noch für einige Jahre den Unterricht erteilen, den er in den Landschulen nicht mehr fand, so dass ich ihn dann noch zu Hause behalten könnte. Nun wisst ihr auch, warum, trotz des traurigen Anblickes des verlassenen Schlosses, es mich immer wieder dorthinauf zieht, um nach der Stätte so vieler schöner Erinnerungen hinüberzuschauen.«
»Erzähl doch noch ein wenig weiter, Mutter«, bat Kurt dringend, als diese sich jetzt erhob.
»O ja, bitte Mutter«, stimmte Mea ein, »erzähl noch etwas von deiner Freundin Leonore!«
»Ja, erzähl doch weiter, Mutter«, bat nun auch Bruno. »Man sollte noch vieles wissen. Ist denn der Baron Bruno immer in Spanien herumgereist?«
»Ich glaube meistens, so bestimmt kann