»Heute ist nichts los da drinnen, wir müssen ein Gesellschaftsspiel in Gang bringen, sonst entschlafen die wenigen noch, die da sind«, rief der Baron seinen Freunden zu. Alle stimmten ihm lebhaft bei, und sogleich wurden die Sessel um den großen runden Tisch herum geordnet. Was sollte ausgeführt werden? Man debattierte nunmehr eifrig darüber.
»Wir wollen Menschen zusammenstoßen«, sagte die kleine Amerikanerin, die sich durch besondere Teilnahme an der Sache auszeichnete.
»So kann man nicht sagen«, donnerte ihr Bruder George sie an. »Du wirst nie deutsch wissen.«
»Doch, so kann man sagen, es heißt: put together; nicht wahr, so kann man sagen, Papa?«
Damit wandte die beleidigte Kleine sich an den Vater, sichtlich fest überzeugt, vor dieser Instanz zu gewinnen.
»Ja, ja, so kann man auch sagen; little Mimy hat recht«, entschied der Vater. »Wo man es dann anwendet und wo nicht, das wird Mimy schon lernen; dafür reisen wir.«
»Nein, das kann man nicht sagen, nie, you silly staring rabbit«, brummte der ergrimmte George vor sich hin. Währenddessen hatte der Baron allerlei Zeichen und Winke an Hedwig gerichtet, dahin zielend, sie möchte die Römerin mit in das Spiel hineinziehen.
Hedwig winkte entschieden ab. »Sehn Sie doch einmal nach ihr hin«, sagte sie leise; »sieht sie denn aus, als möchte sie Menschen zusammenstoßen?« Hedwig wußte freilich selbst nicht, wie das geschehen sollte. Das Spiel wurde in Gang gesetzt, und der Sinn der Sache war, daß zwei Menschen zusammengestellt werden sollten, die sich irgend eine Wahrheit sagen mußten.
»Noch einfacher«, bemerkte der Baron, »ist es, wenn wir nur einen Namen hinsetzen und das Publikum demselben eine Wahrheit sagen lassen.«
Der Vorschlag wurde angenommen, das Spiel begann. Man schrieb eifrig unter tiefem Schweigen, das nur hier und da von einer kindlichen Bemerkung Mimys und des Bruders markiger Zurechtweisung unterbrochen wurde. Das Werk war fertig; jeder mußte sein Blatt herunterlesen. Es kamen eigentümliche Wahrheiten heraus, meistens war deren Sinn etwas dunkel. Die Amerikaner, alt und jung, hatten ihre überseeischen Gedanken in so fremdartige Formen der deutschen Grammatik eingekleidet, daß man nie recht wußte, ob die Dinge das bedeuten sollten, was die Worte ausdrückten, oder ob damit das Gegenteil gemeint war. Der Baron wollte umkommen vor Lachen. Endlich kam die Reihe an ihn; er hatte Mühe, mit Fassung zum Ende seines Blattes zu kommen. Am Schlusse stand noch sein eigener Name. Mit Pathos las er die ihm zugeeigneten Worte:
»Kakadus wie Schleier-Eulen
können noch peccavi heulen.«
»Was ist ein peccavi?« fragte Fräulein Mimy.
»Das ist ein arges Ding«, erklärte der Baron. »Diese Worte hat mir meine Freundin als bedeutsamen Wink auf meinem Lebensweg gewidmet.« Dabei schaute er mit drohend aufgehobenem Finger auf Hedwig hin.
»Ich bin mit der Sache einverstanden«, sagte diese ruhig; »geschrieben habe ich sie zwar nicht, finde es aber viel besser, daß der Mensch aus sich selbst zu solchen Wahrheiten gelange, als daß er sie von anderen hören müsse.«
»Wieso? Wie meinen Sie das?« fragte der Baron in harmloser Weise.
»Ich meine, weil ich die Kakadus in Ruhe gelassen, so war nur noch einer, der sie mit Ihrem Namen in Beziehung bringen konnte; diese Art von Kakadus kennt nicht jeder.«
»Ich kenne 25 Arten von Kakadu«, erklärte Master George mit stolzer Miene, sichtlich bezweifelnd, daß ihm eine entgangen sein sollte, und nun mischten sich sämtliche Amerikaner in die Kakadufrage, so daß in kurzer Zeit die ganze Gesellschaft eifernd und gestikulierend mitten im Zimmer stand und alle Kakadu-Arten Südamerikas mit ihren mannigfaltigen Eigenschaften in der lautesten Weise hin und her besprach.
Hedwig entschlüpfte durch die offen stehende Glastüre; kurz vorher war die Römerin hinausgegangen. Sie stand draußen an die Balustrade der Veranda gelehnt und schaute regungslos in die Nacht hinaus.
Hedwig trat zu ihr heran.
»Fürchten Sie diese kühle Abendluft nicht?« fragte sie einleitend.
Die junge Dame fuhr zusammen. Sie mußte nicht bemerkt haben, daß ihr jemand genaht war. Sie bat um Entschuldigung, sie sei es so wenig gewöhnt, hier angeredet zu werden. Hedwig erwiderte, die Bitte um Entschuldigung müsse von ihr ausgehen; sie hätte auch nicht gewagt, die Dame anzureden, wenn ihr nicht ein Gruß für sie das erwünschte Recht dazu gäbe.
»Und daß Sie von Ihrem Rechte Gebrauch machen, kann auch mir nur sehr erwünscht sein«, entgegnete das Fräulein. Es lag eine so gewinnende Freundlichkeit im Ton ihrer Stimme, in der Art, wie sie sich zu Hedwig kehrte und ihr die Hand entgegenhielt, daß diese einen Augenblick überrascht und stillschweigend dastand. Sie hatte etwas ganz anderes erwartet. Wo war das ablehnende, stolze Wesen, das sie bis jetzt immer in der Haltung der Römerin zu sehen geglaubt hatte?
»Und der Gruß?« fragte diese jetzt, halb lächelnd.
Hedwig schaute in das edle Angesicht, daß sich zu ihr gewandt und vom Lichte der Lampe hell erleuchtet war. Nicht Kälte und Stolz, wie sie bis jetzt zu bemerken geglaubt hatte, eine tiefe Traurigkeit lag auf diesen Zügen, im ganzen Ausdruck dieses Wesens. Sie gab den Gruß ihrer Freundin ab. Das Fräulein erinnerte sich gleich des Namens und fragte, wo jetzt die Freundin sich aufhalte.
»Wieder in Südfrankreich«, erwiderte Hedwig; »ich verstehe aus ihrem Briefe, daß Sie in der Nähe der Villa wohnten, wo meine Freundin den Winter zubrachte und nun wieder zubringen wird.«
Das Fräulein bejahte dies kurz und fing gleich darauf von der Schönheit der Gegend zu sprechen an, die sie hier umgebe. Sie meinte, auch Hedwig müsse Freude daran haben, da sie oft allein nach dem Hügel hinauf wandere, wo sie sich schon öfters getroffen hätten.
Hedwig bejahte es und bemerkte dazu, daß sie auch nicht wüßte, wen sie zu ihren Gängen einladen könnte, da ihr die Gesellschaft fast ganz unbekannt sei.
»Ich kenne gar niemand hier«, sagte das Fräulein.
»Könnten wir nicht einmal zusammen die Bank auf dem Hügel aufsuchen?« fragte Hedwig, war aber fast erschrocken über ihren Vorschlag, denn er konnte ja der ihr noch ganz Unbekannten unwillkommen sein. Diese nahm ihn aber mit ungekünstelter Zustimmung an und schlug vor, ihn gleich morgen auszuführen.
Eben erschallte durch die halboffene Saaltüre ein ungeheures Lachen; die klangvolle Baßstimme des Barons wurde vor allen anderen gehört.
»Wie dieser junge Deutsche lachen kann! So etwas habe ich noch nie gehört«, sagte das Fräulein. »Sie kennen ihn wohl?«
Hedwig bejahte es; sie seien sehr alte Freunde, bemerkte sie.
»Ich mag diesen Menschen so gern«, fuhr das Fräulein fort; »immer sieht er aus wie der sonnige Tag, so heiter und froh, und wenn er so tief herauslacht mit dem ganzen Wesen, so wird einem ordentlich wohl zu Mut. So lacht nur einer, der das Herz leicht und das Gewissen frei hat.«
Die Gesellschaft war im Auflösen begriffen, sie nahte sich allmählich der Türe. Das Fräulein bot Hedwig die Hand, da diese sich anschickte die Veranda zu verlassen. Zum ersten Mal schaute sie recht in die tiefen, dunkeln Augen der neuen Bekannten; sie hatten einen ansteckend traurigen Ausdruck; Hedwig empfand augenblicklich diese Wirkung; wie unter einem inneren Drucke ging sie nach ihrem Zimmer hinauf. Hier setzte sie sich an ihr Fenster, den eigentümlichen Eindruck sich zurechtzulegen, den diese kurze Berührung mit der Römerin auf sie gemacht hatte. Es war durchaus nicht das Wesen, das sie sich der äußeren Erscheinung nach vorgestellt, mit dem sie sich im stillen schon so viel beschäftigt hatte. Sie hatte geglaubt, eine jener vornehm zurückhaltenden Naturen vor sich zu haben,