Gesammelte Werke von Joseph Roth. Йозеф Рот. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Йозеф Рот
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027210305
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entscheidenden Nacht den Reichstag vor der Demolierung durch Spartakus gerettet hat.

      Man spricht im Kasino über den Artikel im jüdischen Blatt. Es bitten die »jungen Leute« am unteren Tischrande, Theodor möge die Geschichte erzählen.

      Nein, Theodor Lohse erzählt nicht gern von sich selbst. Er sagt: »Nicht der Rede wert!«

      Und obwohl sogar der Oberst ihn ansieht und gleichsam eine Pause im Essen eintritt und des Obersten Wangentaschen nicht mehr zittern und des Obersten Augen auf Theodor gerichtet sind, erzählt er nicht.

      »Ein anderes Mal! Bei Gelegenheit«, sagt Theodor Lohse.

      Gelegentlich hat Pisk seine Brieftasche vergessen. »Zahlen!« ruft Benjamin Lenz.

      Und wenn der Kellner beim Tisch steht, erwartend und leicht vorgeneigt, muß Theodor zahlen. Denn er ist in Uniform.

      Manchmal sagt Pisk: »Nehmen wir ein Automobil!« Pisk gibt dem Chauffeur das Ziel an. Unterwegs steigt er aus, und Theodor Lohse fährt weiter.

      Manchmal hat Pisk auch noch andere Bedürfnisse. Und Benjamin Lenz hat auch Bedürfnisse.

      Nun hat Theodor auch die Vertretung Trebitschs übernommen. Er braucht nur dreimal in der Woche auszurücken.

      Auch der Oberst weiß, daß Theodor in Berlin zu tun hat. In unregelmäßigen, aber häufigen Abständen flackert der Name Theodor Lohses in Berichten und Artikeln auf.

      In jüdischen Zeitungen, die Revolution nicht lieben.

      Pisk aber liebt Männer der Revolution. Er lebt von ihnen. Er trägt seit einigen Tagen ein Monokel und in der Brieftasche einen Ausweis vom Bund landwirtschaftlicher Eleven. Er ist so gegen Straßenkämpfe und Überfälle gerüstet.

      Auch Benjamin Lenz trägt ein Monokel. Man sieht die Nähe des 2. Novembers.

      XXII

       Inhaltsverzeichnis

      Die Nacht vor dem 2. November verbrachte Theodor mit Kameraden in einem Nachtlokal. Man hielt verschieden gefärbte Mädchen auf den Knien. Es galt, vom Leben Abschied zu nehmen. Das sagten die Offiziere den Mädchen. Der Gedanke an einen frühen Tod machte alle Mädchen wehmütig. Die Musik spielte »Die Wacht am Rhein«. Ein Gast saß da. Zwei Offiziere zerrten ihn in die Höhe. Er war dick und schwer und betrunken. Sie hielten ihn an den Schultern. Dann ließen sie ihn fallen. Er fiel unter den Tisch und blieb sitzen. Er spielte mit dem Sektkübel.

      Der Morgen brach grau an. Es regnete. Theodor wartete am Bahnhof auf seine Kompanie. Sie sollte um acht Uhr in der Stadt gestellt sein. Es war ein Sonntag. Die Stadt sah schläfrig aus. Es regnete.

      Um neun Uhr demonstrierten Arbeiter Unter den Linden. Die nationalen Jugendgruppen in Charlottenburg. Zwischen beiden waren Straßen, Häuser, Polizei. Dennoch wartete die Stadt auf einen Zusammenstoß.

      Um neun Uhr regnete es immer noch. Die Arbeiter gingen mitten im grauen Regen. Grau waren sie wie er. Unendlich waren sie wie er. Aus grauen Quartieren kamen sie wie er aus grauen Wolken. Sie waren wie ein Herbstregen. Unaufhörlich, unerbittlich, leise. Wehmut verbreiteten sie. Sie kamen, die Bäcker mit den blutlosen Gesichtern, die wie aus Teig waren, ohne Muskel und Kraft; die Menschen von der Drehbank mit den harten Händen und den schiefen Schultern; die Glasbläser, die nicht älter werden sollten als dreißig Jahre: kostbarer, tödlicher, glitzernder Glasstaub stach in ihren Lungen. Es kamen die Bürstenbinder mit den tiefen Augenhöhlen, den Staub der Borsten und Haare in den Poren der Haut. Es kamen die jungen Arbeiterinnen, von der Arbeit gezeichnet, mit jungen Bewegungen, verbrauchten Gesichtern. Es gingen die Tischler. Sie rochen nach Holz und Hobelspänen. Und die riesenhaften Möbelpacker, groß und überwältigend wie eichene Schränke. Es kamen die schweren Arbeiter aus den Brauereien, sie stampften wie große Baumstämme, die gehen gelernt haben; die Graveure kamen, in den Falten ihrer Gesichter den kaum sichtbaren Metallstaub; die Zeitungssetzer, die übernächtigen, die zehn Jahre und länger nicht eine ganze Nacht geschlafen hatten; sie haben gerötete Augen und blasse Wangen und sind nicht vertraut mit dem Licht des Tages. Es kommen die Pflasterer, die Straße tretend, die sie selbst gebaut haben, dennoch fremd in ihr und betäubt von ihrem Glanz, ihrer Weite, ihrer Herrschaftlichkeit; es folgen Motorführer und Eisenbahner. Noch rollen in ihrem Bewußtsein schwarze Züge, wechseln Signale ihre Farben, schrillen Pfeifen, schlagen erzene Glocken.

      Aber ihnen entgegen marschieren, Sonne auf jungen Gesichtern und Gesang im Herzen, Studenten mit bunten Mützen und goldgesäumten Fahnen, gut genährt und glattwangig, Knüppel in den Händen, Pistolen in den weit abstehenden Hosentaschen. Ihre Väter sind Studienräte, ihre Brüder Richter und Offiziere, ihre Vettern Polizeikommissare, ihre Schwäger Fabrikanten, ihre Freunde Minister. Ihrer ist die Macht, sie dürfen schlagen, wer straft sie dafür?

      Der Zug der Arbeiter singt die Internationale. Sie singen falsch, die Arbeiter, aus vertrockneten Kehlen. Sie singen falsch, aber mit rührender Kraft. Es singt eine Kraft, die weint, eine schluchzende Gewalt.

      Anders singen die jungen Studenten. Aus gepflegten Kehlen tönende Gesänge, volle runde Klänge, siegreiche Lieder, blutige Lieder, satte Lieder, ohne Bruch, ohne Qual, kein Schluchzen ist in ihren Kehlen, nur Jubel, nur Jubel.

      Ein Schuß knallt.

      In diesem Augenblick sprengen Polizisten zu Pferd, blanke Säbel schwingend, aus den Querstraßen, Polizei zu Fuß sperrt hinter ihnen die Straßen, Pferde stürzen, Reiter schwanken, aufgerissen ist das Pflaster, gierige Finger wühlen darin, Steine hageln gegen die trennenden Wände der Polizei. Es wollen zwei Gewalten zueinander, die Masse der Mächtigen gegen die Masse der Machtlosen, zersprengt sind die Ketten der Polizei, es dringt der Hunger gegen die Sattheit vor, über das Rauschen der Menschen erhebt sich Gesang anderer, nachfolgender, noch singen jene, schon bluten diese, manchmal zerreißt ein Knall Geräusch und Gesang, dann ist es für den Bruchteil einer Sekunde still geworden, und man hört den herbstlichen Regen säuseln, und man hört sein Trommeln an Dächer und Fensterscheiben, und es ist, als fiele er in eine friedliche Welt, die sich anschickt, in Winterschlaf zu sinken.

      Aber dann wehklagt, wie ein verwundetes Tier, eine Autohupe, verzweifelt klingen von fernher Straßenbahnen, Pfeifen schrillen, Trompeten weinen wie Kinder. Ein Hund heult auf, zertreten, mit menschlichem Ruf, menschlich geworden in der Stunde seines elenden Todes, Ketten und Türbalken rasseln, und noch ein Schuß knallt.

      Aus der Universität kommt Marinelli mit fünfzig jungen Leuten, die Karabiner tragen, den Studenten als Verstärkung. Feuerwehr rückt an. Die Spritzen schießen kalte Wasserstrahlen. Sie fallen mit schmerzhafter zischender Wucht auf die Menschen. Für ein paar Augenblicke zerstreut sich die Menge. Dann rotten sich die Menschen wieder. Kleine Knäuel schwellen an. Gruppen schließen sich zusammen. Ein Schuß traf den Schlauch. Auf dem Pflaster liegen die Helme der Feuerwehr. Der Schlauch ist zerrissen.

      Polizei rattert in Lastautomobilen. Das Pflaster dröhnt. Die Scheiben zittern. Schon sind sie heruntergezerrt, zertreten, blutend, zersprengt, entwaffnet. Arbeiter zerbrechen Karabiner über dem Knie. Frauen schwingen Säbel, Pistolen, Gewehre.

      Aus den grauen Vierteln des Nordens strömen neue Scharen, Hausgeräte tragen sie, Schürhaken, Spaten, Axt und Schaufel. Hoch oben tackt ein Maschinengewehr. Einer hat den Schrei ausgestoßen. Schon sind tausend zur Flucht gewendet. Tausend Hände ziellos weisend erhoben. Von allen Dächern starren Läufe. Von allen Dächern tackt es. Hinter jedem Mauervorsprung hocken grüne Uniformen. An allen Fenstern glotzen schwarze Mündungen.

      Jemand ruft: »Soldaten!«

      Es hallt der Trott genagelter Stiefel auf dem Asphalt. Besetzt sind die Häuser. Die Fenster Schießscharten, Pferde wiehern herrenlos in Hausfluren, Kommandorufe knallen. Rüstungen rasseln.

      Theodor wartet am Alexanderplatz. Seine Kompanie wartet. Er drückt sich an ein geschlossenes Haustor. Seine Kompanie hockt auf dem Bürgersteig.

      Ein berittener Polizist meldet ihm Sturm auf Rathaus und Polizei. Theodor marschiert