Aber reden wir von Geschäften! Damit ich Ihnen nicht zu edel erscheine, will ich Ihnen gestehen, daß ich Geld so leicht nur hergebe, wenn ich jemanden brauche. Ich brauche Sie! Ich bin, wie Sie wissen, ein Fremder hier. Man traut mir nicht. Ich tue selbst alles mögliche, um die Leute mißtrauisch zu machen. Nun, ein ganz einfaches Geschäft. Ich habe Stoffe an der Hand! Sehr gut, billig, leider von einem hellen Blau, das man nicht trägt. Man könnte auf die entsprechende Mode warten, gewiß. Aber warten? Ich habe mich erkundigt. Man kann die Stoffe färben, aber sie werden dann zu hart. Es gibt nur eine Art, sie zu verwenden, für Uniformen!« Brandeis wartete eine Weile. Er wartete auf eine Zustimmung. Paul schwieg.
»Ich brauchte«, fuhr Brandeis fort, »einen Mann, der den Behörden, Zoll und Gendarmerie und Polizei, Stoffe liefern könnte.«
»Ich werde mich bemühen«, sagte Paul.
»Sie werden selbst liefern«, sagte Brandeis. Er knöpfte den Mantel zu, den er nicht abgelegt hatte, faßte nach dem Stock, der am Stuhl lehnte wie ein lebendiges Wesen, und stand auf. Es schien Paul, daß der Fremde größer geworden war, daß er im Sitzen gewachsen war. Bernheims Blick reichte gerade bis zur Bartspitze des Großen.
VIII
Theodor war verschwunden.
Er hatte einen flüchtigen Abschied von der Mutter genommen und einen gründlichen von seinem Zimmer. Er war dem Weinen außerordentlich nahe, als er seine Schubladen ausräumte, seine Papiere verbrannte, seine Pistolen entlud und sie und die Papiere in einem harten Leinenfutteral für Regenschirme verpackte. Es graute ihm vor dem Leben auf einem fremden Gut, bei einem ungarischen Gesinnungsgenossen, vor dem Land, das er sich schmutzig und barbarisch vorstellte, vor unbekannten Apotheken, in denen die sicherlich gewissenlosen Pharmazeuten Schlaf-und Fiebermittel vertauschten, vor den unzulänglichen Optikern, die seine zweieinhalb Dioptrien bestimmt nicht begreifen würden, und schließlich vor der Armut, der Armut. Die Mutter und Paul waren imstande, ihn in der Fremde verhungern zu lassen. Gustav, der an der ganzen Sache schuld war, war ein armer Häuslersohn, und ein Aufenthalt auf dem Gut eines ungarischen Magnaten konnte ihm eine Erholung und ein Fest sein. Sorgfältig packte Theodor seine Pyjamas und seine vierundzwanzig Krawatten ein. Es tat ihm leid, daß er nur zweitausend Dollar von Paul verlangt hatte. Viertausend hätte er fordern sollen. Draußen konnte jeden Augenblick der vereinbarte Pfiff Gustavs ertönen. Sie hatten den Sitten ihres Bundes getreu einen Pfiff ausgemacht, auch in dieser Stunde der Abreise. Verschwörer hatten zu pfeifen.
Gustav pfiff, erbarmungslos, Theodor schloß den Koffer und ließ ihn vom Portier nur bis zum Gitter tragen. Gustav durfte ihn nicht auslachen und für einen Verräter halten. Vom Gartengitter bis zum Wagen an der Ecke wollte Theodor den schweren Koffer selbst schleppen. Gustav wartete schon im Wagen. Theodor seufzte. Gustav rührte sich nicht. Theodor hatte gehofft, daß sein Kamerad den Koffer in den Wagen heben würde.
»Du hast es leicht«, sagte Theodor. »Du bist viel kräftiger als ich.« Und dennoch machte Gustav keine Anstalten, Theodor zu bedauern. Theodor schwieg erbittert bis zum Bahnhof.
Frau Bernheim saß über einer Handarbeit im kalten Speisezimmer und weinte, als Paul eintraf. Ihr Weinen hatte aufgehört, die Folge bestimmter Erregungen zu sein, es war, wie bei vielen alternden Frauen, eine Gewohnheit der Augen geworden. Ihre Tränen rannen lange, ehe sie selbst bemerkte, daß sie weinte, sie rannen wie ein Landregen, stetig und dünn und lind und tröstlich. Der Kummer löste sich in Wasser auf. Es floß immer aus den entzündeten Augen, die gleichen alten zwei Furchen entlang, zwischen den Wangen und der Nase und von den Mundwinkeln abwärts in zwei anderen Furchen, die das breite Kinn von den Wangen abgrenzten. Dann verloren sich die Tränen in den Falten des alten Halses und im hohen Kragen des schwarzen Kleides, der immer noch von einem grausamen Fischbeinskelett gehalten wurde.
»Mutter, du sollst nicht weinen!« sagte Paul.
»Ich weine gar nicht«, erwiderte Frau Bernheim, »es kommt mir nur so manchmal.« Sie saßen wortlos drei Stunden nach dem Essen im Speisezimmer und froren. Frau Bernheim hatte ein altes Reiseplaid ihres Mannes um die Beine gewickelt. Ihre Stricknadeln aus Bein klapperten wie im Frost. Die Fenster zitterten im Wind. Ein wüster, kalter Atem schlug vom Garten her gegen das Haus.
»Du solltest Gesellschaft haben, Mutter!«
»Siehst du, daran habe ich auch gedacht! Und nun ist ja Theodor fort, und ich dachte an sein Zimmer. Es hat einen separaten Eingang vom Flur.«
»Was willst du damit?«
»Unsereiner kann keinen Zettel vor die Tür hängen und auch kein Inserat in die Zeitung geben. Ich habe also Herrn Merwig gebeten, er sucht unter der Hand nach einer Dame aus guter Gesellschaft, die etwas zahlen müßte, allerdings etwas zahlen. Dann könnten wir auch das Dienstmädchen behalten, für uns zwei. Sonst müßte ich sie ja abschaffen. Grund genug hätte ich dazu. Es ist nicht lange her, da hat mir Geld aus der Büchse für die Armen gefehlt, sie kann es genommen haben. Warum nicht? Dienstboten sind drei Jahre ehrlich, und auf einmal stehlen sie. Aber man kann ja keine besseren finden heutzutage. Und so würde ich sie behalten, wenn ich nur einen Zuschuß hätte. Merwig ist brav, er sucht wirklich unter der Hand, morgen soll eine Dame herkommen, eine Frau Militär-Oberrechnungsrat, im Kriegsministerium war ihr Mann beschäftigt.«
Die Frau Oberrechnungsrat Hammer zog in Theodors Zimmer.
Von nun an saßen beide Frauen jeden Abend im Speisezimmer und froren und häkelten, blickten von Zeit zu Zeit mißtrauisch auf und häkelten weiter. Immer, wenn die Frau Oberrechnungsrat ins Speisezimmer trat, sagte Frau Bernheim: »Entschuldigen Sie einen Augenblick« und ging in den Korridor. Sie ging einen »Blick in Theodors Zimmer werfen«, denn sie hatte beobachtet, daß ihre Mieterin vergeßlich war und manchmal das Licht brennen ließ. Aber sie hütete sich, der Frau Hammer etwas zu sagen. Denn es war ihr eine Freude, immer nachsehn zu können und mit eigenen Händen Geld zu sparen.
Die Anwesenheit der fremden Frau störte Paul. Immer seltener wurden seine Besuche. Seine Mutter übertrieb vielleicht.
Aber sie waren in der Tat nicht einmal wohlhabend mehr. Schon hatte er zwei Hypotheken, von denen die Mutter nichts wußte, auf das Haus nehmen müssen. Und gar keine Aussicht, reich zu werden – es sei denn durch das Geschäft mit den Stoffen, das Brandeis vorgeschlagen hatte. Konnte man Brandeis trauen? Man hatte keine Vorurteile, gewiß, aber waren diese Leute aus dem Osten nicht unheimlich? Man brauchte nicht gerade an die Sieben Weisen von Zion zu glauben. Aber brachten die Menschen aus dem Osten nicht andere Moralbegriffe mit, handelten sie nicht nach irgendeiner verborgenen östlichen Weisheit? Sie kannten Geheimnisse, sie handelten nach Geheimnissen. Spielte bei Brandeis die Ehre eines Mannes eine Rolle? Brandeis machte sich nichts aus Gefängnisstrafen. Aber Paul? Lag nicht ein ganzes Leben vor ihm?
Er war wieder in der Stimmung, mit Doktor König zu sprechen, an dessen Widerstand sich Pauls Ehrgeiz immer entzündete. Er lud den Doktor König zu Heßler ein, zum Abendessen. Die guten Lokale! Wenn Paul ein gutes Lokal betrat, zweifelte er nicht mehr an seiner Karriere. Alles bestätigte hier seine Hoffnungen. Die Dienstbeflissenheit des Kellners und der optimistische Glanz der Lampen. Die vollen Hände der Gäste, der gute Teint der Damen, selbst noch die bettelnden Krüppel vor dem Eingang und der frierende Schutzmann, der sie verjagte und der nicht mehr wie ein Beamter des Staates aussah, sondern wie ein Angestellter der Gäste. Nicht im Namen des Gesetzes handelte er, sondern im Auftrag des Direktors, des Portiers, des Kapellmeisters und Pauls. Wenn man reich war, konnte man