Doch kommen wir wieder auf die christlich-germanischen Moden zurück. Die Kleidertaillen verlängerten sich immer mehr und wurden endlich bis auf und über die Hüften reichend geschweift nach der Figur gearbeitet, ganz nach Art der Ritterdamen; man legte häufig zierliche Querfalten mit fünf Längenbündchen darüber, gerade so, wie man es auf alten mittelalterlichen Gemälden findet. Die Taillen waren viereckig ausgeschnitten oder ganz hoch bis an den Hals gehend, den ein dichtes Tüllbürstchen vortheilhaft garuirte.
Diese langen und hohen Taillen hatten nur den einen Uebelstand, daß sie im Rücken entweder mit Schnüren durch gegen dreißig Schnürlöcher zugeschnürt oder mit einem Dutzend paar kleiner Hefte und Schlingen zugeheftelt werden mußten. Da war es denn absolut unmöglich, daß eine Dame allein mit ihrem Anzug fertig werden konnte, namentlich im ersteren Falle – im letzteren vermochten geschickte Hände und Arme sich wenigstens einigermaßen selbst zu helfen. Es war allerdings das wichtigste Argument gegen die Frauenemanzipation: eine Frau, die ohne fremde Hilfe nicht einmal vermochte, sich so anzuziehen, daß sie sich sehen lassen konnte – wie konnte die selbstständig sein wollen! Wo Schwestern, wo Mutter und Tochter bei einander wohnten, wo eine Kammerjungfer bei der Hand war – da dachte man gar nicht über diese Unbequemlichkeit nach – aber auf der Reise und für alle alleinstehenden Damen führte sie die größten Inkonvenienzen mit sich. Allein man ertrug jahrelang diese Qual, nur älteren Frauen und Dienstmädchen war es gestattet, Taillen zu tragen, die vorn geschlossen wurden, jenen als Ueberröcke, diesen als Jäckchen, die sie aber auch nur bei der Hausarbeit trugen und dann im Zumachen ihrer meist zu engen Sonntagskleider noch ungeschickter waren als ihre Herrinnen. Denn damals mußte jedes Kleid am ganzen Oberkörper auf das Knappste anliegen, Wespentaillen zu erreichen war das höchste Schönheitsstreben aller Mädchen, aller Mütter für ihre Töchter und es galt als höchst unelegant und aller Grazie Hohn sprechend, wenn ein Gürtel weiter als dreiviertel oder eine ganze Elle gemacht werden mußte. Mit den verlängerten Taillen verlängerten sich natürlich auch die Corsetts und in beide ward eine solche Masse Fischbein verschwendet, daß es deshalb immer mehr im Preise stieg, bis endlich die Wallfische nicht genug mehr liefern konnten und die Industrie sich anstrengen mußte, um künstliches Fischbein – Vallosin – zu erfinden und zu erzeugen.
Nun kam wirklich wieder eine neue Aera mit dem Jahre 1848 – freilich weniger für die Mode, denn in diesen Stürmen, die mit Eins Alles hinwegfegten, was bisher für unantastbar gegolten, hatte freilich Riemand Zeit, über neue Moden zu sinnen, noch verlohnte es sich der Mühe, sie anzulegen: man hatte eben Größeres zu thun; Hochgestellte und Reiche suchten sich zu verstecken und einzuschränken – sie sahen Schreckgespenster vor sich, zitterten immer, daß es noch zum Guillotiniren oder zum »Theilen« kommen würde – so lebten die Vornehmen in mißvergnügter Zurückgezogenheit, die Reichen wollten Alles eher als wie sonst ihren Reichthum zur Schau tragen – so wußten die Modezeitungen kaum, woher sie ihren Stoff nehmen und was sie berichten sollten. Jedermann schränkte sich ein, freiwillig oder gezwungen
Nur eine neue Farbenzusammenstellung tauchte auf, die vorher so arg verpönte: Schwarz-roth-gold. Nicht nur die Männer trugen es in Kokarden, Schärpen und Bändern: auch die deutschen Frauen legten es an, denn die deutsche Industrie beeilte sich, es zu Bändern, Cravatten, Tüchern, Shwals, Haarputzen, Stickereien, Ränder um Briefbogen u.s.w. zu verwenden. Als mein Geburtstag in jenen denkwürdigen März fiel, so ward ich von meinen Freundinnen, weil sie wußten, daß ich schon lange diesen Farben gehuldigt, förmlich mit Gaben und Stickereien überschüttet, bei welchen allen daß Schwarz-roth-gold eine Nolle spielte. Als Gürtel – man trug damals dergleichen auch zu den langen Schneppentaillen – habe ich mich lange nicht davon trennen können. Sonst aber förderte diese Zeit wenig Neues in den Moden zu Tage.
Wohl ein Jahrzehnt erhielt sich für Damen jeden Alters die Mode, nicht ohne Ueberwurf, ohne Mantille zu erscheinen, an denen nur immer die Schnitte wechselten. Schwarzer Taffet war dabei vorherrschend, es gab wohl keine Dame, ob jung, ob alt, die nicht eine Mantille dieses Stoffes besessen hätte. Schwarzer Atlas und Sammt ward ebenso dazu verwendet, für die Jugend auch mit Vorliebe weißer Caschemir. Eine Zeitlang waren sie mit bunter Seide gefüttert, später wieder ohne Futter. Es lag etwas unendlich Uniformes in dieser Mode, da wie gesagt jedes Alter, jeder Stand ihr huldigte. Zuweilen hatte man diese Mantillen auch vom Stoff des Kleides wenn dasselbe einfarbig von Wolle oder Seide war. Es war gewiß sehr hübsch und praktisch, zum Ausgehen, zum Eintritt in Theater, Conzerte u.s.w., einen solchen Gegenstand überzuwerfen, bei einem schnellen Ausgang brauchte man es auch mit der übrigen Toilette nicht so genau zu nehmen – aber es war unendlich komisch, daß man auch kein fremdes Zimmer zu betreten, sich in einem andern Haus gar nicht sehen zu lassen wagte, wenn man z.B. im Winter, unter dem Mantel nicht noch eine Mantille umgehangen hatte! Sollte man da jenen im Vorzimmer ablegen und hatte man diese nicht um, so erklärte man letzteres als Grund, nicht dableiben zu können, der, wenn anderer fremder Besuch da war, auch als stichhaltig befunden ward, gab man jedoch jener Nöthigung nach weil man nur en famille sei, so trat man dann mit Lächeln und verschämtem Augenniederschlag ein – als sei man zu wenig oder nicht anständig bekleidet, und man trug doch eine gleich an den Rock befestigte hohe, in zierliche Falten gelegte Taille mit langen halbweiten Aermeln mit mannigfachen Ausputz versehen, am Handgelenk zierliche, meist gestickte Manschetten oder Unterärmel und wenn sie offen waren, dazu noch oft kostbare Bandgarnituren, die auch der Hand ein viel gefälligeres Aussehen gaben, als die späteren pappartigen oder gar aus Papier gefertigten Stulpen! Aber so sonderbar ist nicht nur die Mode, sondern auch die Sitte, daß man in diesem Jahr den Anstand zu verletzen glaubt, in Verlegenheit kommt und sogar Scham empfindet über etwas, das im folgenden Jahr ganz in der Ordnung ist.
Die Faltentaillen, die wir hier erwähnten, begannen sich mehr und mehr vorn zu lockern, die Rücken sich zu glätten und endlich war es erlaubt, sie vorn zu schließen – und das war der Hauptschritt zu weiblichor Selbstständigkeit! Anfänglich mußte das unsichtbar bleiben, man heftelte oder schnürte vorn das Futter des Kleides zusammen und legte dies in Falten darüber – im Rücken behielt man noch den Schein bei, als sei die Taille da zugeschnürt oder geheftelt, aber man kam nun doch wirklich in die glückliche Lage, sich selbst ohne fremde Hilfe an- und ausziehen zu können. Es war dies wirklich der wichtigste Schritt zur Emancipation!
Noch