Entscheiden Sie, ob diese argwöhnische Seele nicht selber ihren Aufschwung, ob die körperlichen Leiden nicht diesen Ruhm, der sich so hoch ankündigte, verdunkelt haben!
Dies ist alles, was ich für Sie aus meinen Gedanken formen kann…, mögen sie doch den Ihren dienlich sein! Zumindest bin ich bereit, sie Ihnen in dieser Welt und überall immer wieder in dieser Weise zu vermitteln, weil ich an Sie glaube, an Ihre nachsichtige Freundschaft für mich und meinen geringen Verstand.
Marceline Desbordes-Valmore
Andere Empfänger
Die folgenden Briefe schildern (für mein Gefühl in herrlichster Unmittelbarkeit) die Gefühle Marcelinens, als sie, seit sieben Jahren verlassen von ihrem Geliebten und ein Jahr nach dem Verlust ihres unehelichen Kindes, längst jedes Glück in ihrem Leben für eine Unmöglichkeit hielt und plötzlich die Werbung des bedeutend Jüngeren, des »schönen Valmore«, empfing (so nannte man, und das Bildnis billigt das Beiwort, im Brüsseler Theater ihren Partner). Sie war ihm als einem Kinde zu Beginn ihrer Schauspielerlaufbahn in Bordeaux begegnet und fand ihn nach zwanzig Jahren auf der gleichen Bühne als Neuling und jugendlichen Liebhaber. Von ihrer Sanftmut und Schwermut angezogen, versuchte er sich ihr zu nähern und schrieb ihr einen Werbungsbrief, den sie – erschreckt beinahe – mit dem ersten der hier nachfolgenden Schreiben erwiderte, um dann doch nach kurzem und liebendem Widerstand am 4. September 1817 seine Gattin zu werden.
An Valmore
Brüssel, 1817.
Nein, mein Herr, ich habe nicht geantwortet. Ich wollte auf das, was ich für ein Spiel hielt, ganz und gar nicht eingehen. Der Gedanke daran ließ mich vor Angst erstarren.
Welch einen Brief schreiben Sie mir heute! Wie hat er mich verwirrt! Treiben Sie keinen Mißbrauch mit leidenschaftlichen Worten, treiben Sie nur niemals Mißbrauch damit. Mein Herz ist wahrhaftig und aufrichtig. Ich kann es nicht wieder vergeben, ohne daß mein Leben daran hängt, und in Ihren jungen Jahren, von tausend Versuchungen umgeben, verspricht man nicht eine grenzenlose Liebe, eine Liebe bis zum Grab!… Darum versuchen Sie nicht, mir das einzureden, – ich habe so viel gelitten!
Ja, Sie werden gut tun, mich zu meiden. Das ist das einzig Vernünftige in Ihren, im übrigen unbegreiflichen Vorschlägen. Auch ich werde Ihnen aus dem Wege gehen – ich habe mir das schon zur traurigen Gewohnheit gemacht. Was täte ich nicht um meines inneren Friedens willen! Würden Sie es nicht bedauern, mich inniger ans Leben zu fesseln, um mir dann eines Tages einen anderen, tieferen Schmerz zu bereiten? Oh, lassen Sie nach, ich bitte Sie; ich bin traurig und nicht geschaffen, um zu lieben, auch nicht um geliebt zu werden. Ich glaube nicht an das Glück!
Warum sagen Sie, Ihre Schwermut entfremde Ihnen mein Herz? Meinen Sie das wirklich? Schreiben Sie das in aufrichtigem Glauben?
Sie machen unserm unglücklichen Stand den Vorwurf, uns zusammengeführt zu haben. Sie drücken sich da sehr hart aus. Wenn Sie sich darüber beklagen – welches Recht hätte erst ich, ihn zu hassen? Immerhin, verzeihen Sie es ihm, unser Beruf kann ja alles wieder gutmachen, indem er uns bald trennt. Um diese Trennung zur Tatsache werden zu lassen, bleibt mir nur zu wissen, daß Sie es wünschen.
Nein, nicht Ihre Zuneigung kann Ihnen den Rat gegeben haben, mir zu schreiben, – ebensowenig kann Ihre vortreffliche Mutter Sie bestimmt haben, mir meinen Seelenfrieden zu nehmen; ich meinerseits möchte nicht um die Welt Ihrer Seele wehe getan haben, verstehen Sie mich? Was werfen Sie mir denn vor? Welchen anderen Beweis kann ich Ihnen gegenwärtig von meiner Hochachtung geben, deren ich Sie hiermit nochmals für alle Zeiten versichere.
M. Desbordes
Brüssel, 1817.
Mein Herr, Sie sagen, ich hätte Ihre Scheu und Zurückhaltung für Stolz gehalten. Sie haben meine Traurigkeit für Mißachtung angesehen. Wir haben uns alle beide getäuscht. Wie könnte man jemanden mißachten, den man seit langem tief schätzen gelernt hat? Aber wozu Entschuldigungen mir gegenüber? Habe ich irgendeinen Vorwurf gemacht? Hätte ich einen Grund, ein Recht dazu gehabt? Sie haben die Güte, meiner Meinung einen gewissen Wert beizumessen, und Sie möchten diese hören. Nun gut, mein Herr, hier ist sie: Ich glaube, daß Sie alle Vorzüge eines rechtschaffenen Mannes besitzen, verbunden mit den Neigungen Ihrer Jugend.
Nun kennen Sie meine Auffassung. Lassen Sie sich also nicht mehr verletzen durch eine dem leidvollen Menschen ganz selbstverständliche Zurückhaltung. Halten Sie diese niemals für Verachtung – wenn es wahr ist, daß Sie so gedacht haben –, und seien Sie versichert, daß es mir zeit meines Lebens Freude machen wird, Ihnen – mehr als es mein Frohsinn könnte – zu beweisen, welche Hochachtung ich Ihrer Familie und Ihnen, mein Herr, entgegenbringe. Ist das nicht alles, was Sie zu wissen wünschen?
Sie dürfen nun überzeugt sein, daß niemand aufrichtiger ist als Ihre ergebene Dienerin
M. Desbordes
Brüssel, 1817.
Glauben Sie, mein Freund, ich könnte schildern, was in mir vorgeht? Glauben Sie das? Überwältigt von Glück und Überraschung, fürchte ich… vergeben Sie mir, fürchte ich die auf mich einstürmenden Empfindungen; ja, diese Trunkenheit der Seele ist fast Schmerz. – Oh, schonen Sie mein Leben! Es ist noch gebrechlich und unsicher. Seit es Ihnen gehört, fürchte ich alles, was ihm Gefahr bringt, und die Aussicht auf ein ungeahntes, unsagbares Glück scheint meine Kraft zu übersteigen.
Und sagen Sie, mein Geliebter, wissen Sie auch den vertraulichen Beziehungen des Lebens diesen Reiz, diese rührende Zartheit zu geben, die mich so zu Ihnen hinzieht? Welch ein Glück ist es dann, Sie zu lieben, ganz und einzig von Ihnen geliebt zu sein! So würde nichts den Zauber brechen, der uns bei unseren ersten Blicken umfing? Ich dürfte nun wagen, ihn festzuhalten, darin meine Bestimmung zu lesen, ein zärtliches Geschick, die innige und feierliche Verheißung der Bande, die uns ewig aneinander fesseln sollen?
O Gott! wenn ich furchtsam bin, so müssen Sie das mir verzeihen! Es ist die Liebe, die vor der Liebe zittert. Ist sie auch scheu in ihren Geständnissen, ihren Hoffnungen, so wissen Sie, daß sie darum nicht weniger stark und getreu ist. Ein jeder meiner Tage wird in unserer Zukunft Zeugnis dafür ablegen, mein Herzgeliebter! Ja, heut abend werden wir uns sehen. – Welch süßer Gedanke! Meine ganze Schwermut schwindet. – Gott, der uns wohlwill, sucht dieser köstlichen Vereinigung jedes Wölkchen zu nehmen. Ihre Mutter wird also die meine sein! Ihr Vater wird den meinen ersetzen, den ich noch immer beweine!… Können Sie ermessen, wie lieb ich ihn haben werde?… Sagen Sie, daß Sie es wissen. Doch wird man auch mich lieb haben? – Oh, bitten Sie darum –
An Valmore zur Zeit des Verlöbnisses
Brüssel, 1817.
Weißt Du, Prosper, was ich in Deinem Briefe gefunden habe? – Eine Seele, die die meine erwartet hatte!… Gestern… all die Tage, die für die andern verflossen scheinen, für mich sind sie es nicht; sie umgeben mich – die Zeit hält stille, um mir Muße zu lassen, frei zu atmen – ich stürbe, wenn sie zu rasch entschwänden – Tomy, mein angebeteter Tomy! wenn Dein Herz erregt ist – sieh, wie doch meine Hand bebt!
Ich bin glücklich. – Wie meine Seele sich bei diesem vergessenen, seit jener Zeit… für immer – erloschenen – Worte öffnet! Du hast es für mich in den Himmel, in diese Welt, überall… eingegraben. Ich werde es in Deinen Augen lesen! Wie! ist also doch das Leben das Glück?… Möge Dich Gott mit jener Glückseligkeit überhäufen, in der ich mich befinde: Ich weiß nicht, wo ich bin: sag es mir, mein Lieb! Ach ja, Tomy, gib acht auf mein