Da nahm ihn der Fremde am Arm und zerrte ihn hinaus.
Niemand hinderte die beiden am Verlassen der Schenke.
Draußen auf dem Vorbau versuchte sich der Sheriff aus dem eisernen Griff des Fremden zu befreien. »He, lassen Sie mich los! Sie zerquetschen mir ja den Arm! Was wollen Sie überhaupt von mir?«
»Ich suche einen Mann.«
Hates, der etwas zu sich gekommen war, nickte und knurrte ärgerlich: »Natürlich, Sie suchen einen Mann. Dachte ich mir’s doch gleich.« Er schaukelte ein paar Schritte vorwärts und lehnte sich nach Luft schnappend an einem Vorbaupfeiler.
»Kommen Sie gefälligst mit ins Office!«
Der Fremde zerrte den angetrunkenen Hüter des Gesetzes über die Main-street ins Office.
Nein, Jubal Hates hatte den Mann nicht gesehen, den der Fremde suchte; er hatte nie etwas von einem Ted Drycoll gehört.
Der Falbreiter verließ das Office und ging zu seinem Pferd hinüber. In diesem Augenblick hörte er im Saloon ein Poltern und Schreien.
Gleich daraus platzten die Schwingarme der Pendeltür auf, und der Sattelnäsige flog wie ein Geschoß weit auf den Vorbau hinaus.
Gleich darauf stand der Mann mit den grünen Augen im Türrahmen, nahm eine lange dünne schwarze Strohhalmzigarre aus der Reverstasche, riß ein Zündholz am Türrahmen an und sah auf den sich keuchend erhebenden Rowdy.
»Hör zu, Junge. Ich bin ein gemütlicher Bursche, und ich raufe mich auch ganz gern. Aber heute habe ich meinen besten Anzug an, da paßt es mir schlecht.«
Der Sattelnäsige erhob sich und kroch mehr als er ging mit der blutenden, gegen die Brust gepreßten Hand auf das Haus des Doktors zu.
Der Falbreiter blickte den Mann auf dem Vorbau an; seine Augen blieben an den beiden roten Knäufen der nach vorn stehenden Revolver hängen.
»Vielen Dank übrigens, Mister. Das war ein guter Schuß.«
»Yeah!« Der Grünäugige bleckte sein prächtiges Gebiß und hakte die Daumen hinter den Waffengurt. »Das glaube ich auch.«
Langsam zog sich der Falbreiter in den Sattel. Wieder musterte er den trotz seiner eleganten Kleidung so seltsam wild mit seinem übergeschnallten Kreuzgurt wirkenden Spieler.
»Vielleicht kann ich mich mal dafür revanchieren.«
»Kann schon sein.«
Der Fremde nahm das Pferd herum. Dann hielt er neben der Vorbautreppe noch einmal an. »Wenn Sie nichts dagegen haben, wüßte ich gern noch Ihren Namen.«
Der Mann lachte. Er sah jetzt aus wie ein großer, wilder, ungebärdiger Junge, obgleich er sicher die Dreißig erreicht haben mußte.
»Well, manchmal habe ich etwas dagegen. Aber im Augenblick ist mein Konto glatt. Ich heiße Short.«
»Short…?« wiederholte der Fremde schnell, dann rutschte er aus dem Sattel, ließ die Zügelleinen los und kam die Vorbautreppe hinauf.
Der andere stand jetzt mit verwunderten Augen vor ihm und schob seinen neuen weißen Stetson aus der Stirn. »Kennen Sie mich etwa?«
»Yeah.«
Short winkte ab. »He, lieber nicht, Mister. Have a good time!« Er hob die Hand zum Gruß und wollte sich abwenden.
»Warten Sie noch, Luke!«
Short war stehengeblieben, wandte sich langsam um und schickte dem Falbreiter einen unergründlichen Blick zu. Dann sprang plötzlich ein Lachen in seine Augen, das sie grün aufflimmern ließ.
Der Falbreiter hielt ihm die Hand entgegen. »Ich bin Wyatt Earp.«
Sofort verflog das Lachen aus den Augen Shorts, und die Virginia glitt aus seinen Zähnen. Sie fiel auf den Vorbau und zog einen langen, hauchdünnen, sanft gekräuselten Rauchfaden hoch.
»Wyatt Earp? Der Marshal von Dodge?«
Wyatt nickte.
Da brach Short in ein helles Lachen aus und nahm die dargebotene Hand, um sie kräftig zu schütteln. »Wyatt Earp! Teufel auch! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie mich das freut! Damned, ich habe schon so viel von Ihnen gehört und wollte Sie längst einmal kennenlernen!« Plötzlich hielt er inne und blickte sich um. »Hell and devils, wenn die Halunken da drinnen spitzkriegen, wem ich da geholfen haben, machen Sie Sülze aus mir.«
»Tut mir leid, Luke.«
Wyatt kannte den Namen des Texaners schon eine geraume Zeit. Er hatte manches von ihm gehört. Luke Short war ein wilder, verwegener, ungebärdiger junger Mensch, der, ähnlich wie Doc Holliday, meist an den Spieltischen in den größeren Westernstädten zu finden, der aber auch im derben Lederzeug bei den Diggers in den Goldfundorten zu finden war. Der als Revolverschütze, Wildpferdjäger und Trailboß einen großen Namen hatte.
Allerdings, und darin glich der wilde Texaner den meisten Männern seiner Zeit, die sich einen Namen gemacht hatten; man wußte nie so recht, wo er eigentlich stand, der ungebärdige Short. In Fermont, oben in Wyoming, hatte er durch einen geradezu sagenhaften Streich das Fort Dylamot vor der Vernichtung durch die Indianer bewahrt. In Sioux Falls brachte er eine Siedlerschar mit einer heldenhaften Attacke aus dem Feuer. Luke Short war ein unversöhnlicher Indianerfreund, hieß es. In Lonegan hatten die drei Wells Brothers die Bank überfallen, und im ganzen Westen sprach man damals von Luke Short, der plötzlich dazwischen gekommen war und in einem wilden Gunfight unter ihnen aufgeräumt hatte. Bestimmt nie würden die Menschen im Westen die Brandnacht von Santa Fé vergessen, in der Luke Short eine bedeutende Rolle gespielt hatte.
Well, es gab eine Menge Dinge, die mit dem Namen dieses sonderbaren Mannes in Verbindung gebracht wurden. Und leider waren es nicht nur gute und schöne Dinge. Wyatt Earp wußte damals nicht, ob es wahr war, was man erzählte. Jedenfalls war es ganz dazu angetan, den Mann interessant zu machen.
Und zweifellos war dieser Luke Short einer der ganz wenigen Männer, die in ihrer äußeren Erscheinung ganz und gar dem Bild entsprachen, das sich die Menschen in den großen Städten des Ostens von einem Westernhelden machten. Der Texaner war ein wirklicher Beau, ein gutaussehender Mann, nach dem sich die Mädchen auf der Straße umsahen und dem die Männer neidische Blicke nachwarfen.
Aber wer war er wirklich, dieser Luke Short?
Obwohl der Missourier Wyatt Earp fast sieben Jahre Zeit haben sollte, diese Frage zu erörtern, würde er sie nicht lösen. Luke Short blieb ein Geheimnis, ein Rätsel; ähnlich wie der große Gambler und Gunman John Holliday immer ein Rätsel bleiben würde. Bei Doc Holliday überwog jedoch eindeutig das Kalte, Düstere. Er war ein mit vielen Gaben und Talenten ausgestatteter, gebildeter Mensch, der durch den Westen zog, weil er den Tod suchte, den eigenen Tod. Sein Leben war von tiefer Tragik überschattet. Ganz anders Luke Short: Er war der strahlende Held, der ungekümmerte Trailreiter, der ewig lachende Spieler, der bekannt dafür war, daß er keine Schießerei und vor allem keine Keilerei mied. Was Doc Holliday und Luke Short miteinander gemeinsam hatten: Die Rastlosigkeit. Was sie sehr voneinander unterschied: Holliday floh das Abenteuer – das ihn unbereiflicherweise immer wieder einholte. Luke Short schien es direkt zu lieben.
Der Texaner lachte jetzt, wobei er die zusammengebissenen weißen Zähne blitzen ließ. »Well, seit gestern ist da drin nichts mehr zu verdienen. – Haben Sie schon mal den Namen Hacat gehört? Larry Hacat?«
Der Marshal sagte: »Nein, nie.«
Der Texaner stieß die noch glimmende Virginia mit seiner blanken Schuhspitze vom Vorbau, zog eine neue aus der Reverstasche und zündete sie an.
»Hacat ist ein großer Feuerkopf. Gibt sich so, als ob ihm mindestens das halbe County gehört. Gestern vormittag kam er mit seinen Halunken in die Stadt. Seitdem verlieren die anderen Leute hier in der Kneipe nur noch.«
Wyatt warf einen kurzen Blick auf die Tür der Schenke. »Waren es die Burschen, mit