»Waren Sie darauf vorbereitet, als Sie in Chicago in den Freimänner-Orden eintraten?«
»Nein, das war ich nicht, das muß ich zugeben.«
»Auch ich hatte keine Ahnung, als ich in Philadelphia eintrat. Der Orden war nur eine Wohltätigkeits-Vereinigung und der Treffpunkt meines Freundeskreises. Dann hörte ich von diesem Ort. Verflucht sei die Stunde, da der Name zum erstenmal an mein Ohr drang. Ich kam her, um mich zu verbessern. Mein Gott! Zu verbessern! Es klingt wie bitterer Hohn. Meine Frau und meine Kinder nahm ich mit. Am Marktplatz eröffnete ich einen Kurzwarenladen. Es ging mir gut. Man erzählte sich, daß ich ein Freimann sei, und zwang mich, der Loge beizutreten, so wie Sie es gestern abend taten. Am Arm trage ich das Brandmal der Schande, aber im Herzen ein noch viel schlimmeres. Ich entdeckte, daß ich den Befehlen eines ruchlosen Bösewichtes unterstand und in einem Netzwerk von Verbrechen gefangen war. Was konnte ich tun? Jedes Wort, das ich in bester Absicht aussprach, wurde als Verrat ausgelegt, wie gestern erst wieder. Ich kann nicht weg, denn alles, was ich habe, steckt in meinem Geschäft. Wenn ich aus der Loge austrete, wird man mich umbringen, und der Himmel weiß, was dann aus meiner Frau und meinen Kindern werden soll. Freund, ich sage Ihnen, es ist schrecklich – schrecklich!« Er verbarg sein Gesicht in den Händen, während sein ganzer Körper in heftigem Schluchzen erbebte.
»Sie sind zu weichherzig für die Sache,« antwortete McMurdo achselzuckend. »Sie eignen sich nicht dazu.«
»Ich hatte ein Gewissen und meinen Gottesglauben, aber sie haben mich zum Verbrecher gemacht. Ich wurde zu einer Aufgabe bestimmt. Wenn ich sie zurückgewiesen hätte, würde es mir an den Kragen gegangen sein, das wußte ich. Vielleicht bin ich ein Feigling von Haus aus. Vielleicht hat mich der Gedanke an meine arme, kleine Frau und meine Kinder dazu gemacht. Ich gehorchte also. Die Erinnerung an die Sache wird mich ewig verfolgen. Es war ein armseliges Haus, etwa zwanzig Meilen jenseits der Hügelkette gelegen. Ich hatte die Eingangstür zu bewachen, wie Sie gestern abend. Sie konnten mich zu der Arbeit im Innern nicht gebrauchen. Die anderen gingen hinein. Als sie herauskamen waren Ihre Hände bis zum Handgelenk wie in Blut getaucht. Als wir dem Haus den Rücken kehrten, schrie ein Kind gottsjämmerlich auf. Es war ein kleiner Junge von fünf Jahren, der zugesehen hatte, wie man seinen Vater ermordete. Fast wurde ich vor Entsetzen ohnmächtig, aber ich mußte den Anschein aufrechterhalten, als ob ich mit ganzem Herzen bei der Sache sei und eine lächelnde Miene zeigen. Ich wußte sehr wohl, wenn ich es nicht tat, würden sie demnächst mit blutigen Händen aus meinem Haus kommen, und mein kleiner Fred würde nach seinem Vater schreien. Ich war ein Verbrecher geworden, hatte wenigstens an einem Verbrechen teilgehabt und bin dieser Welt und wahrscheinlich auch der nächsten verloren. Ich bin ein gläubiger Katholik, aber die Priester wollen mit mir nichts mehr zu tun haben, seit sie wissen, daß ich zu den Rächern gehöre. Ich bin aus meiner Kirche ausgestoßen worden. So steht die Sache mit mir. Ich sehe, daß Sie denselben Weg des Verderbens gehen, den ich schon gegangen bin, und wollte Ihnen zu bedenken geben, was aus mir geworden ist. Wollen auch Sie ein kaltherziger Mörder werden, oder gibt es etwas, das Sie davon noch zurückhalten kann?«
»Wie würden Sie dies anfangen?« fragte McMurdo brüsk. »Sie wollen doch nicht den Verräter spielen?«
»Der Himmel soll mich davor bewahren!« rief Morris. »Schon die Absicht würde mich das Leben kosten.«
»Gut, daß Sie so denken,« sagte McMurdo. »Ich halte Sie für einen schwachen Menschen, der sich die Sache zu sehr zu Herzen nimmt.«
»Zu sehr! Warten Sie, bis Sie hier ein bißchen älter geworden sind. Blicken Sie hinunter ins Tal, und betrachten Sie die Hunderte von Schornsteinen, die es überragen. Ich sage Ihnen, daß die Wolken des Verderbens dichter und niedriger über dem Tal hängen als die des Rauches. Es ist das Tal des Grauens – das Tal des Todes. Im Herzen der Bevölkerung wohnt Schrecken, von der Abenddämmerung bis zum Morgengrauen. Nur Geduld, junger Mann, Sie werden es selbst erkennen.«
»Nun denn, ich werde Ihnen sagen, was ich davon halte, nachdem ich mehr gesehen habe,« sagte McMurdo leichthin. »Klar ist nur, daß Sie nicht hierher gehören, und je schneller Sie Ihr Geschäft verkaufen, – auch wenn Sie nur 10 v. H. des Wertes erlösen, – desto besser ist es für Sie. Was Sie mir sagten, ist bei mir sicher aufgehoben; aber der Himmel sei Ihnen gnädig, wenn Sie ein Angeber –«
»Nein, nein,« rief Morris flehend.
»Nun gut, wir wollen es dabei bewenden lassen. Ich werde an das, was Sie mir gesagt haben, denken, und vielleicht komme ich noch einmal darauf zurück. Ich nehme an, daß Sie es gut mit mir meinen. Aber jetzt muß ich wieder nach Hause.«
»Noch eins, bevor Sie gehen,« sagte Morris. »Man hat uns vielleicht beobachtet und wird wissen wollen, was wir zu sprechen hatten.«
»Gut, daß Sie daran denken.«
»Ich habe Ihnen eine Anstellung in meinem Laden angeboten.«
»Und ich habe sie ausgeschlagen. Das geht niemand etwas an. Auf Wiedersehen, Bruder Morris. Hoffen wir das Beste für die Zukunft.«
Als McMurdo am Nachmittag desselben Tages in Gedanken verloren am Ofen seines Wohnzimmers saß, öffnete sich die Tür, und McGinty erschien, der mit seiner massiven, riesenhaften Figur den Türrahmen fast ausfüllte. Er grüßte nach Logenart und nahm ohne weiteres Platz, indem er McMurdo mit Blicken zu durchbohren schien, die von diesem furchtlos erwidert wurden.
»Ich bin ein schlechter Besuchmacher, Bruder McMurdo,« sagte er, »wahrscheinlich, weil mir meine eigenen Gäste so viel zu schaffen machen. Höflichkeit erfordert es indessen, daß ich Ihren Besuch erwidere und Sie in Ihrem Heim aufsuche.«
»Ich bin stolz darauf, Sie hier zu sehen, Rat McGinty,« antwortete McMurdo herzlich und holte die Whisky-Flasche aus dem Schrank. »Es ist für mich eine unerwartete Ehre.«
»Wie geht es dem Arm?« fragte der Meister.
McMurdos Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.
»Ganz gut, aber er hält sich noch in Erinnerung,« sagte er. »Immerhin, ich weiß, wofür ich leide.«
»So ist es,« antwortete der andere, »so muß jeder denken, der unserer Sache ergeben ist und der Loge nützlich sein will. Was haben Sie heute morgen mit Bruder Morris auf Miller Hill zu sprechen gehabt?«
Die Frage kam so plötzlich, daß McMurdo sich glücklich schätzte, eine Antwort in Bereitschaft zu haben.
»Morris weiß nichts davon, daß ich mir hier im Hause Geld verdienen kann,« sagte er mit einem vielsagenden Lächeln. »Er soll auch nichts davon erfahren, denn er hat für meinen Geschmack ein zu enges Gewissen. Er ist ein gutherziger alter Mann und scheint zu glauben, daß es mir schlecht gehe. Er wollte mir auf die Beine helfen, indem er mir eine Anstellung in seinem Kramladen anbot.«
»So, das war es!
Und Sie haben sie ausgeschlagen?«
»Selbstredend. In vier Stunden täglicher Arbeit kann ich mir hier in meinem Schlafzimmer ein vielfaches von dem verdienen, was er mir bieten könnte.«
»So ist es. Ich würde Ihnen indessen raten, mit Morris nicht allzuviel zu verkehren.«
»Warum nicht?«
»Es mag Ihnen genügen, daß ich es wünsche. Das genügt den meisten Leuten hier in der Gegend.«
»Vielleicht den meisten Leuten, aber mir nicht,« erwiderte McMurdo unerschrocken. »Wenn Sie ein Menschenkenner sind, muß Ihnen das klar sein.«
Der dunkelhäutige Riese glotzte ihn an, und seine haarige Tatze schloß sich einen Augenblick lang fest um das Glas, als ob er es dem anderen an den Kopf werfen wollte. Dann brach er in Lachen aus, in ein lautes, schallendes, aber unecht klingendes Lachen.
»Sie sind ein sonderbarer Heiliger, das muß ich sagen,« erwiderte er. »Nun, wenn Sie Gründe haben wollen, werde ich sie Ihnen sagen. Hat Morris irgend etwas gegen die Loge gesagt?«
»Nein.«