»Recht hat er,« sagte einer der Leute.
»Schnell, schnell, macht daß ihr fortkommt,« kam die Stimme des Mannes, der unten Wache hielt. »Alle Fenster sind schon erleuchtet, und wir werden in fünf Minuten die ganze Stadt auf unseren Fersen haben.«
In der Straße hörte man bereits Rufe, während unten in der Halle sich eine kleine Gruppe von Setzern bildete, die allmählich eine drohende Haltung einnahm. Die Bande ließ den leblosen Körper des Redakteurs am Kopfe der Treppe liegen, stürmte hinunter und ins Freie, worauf sie sich zerteilte. Wieder beim UnionHaus angelangt, mischten sich einige davon unter die Menge in der Bar und gaben dem Meister flüsternd zu wissen, daß die Arbeit gründlich besorgt sei. Andere wieder nahmen ihren Weg durch Seitenstraßen und erreichten auf Umwegen ihr Heim.
4. Das Tal des Grauens
Als McMurdo am nächsten Morgen erwachte, hatte er allen Grund, sich an seine Einführung in die Loge zu erinnern. Sein Kopf schmerzte in Nachwirkung der vielen Getränke, und der Arm, auf dem er das Brandmal empfangen hatte, war heiß und geschwollen. Da er seine eigene Einkommensquelle hatte, nahm er es nicht sehr genau mit seinen Pflichten. Er frühstückte spät und blieb des Morgens zu Hause mit Briefschreiben beschäftigt. Nachher las er den »Daily Herald«. In einer Sonderspalte, die für die letzten Nachrichten bestimmt war, fand er einen Artikel mit der Überschrift:
»Schandtat im Herald-Gebäude! Der Redakteur schwer verwundet!«
Es war ein kurzer Bericht über den Vorfall, der ihm selbst besser bekannt war, als dem Schreiber. Der Bericht schloß mit folgenden Worten:
»… Die Sache liegt jetzt in den Händen der Polizei, aber es kann kaum erwartet werden, daß ihre Bemühungen erfolgreicher sein werden, als bei ähnlichen Anlässen der Vergangenheit. Einige der Männer wurden erkannt, und auf diese Weise wird es vielleicht möglich sein, sie des Verbrechens zu überführen. Es braucht wohl nicht erst betont zu werden, daß diese Schandtat auf das Schuldkonto jener schändlichen Verbrecherbande zu setzen ist, die schon allzu lange über unsere Gemeinde herrscht, gegen die der ›Herald‹ bisher unverdrossen gekämpft hat, und die er unbeirrt weiter bekämpfen wird. Die vielen Freunde Mr. Stangers werden sich freuen zu hören, daß er, obgleich er in der grausamsten und brutalsten Weise mißhandelt wurde und schwere Verwundungen am Kopf davontrug, in keiner unmittelbaren Lebensgefahr schwebt.«
Danach war noch zu lesen, daß eine Abteilung der Kohlen-und Eisenpolizei, bewaffnet mit Winchestergewehren, zum Schutz des Herald-Gebäudes abgeordnet worden sei.
McMurdo hatte die Zeitung niedergelegt und war eben dabei, sich mit einer unter den Wirkungen des gestrigen Trinkgelages noch unsteten Hand die Pfeife anzuzünden, als es klopfte und ihm seine Wirtin einen Brief hereinbrachte, der von einem Jungen abgegeben worden war. Der Brief trug keine Unterschrift und lautete wie folgt:
»Ich möchte Sie gern sprechen, aber nicht in Ihrem Hause. Sie werden mich neben dem Fahnenmast auf Miller Hill finden. Wenn Sie meinem Wunsch folgen, werde ich Ihnen eine Mitteilung machen, die für Sie und für mich von Wichtigkeit ist.«
McMurdo überlas den Brief zweimal in äußerster Überraschung, ohne Vorstellung, was er zu bedeuten habe und von wem er herrühren könne. Wäre er in einer weiblichen Handschrift geschrieben gewesen, so hätte er ihn für den Anfang eines jener Abenteuer gehalten, die ihm aus früheren Zeiten wohl vertraut waren. Aber er war von Manneshand und wies die Merkmale guter Bildung auf. Nach einigem Zögern entschloß er sich, der Sache auf den Grund zu gehen.
Miller Hill war ein ungepflegter öffentlicher Park, inmitten der Stadt gelegen. Im Sommer war es ein beliebter Aufenthaltsort des Volkes, aber im Winter war er trübselig genug. Von oben hatte man einen Fernblick über die ganze rußige, planlos angelegte Stadt und das lange gewundene Tal, mit seinen verstreuten Bergwerken und Fabriken, eingesäumt von schwärzlichem Schnee und den bewaldeten, weiß übergossenen Hängen darüber.
McMurdo schlenderte die Krümmungen des Pfades entlang, der von einer immergrünen Hecke eingefaßt war, bis er zu dem verödeten Restaurant gelangte, das im Sommer der Sammelpunkt der Vergnügungssüchtigen war. Daneben stand ein kahler Flaggenmast, an dessen Schaft er einen Mann gewahrte, mit tief heruntergezogenem Hut und aufgeklapptem Rockkragen. Als der Mann McMurdo sein Gesicht zuwandte, erkannte dieser in ihm Bruder Morris, der sich am Abend vorher dem Mißfallen des Logenmeisters ausgesetzt hatte. Nachdem der Logengruß ausgetauscht worden war, ging Morris ohne Zeitverlust auf den Gegenstand der von ihm herbeigeführten Unterredung über.
»Ich wollte mit Ihnen sprechen, Herr McMurdo,« sagte er zögernd, wie jemand, der sich auf schwankem Boden weiß. »Es war sehr freundlich von Ihnen, zu kommen.«
»Warum haben Sie Ihren Brief nicht unterzeichnet?«
»Man muß vorsichtig sein, Herr. Man kann nie wissen, wem solch ein Brief in die Hände fällt. Außerdem weiß man nicht, wem man in solchen Zeiten trauen kann und wem nicht.«
»Logenbrüdern können Sie doch sicherlich trauen?«
»Nicht immer,« rief Morris lebhaft. »Was einer von uns sagt, selbst was er denkt, scheint stets seinen Weg zu McGinty zu finden –«
»Herr Morris,« warf McMurdo mit ernstem Tone ein, »erst gestern abend habe ich, wie Sie wissen, dem Logenmeister Treue geschworen. Sie wollen mich doch nicht verleiten, meinen Schwur zu brechen?«
»Wenn das Ihre Auffassung von der Sache ist,« sagte Morris enttäuscht, »dann tut es mir leid, Sie bemüht zu haben. Es ist traurig, daß zwei Bürger eines freien Landes nicht offen ihre Meinungen austauschen können.«
McMurdo, der seinen Gefährten sorgfältig im Auge behalten hatte, milderte seine abweisende Haltung.
»Ich habe auch an mich zu denken,« sagte er, »ich bin hier ein Neuling, wie Sie wissen, und bewege mich auf fremdem Boden. Es ist nicht an mir, den ersten Schritt zu tun, Herr Morris. Wenn Sie mir etwas zu sagen haben, will ich es gern anhören, da ich schon einmal hier bin.«
»Um es dann Meister McGinty zu hinterbringen,« sagte Morris bitter.
»Darin tun Sie mir Unrecht,« rief McMurdo. »Was mich persönlich betrifft, halte ich streng loyal zur Loge, wie ich Ihnen gerade heraus sagen muß, aber ich wäre ein erbärmlicher Wicht, wenn ich Ihr Vertrauen mißbrauchen würde. Was Sie mir sagen, bleibt unter uns, aber ich muß Sie darauf vorbereiten, daß Sie bei mir weder Hilfe noch Sympathie finden werden.«
»Diese von Ihnen oder einem anderen zu erwarten, habe ich längst aufgegeben,« sagte Morris bitter.
»Vielleicht gebe ich mich mit dem, was ich sagen will, in Ihre Hände,« fuhr er fort, »aber so schlecht Sie auch sein mögen, – und nach gestern abend zu schließen, scheinen Sie sich zu einem ebenso großen Bösewicht auswachsen zu wollen, wie die anderen, – Sie sind, wie Sie selbst sagen, noch ein Neuling, und Ihr Gewissen kann noch nicht abgestumpft sein. Darum möchte ich gern mit Ihnen sprechen.«
»Nun, und was haben Sie zu sagen?«
»Wenn Sie mich verraten, möge mein Fluch Sie treffen.«
»Sie können darüber unbesorgt sein.«
»Also dann möchte ich Sie fragen, ob es Ihnen, als Sie in Chicago in den Bund der freien Männer eintraten und Ihr Gelübde ablegten, in den Sinn gekommen ist, daß es Sie auf die Verbrecherbahn führen könnte?«
»Wenn Sie es Verbrechen nennen wollen,« antwortete McMurdo.
»Kann es darüber zweierlei Meinungen geben?« rief Morris mit vor Erregung zitternder Stimme. »Sie wissen offenbar noch nicht viel davon, wenn Sie es anders bezeichnen möchten. War es nicht ein Verbrechen, den alten Mann von gestern abend, alt genug, Ihr Vater zu sein, zu schlagen, bis ihm das