Wir haben Justinian bereits in dem verschiedenartigen Licht eines Fürsten, eines Eroberers und eines Gesetzgebers gesehen. Als Theolog werden wir ihn jetzt kennenlernen, da die Theologie einen sehr bedeutenden Zug in seinem Charakter bildete. Der Souverän sympathisierte mit seinen Untertanen in ihrer Verehrung lebender und abgeschiedener Heiliger; sein Kodex und noch mehr seine Vorlagen bestätigen und erweitern die Vorrechte der Geistlichkeit, und in jedem Streite zwischen einem Mönche und einem Laien war er geneigt auszusprechen, daß Wahrheit, Unschuld und Gerechtigkeit sich stets auf Seite der Kirche befänden. In seinen öffentlichen und geheimen Andachtsübungen war der Kaiser emsig und musterhaft. Seine Gebete, Nachtwachen und Fasten trugen das Gepräge strenger Kasteiung. Er war überzeugt, daß er der persönlichen Eingebung Gottes teilhaftig geworden sei. Er hatte sich dem Schutz der heiligen Jungfrau und des Erzengels Michael anvertraut, und als er eines Tages von einer schweren Krankheit genas, wurde das der wunderbaren Hilfe der heiligen Märtyrer Cosmas und Damian zugeschrieben. Die Hauptstadt und die Provinzen des Ostens wurden mit den Denkmälern seiner Religion geschmückt, und obschon der weitaus größere Teil dieser kostspieligen Bauten seinem Geschmack oder seiner Prunksucht zugeschrieben werden muß, ist es doch wahrscheinlich, daß den Kaiser bei diesen Bauten ein echtes Gefühl der Liebe und Dankbarkeit gegen seine unsichtbaren Wohltäter leitete. Unter den kaiserlichen Titeln war ihm der Beiname Pius der angenehmste; die Förderung zeitlicher und geistlicher Wohlfahrt der Kirche betrachtete er als oberste Pflicht seines Lebens, und oft war er weniger Landesvater als Glaubensverteidiger. Die Streitigkeiten des Zeitalters sagten seinem Charakter und Verstande zu, und die eigentlichen Theologen mußten innerlich den Eifer eines Uneingeweihten belächeln, der ihre Kunst betrieb und seine eigene vernachlässigte. »Was könnt ihr«, sagte ein kühner Verschwörer zu seinen Genossen, »von eurem bigotten Tyrannen fürchten? Schlaflos und unbewaffnet sitzt er ganze Nächte in seiner Stube, beratschlagt mit geistlichen Graubärten und wendet die Blätter ihrer theologischen Bücher um.« Das Wissen aus diesen nächtlichen Studien wurde in mancher Besprechung entfaltet, in der Justinian als der lauteste und spitzfindigste Zänker glänzte, in mancher Predigt, die als Edikt oder Schreiben dem Reiche die Theologie seines Gebieters verkündete. Während die Barbaren in die Provinzen einbrachen, während die siegreichen Legionen unter den Fahnen Belisars und Narses' marschierten, begnügte sich der Nachfolger Trajans, unbekannt im Lager, an der Spitze einer Synode zu siegen. Wenn Justinian zu diesen Synoden einen unbeteiligten und verständigen Zuschauer eingeladen hätte, würde er erfahren haben können: »daß religiöses Gezänke das Kind des Hochmutes und der Torheit sei; daß echte Frömmigkeit am lobenswertesten sich durch Schweigen und Unterwerfung kundgebe; daß der Mensch, der seine eigene Natur nicht kennt, sich nicht vermessen solle, die Natur seines Gottes zu erforschen und daß es für uns zu wissen hinreiche, daß Macht und Güte die Eigenschaften der vollkommenen Gottheit sind.«
Duldung war nicht die Tugend der Zeiten und Milde gegen Empörer ist selten die Tugend der Fürsten gewesen. Wenn aber ein Fürst den engherzigen und reizbaren Charakter eines Zänkers hat, wird er leicht verleitet, den Mangel an Gründen durch die Fülle seiner Macht zu ersetzen und ohne Erbarmen diejenigen zu züchtigen, die sich geflissentlich gegen seine Beweise verschließen. Die Regierung Justinians bietet ein ununterbrochenes vielgestaltiges Schauspiel der Verfolgung. Er übertraf seine trägen Vorgänger sowohl in der Erfindung von Gesetzen, wie in der Strenge ihrer Ausführung. Drei Monate nur wurden für die Bekehrung oder Verbannung aller Ketzer festgesetzt, und wenn er ihnen nachsichtig einen unsicheren Aufenthalt gestattete, waren sie unter seinem eisernen Joch nicht nur der Wohltaten der Gesellschaft, sondern auch der allgemeinen Menschen- und Christenrechte beraubt. Nach vierhundert Jahren noch beseelte die Montanisten von Phrygien jener wilde Enthusiasmus für religiöse Schwärmer und Propheten, den sie von ihren männlichen und weiblichen Aposteln, den auserlesenen Werkzeugen des Parakletes, eingesogen hatten. Sobald sich ihnen katholische Priester und Soldaten näherten, griffen sie mit Freuden zur Märtyrerkrone. Versammlung- und Gemeindehaus wurden von den Flammen verzehrt, aber sogar noch dreihundert Jahre nach dem Tode ihres Tyrannen waren diese Urschwärmer nicht gänzlich vertilgt. Unter dem Schutze der gotischen Bundestruppen hatte die arianische Kirche in Konstantinopel der Strenge der Gesetze getrotzt: ihre Geistlichkeit tat es an Reichtum und Prunk dem Senate gleich, und das Gold und Silber, dessen sich der räuberische Justinian bemächtigte, konnte allenfalls als die den Provinzen abgenommene Beute und als die Trophäe der Barbaren in Anspruch genommen werden. Es gab noch immer unter den Menschen, sowohl in hohen wie in niederen Kreisen, heimliche Heiden. Sie erregten die Entrüstung der Christen, die es vielleicht nicht gern sahen, daß Fremdlinge Zeugen ihrer inneren Zwistigkeiten waren. Ein Bischof wurde zum Glaubensinquisitor ernannt. Er entdeckte bald am Hofe wie in der Stadt Beamte, Rechtsgelehrte, Ärzte und Sophisten, die noch immer dem Aberglauben der Griechen anhingen. Ihnen wurde allen Ernstes bedeutet, daß sie ohne Verzug zwischen dem Mißfallen Jupiters und der Ungnade Justinians zu wählen hätten und daß sie ihren Abscheu gegen das Evangelium nicht länger unter der Ärgernis erregenden Maske der Gleichgültigkeit oder Gottlosigkeit verbergen dürften. Der Patrizier Photius war vielleicht der einzige, der wie seine Ahnen zu leben und zu sterben entschlossen war; er tötete sich mit seinem Dolche und ließ seinem Tyrannen die armselige Genugtuung, daß dieser seinen leblosen Körper schimpflich aussetzen lassen konnte. Seine schwächeren Glaubensgenossen unterwarfen sich ihrem irdischen Monarchen, unterzogen sich den Zeremonien der Taufe und waren bestrebt, durch außergewöhnlichen Eifer den Verdacht der Götzendienerei von sich abzuwälzen oder deren Schuld zu sühnen. Das Vaterland Homers, Schauplatz des trojanischen Krieges, bewahrte noch die letzten Spuren seiner Mythologie; durch die Emsigkeit desselben