CHRISTINE
Träume ich das?
STRASSER
Nein!
CHRISTINE
fährt sich mit der Hand langsam über die Augen; leise: Nein? – Nein?
STRASSER
Auf alle Fälle schmerzt es mich zutiefst da drinnen, daß du mich mit meinem eigenen Oberkellner betrogen hast.
CHRISTINE
Du sprichst chinesisch! Sind wir in China?!
STRASSER
Wir sind in Deutschland. Ich spreche deutsch. Kerndeutsch! – Höre: ich habe bereits des öfteren Verdacht gefaßt, aber oh wie war ich feig: ich wich dem ungetrübten Auge der Wahrheit aus.
CHRISTINE
Pfui, wie gemein!
STRASSER
Die Wahrheit ist immer gemein!
MAX
Hm.
EMANUEL
unterdrückt zu Max: Ab!
CHRISTINE
starrt Strasser an: Wie anders du aussehen kannst, nein, wie anders – jetzt sehe ich –
STRASSER
Was?
CHRISTINE
Daß die recht behalten, die mich warnten.
STRASSER
Vor der Wahrheit?
CHRISTINE
Nein, vor dir.
STRASSER
Man hat dich gewarnt?
CHRISTINE
Ja.
STRASSER
Wer?
CHRISTINE
Alle. Alle. Alle – Sie nähert sich ihm und hängt sich an ihn – aber, aber ich kann ja nicht, ich kann es nicht glauben – nur meinen Gefühlen bin ich gefolgt, allen zu Trotz der inneren Stimme, die nie trügt. Dem Herz.
STRASSER
lächelt schmerzlich: Tja! Ich habe ein goldenes Herz –
CHRISTINE
Du, es flüstert in mir: wir zwei sind von der Vorsehung für einander bestimmt –
STRASSER
Flüstert?
CHRISTINE
haucht: Ja – Bei dir vergesse ich mich selbst.
Stille.
STRASSER
reißt sich plötzlich los von ihr: Aha! Aha! Jawohl! Wir zwo waren von der Vorsehung für einander bestimmt, aber du hast die Vorsehung belogen! Schamlos belogen! Schamlos belogen! Ja, du! Ist ja gar nicht wahr! Ist ja alles verlogen! Du vor allem! Ich habe ja gar kein Kind! Kein einziges! Und wie überschäumte ich schon vor Glück, eines zu haben, zu bekommen haben! Ja, wagst du zu leugnen, Weib, daß, während ich dir zu Füßen lag, du über mein Haupt hinweg und hinter meinem Rücken umeinandergebuhlt hast?! Wagst du die Wahrheit zu widerlegen, die Wahrheit?! Oh, es ist alles verlogen, alles!
CHRISTINE
krümmt sich: Nein, das ist nicht wahr –
STRASSER
Wie? – Darf ich bitten, Herr Baron?
EMANUEL
Herr Strasser! Ich verwahre mich auf das Entschiedenste gegen die öffentliche Erörterung intimer Seelenqualen –
STRASSER
unterbricht ihn: Mehr Licht!
EMANUEL
Kein Skandal!
STRASSER
Haha! Was frägt ein Herz, ein goldenes Herz, das verwundet umherzuckt, gekränkt, getreten, gemordet – was kümmert solch ein Herz das Wort Skandal?! Solch Herz schlägt auf den Tisch: Tabula publico! Coram rasa! Solch Herz soll auf der Stelle blind umfallen, wenn es dir, ja dir, du Schlange, auch nur in Gedanken untreu sündigte! – Und du? Und du?! Sieh die Blumen, die Blumen! Auto und Chauffeur! Zu dritt, zu dritt! Und das Tabarin! Zu viert! Zu fünft!!
EMANUEL
formell: Wir sprechen uns noch, Herr. Denn selbst wenn es Hunderte waren, stelle ich mich schützend vor eine Dame. Obwohl sie mich mit meinem eigenen Lakai betrogen hat, bleibe ich dennoch bis zum letzten Tropfen Kavalier. Das ist Kinderstube, Herr!
STRASSER
Keine Komplikationen!
KARL
Prozeß?
STRASSER
Ich schwöre.
KARL
Klar!
Max bekreuzigt sich.
CHRISTINE
starrt vor sich hin; tonlos: Es waren keine hundert, keine hundert –
STRASSER
So waren es fünf!
EMANUEL
Den Prozeß, Madame, dürften Sie kaum gewinnen. Behörden bereiten nur zu gerne Unannehmlichkeiten, denn sie nehmen den Lebenswandel scharf unter die Lupe – unter das Mikroskop!
STRASSER
Oh, es gibt noch einen Gott!
CHRISTINE
dumpf: Jetzt weiß ich nicht mehr, ob es einen Gott gibt. Wenn ich nur verzweifeln könnte. Muß man denn immer lügen –
STRASSER
Das frage dich!
CHRISTINE
Ja, mich selbst –
KARL
Was war das mit dem Tabarin?
CHRISTINE
schreit: Ich kenne kein Tabarin!
Emanuel gibt Müller ein Zeichen; klatscht in die Hände. Müller hatte sich etwas zurückgezogen; lacht schallend.
STRASSER
Kommen Sie nur, Herr Generaldirektor! Kommen Sie nur!
MÜLLER
nähert sich langsam Christine; hält vor ihr; fixiert sie dreckig.
Stille.
Du kennst kein Tabarin?
Stille.
Kennst du mich?
Stille.
Nanana! Tu man nicht so! So vom Mond importiert! Das wäre schon unverschämt, ja! – Was suchst du hier? Was? Wie? Hier hast du nichts verloren! Verstanden?! Willst du einen biederen Bürgersmann, einen kreuzbraven Gewerbetreibenden, meinen Schulkameraden Strasser in Unkosten stürzen? Denkst wohl, die würzige Luft hier schadet weder dir noch deinem Bankert? Verstanden?! Aushalten willst du dich lassen, aushalten! Nur nichts arbeiten, was? Wie?
CHRISTINE
Bin ich wahnsinnig geworden? – Hilfe!
MÜLLER
Wer hilft Nutten? Kein Aas! Kein Gott! Er ergreift ihren Arm. Was macht das Muttermal? Das Muttermal! Hoppla, da wird wer bleich und blaß! Das Muttermal, das Muttermal!