»Ja, das ist sehr richtig«, gab Tom zu. »Niemand wird das leugnen. Das Schlimme ist, dass den Arbeitern die Augen noch nicht geöffnet sind. Sie sollten sich selbstverständlich mehr um Politik kümmern, aber es muss die richtige Politik sein.«
»Man muss wirklich ehrliche Männer finden«, sagte Billy. »Das ist das ganze Unglück. – Nicht, dass ich auf den Sozialismus hielte, denn das tue ich nicht. Alle unsere Vorfahren haben seit langer Zeit in Amerika gelebt, und was mich betrifft, so will ich mir nicht gefallen lassen, dass eine Herde fetter Deutscher oder schmutziger russischer Juden mir erzählen soll, wie ich mein Land regieren soll, wenn sie nicht einmal meine Sprache richtig sprechen können.«
»Dein Land!« rief Bert. »Aber, du Esel, du hast ja gar kein Land. Das ist ja nur etwas, das die Leute, die von Bestechung leben, dir erzählen, sooft sie dich noch mehr plündern wollen.«
»Aber dann dürfen wir nicht mehr für die Männer stimmen, die von Bestechung leben«, ereiferte Billy sich. »Wenn wir ehrliche Männer wählten, würden sie auch ehrlich gegen uns sein.«
»Ich wünschte, du kämest manchmal zu unsern Versammlungen, Billy«, sagte Tom ernst. »Wenn du das tätest, würden dir die Augen geöffnet werden, und du würdest bei der nächsten Wahl für die Sozialisten stimmen.«
»Nein, das tue ich nicht, darauf kannst du Gift nehmen«, erklärte Billy. »Ich laufe nicht zu Sozialistenversammlungen, ehe sie gelernt haben, wie weiße Männer zu reden.«
Bert summte:
»Wir leben in einer komischen Zeit,
In der der Dollar rollt.«
Mary war zu zornig auf ihren Mann wegen des Streiks und seiner ketzerischen Bemerkungen, um sich weiter mit Saxon zu unterhalten, die deshalb darauf angewiesen war, der Diskussion der Männer zuzuhören.
»Aber wo soll das alles enden?« fragte sie mit einer Unbesorgtheit, welche die Angst in ihrem Herzen verdecken sollte.
»Enden?« knurrte Bert. »Es ist ja schon vorbei.«
»Aber Fleisch und Petroleum sind schon wieder gestiegen«, sagte sie empört. »Und Billys Lohn ist herabgesetzt und der Lohn der Eisenbahner auch voriges Jahr. Es muss etwas geschehen.«
»Es ist nichts zu tun, als wie der Teufel zu kämpfen«, antwortete Bert. »Kämpfen und kämpfend untergehen. Das ist alles. Wie es auch gehen mag, wir sind erledigt, aber wir wollen doch wenigstens ein bisschen Vergnügen davon haben.«
»So darf man nicht reden«, sagte Tom vorwurfsvoll.
»Die Zeit, da Reden einen Zweck hatte, ist überhaupt vorbei, alter Wetterhahn. Jetzt heißt es kämpfen.«
»Ja, und du hättest große Aussichten gegen reguläre Truppen und Maschinengewehre«, antwortete Billy.
»Ach, ich meine nicht so. Es gibt etwas wie schmierige Stöcke, die mit großem Lärm in die Luft fliegen und Löcher machen. Es gibt etwas, das Schmirgel heißt –«
»Ach so«, fiel Mary ihm ins Wort, die Hände in die Hüften gestemmt. »So, das ist die Meinung. Dazu sollte der Schmirgel in deiner Westentasche also gebraucht werden?«
Ihr Mann ignorierte sie. Tom rauchte seine Pfeife mit besorgtem Ausdruck. Billy war sehr peinlich berührt. Das konnte man ihm ansehen.
»Das machst du doch nicht mit, Bert?« fragte er, und aus dieser Frage ging deutlich hervor, dass er ein Nein von seinem Freund erwartete.
»Natürlich mache ich mit, wenn du es durchaus wissen willst. Ich möchte sie in der Hölle sehen, wenn ich könnte – ja, die ganze Bande, ehe ich abhaue.«
»Er ist der richtige, blutdürstige Anarchist«, klagte Mary. »Leute wie er sind es, die McKinley und Garfield ermordet haben. Er wird noch gehängt werden. Ja, ihr werdet schon sehen, dass ich recht bekomme.«
»Es ist sein gewöhnlicher Unsinn«, tröstete Billy sie.
»Er will dich nur necken«, sagte Saxon beruhigend. »Er neckt immer so gern.«
Aber Mary schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es. Ich höre ihn im Schlafe reden. Er flucht und zieht vom Leder, dass es ganz schrecklich ist, und knirscht mit den Zähnen.«
Tom sagte etwas von Vernunft und Gerechtigkeit, und Bert wandte sich gegen ihn.
»Gerechtigkeit, sagst du, Gerechtigkeit? Ja, das ist auch so ein verfluchtes Hirngespinst. Soll ich dir zeigen, welche Gerechtigkeit es für die arbeitende Klasse gibt? Erinnert ihr euch an Forbes – J. Alliston Forbes, der das Alta-Kalifornia-Verwaltungsinstitut ruinierte und zwei Millionen in seine eigene Tasche steckte? Gestern sah ich ihn in einem großen Auto, das geradeswegs in die Hölle fuhr. Was hat er bekommen? Acht Jahre. Wie lange hat er gesessen? Nicht einmal zwei. Ihm wurde die Strafe erlassen – aus Gesundheitsrücksichten. Gesundheitsrücksichten – ich will ihn gehängt sehen! Wir sind alle tot und verfault, ehe er abfährt. Da! Seht aus dem Fenster! Könnt ihr die Rückseite des Hauses sehen, wo das Geländer zerbrochen ist? Dort wohnt Danakers Witwe. Sie wäscht für andere. Ihr Mann wurde im Dienst der Eisenbahn getötet. Nicht einen Groschen Schadenersatz – Unvorsichtigkeit, Nachlässigkeit oder sonst ein Quatsch. Das kriegte sie bei den Gerichten heraus. Ihr Junge, Archie, war sechzehn Jahre alt. Er war ein richtiger kleiner Vagabund. Er brach in Fresno ein, und ein Betrunkener kam dabei um. Wollt ihr wissen, wie viel er erwischte? Zwei Dollar und achtzig Cent. Habt ihr verstanden – zwei Dollar – und – achtzig Cent. Und was versetzten die Richter ihm? Fünfzig Jahre. Er ist jetzt schon seit acht Jahren in San Quentin. Und dort bleibt er, bis er krepiert. Seine Mutter sagt, dass er Tuberkeln hat – die hat er im Gefängnis gekriegt. Aber niemand verschafft ihm die Freiheit. Ein Kerl wie Archie stiehlt einem Betrunkenen zwei Dollar und achtzig Cent und kriegt fünfzig Jahre dafür. J. Alliston Forbes beschwindelt die Alta um zwei Millionen und kriegt nicht einmal zwei Jahre. Wem gehört das Land nun, wenn ich fragen darf? Euch und Archie? Nein, euch weiß Gott nicht! J. Alliston Forbes –«
Mary, die an die Aufwasch trat, wo Saxon gerade den letzten Teller gewaschen hatte, band ihr die Schürze ab und küsste sie mit dem Mitgefühl, das nur Frauen füreinander hegen, wenn eine von ihnen bald Mutter sein soll.
»Na, setz dich, Kind. Du darfst dich nicht so ermüden – es ist noch lange bis dahin. Jetzt hol ich dir dein Nähzeug, und dann kannst du auf das Geschwätz der Männer hören. Aber höre nicht auf Bert. Er ist ganz verrückt.«
Saxon nähte und hörte zu, und Berts Gesicht