»Am liebsten möchte ich singen!« rief sie. »Aber ich darf die Puste nicht verschwenden.«
»So möchte ich immer mit Ihnen fahren«, unterbrach Vance.
Sie überhörte, was er sagte, und fuhr fort: »Vance, ich bin ja so froh, dass wir wieder Freunde sind.«
»Es ist nicht meine Schuld, dass wir nicht mehr sind als das.«
»Sie kommen aus dem Takt, mein Lieber!«
Die beiden Männer handhabten die Paddeln, dass der Schweiß in Strömen floss. Durch Wirbel und Stromschnellen, an zackigen Eisblöcken hin, steuerte Frona mit nachtwandlerischer Sicherheit. Ihr Paddel stieß wie ein Schwert in die Flut, immer in der letzten Sekunde am Verderben vorbei, und haarscharf fand sie den Weg, wie nur der kaltblütigste Mann ihn gefunden hätte. Das Boot schoss wie ein Pfeil vorwärts und wollte sich an einem Eisberg vorbeidrängen, der, plötzlich kalbend, mit Gedröhn in sich zusammenstürzte. Das Wasser schäumte in einem Riesenkranz hinter ihnen empor, sie entgingen den Blöcken, aber im Augenblick war ihr Kanu bis zum Rande gefüllt.
»Hab’ ich es euch nicht gesagt, ihr Dummköpfe!« schrie der Schotte.
Corliss kommandierte:
»Sitzen Sie still und schöpfen Sie Wasser!« Dann drohte er warnend:
»Sonst hatten Sie zum letztenmal im Leben mit Dummköpfen zu tun!«
Im Schatten überhängender Blöcke gelangte das Boot lautlos in den letzten Wirbel hinein. Jetzt näherte es sich dem Gestade, aber dort herrschte eine wütende Brandung.
»Zeigt, was ihr könnt!« war der letzte Befehl, den Corliss geben konnte, denn in dem Getöse, in das sie jetzt stürzen mussten, wäre eine Männerstimme nur wie das Zirpen einer Grille im Gebrüll eines Erdbebens gewesen. Auf und nieder, auf und nieder gingen die Paddeln, das zerbrechliche Kanu zitterte und bebte unter der furchtbaren Anstrengung. Nach rechts und links wollte es der fauchenden Brandung entgleiten, aber Frona hielt es fest in der Hand. So kamen die letzten fünf Minuten, deren jede wie eine Ewigkeit war … jetzt waren es nur noch Meter, die Zoll um Zoll mit wütender Anstrengung bezwungen werden mussten. Dann waren sie am Ziel! In diesem Augenblick versagten die Nerven des Schotten. Wie eine Vision sah er das Verderben: sah die Nussschale in wirren Schaummassen untergehen, sich selbst mit im Winde flatterndem Haar und Händen, die ins Leere griffen, fühlte, wie die geifernde Flut ihn verschlang. Einen Augenblick lang, mit weitaufgerissenem Mund, starrte er vor sich hin, rührte die Paddel nicht – da waren sie schon wieder um viele Meter zurückgeworfen, trieben abermals in dem Wirbel, dem sie eben entronnen waren.
Frona lag ins Boot zurückgeschleudert und schluchzte. Die Sonne brannte ihr prall ins Gesicht. Corliss lag in der Mitte des Schiffes, er stöhnte laut, und vorn saß der Schotte, nach Luft ringend, das Gesicht in den Händen begraben.
Die Betäubung dauerte nur Minuten, dann ermannte sich Corliss: »Wir müssen raus!«
Über ihm hing regenbogenfarbig eine Eismauer, ein Märchenschloss! Silbernes Geäder rieselte durch die Wände, in den klaren Tiefen schienen alle Geheimnisse von Leben und Tod zu schlafen.
»Vorwärts! Noch einmal! Los!«
Der Schotte hob den Kopf und sah sich um: »Geben wir lieber auf.«
»Los!« wiederholte Corliss.
*
Sie landeten an einer hohen Bank, brachten mit letzter Kraft sich selbst und das Boot wieder aufs Trockene. Als sie endlich festen Boden unter den Füßen hatten, nach Todesängsten ohne Maß ihr Leben wieder gleichsam in Händen hielten und auf die Hölle zurücksahen, durch die sie geschifft waren, sprach Frona:
»Ach, Vance!«
»Frona! Ja, Frona!«
»Hätte ich dumme Gans doch mehr gegessen heut morgen! Einen Wolfshunger hab’ ich.«
Sie ließen sich in der Sonne nieder, reckten die Glieder und schlugen ihre Zähne wie wilde Tiere in schwammig gewordenes Brot, in zähes Dörrfleisch; sie hätten sie in Lederriemen geschlagen, wäre kein Proviant dagewesen.
»Langsamer!« rief mit plötzlichem Schrecken Corliss. »Wir fressen ja dem Unglücklichen das Futter weg, mit dem wir ihn retten wollten.«
Jetzt hatte die Wirklichkeit sie wieder. Sie sahen einander an und lachten selig. In dieser Stunde vergaßen sie schon, wie viel Verzweiflung hinter ihnen lag.
»Jetzt müssen wir weiter«, sagte Frona und versuchte aufzustehen.
»Erst muss ich Sie verbinden, Frona.«
Corliss wies auf ihre Füße. Beim Klettern über den rissigen Hang hatte sie sich die Sohlen der Mokassins zerfetzt, das Eis hatte tiefe Risse in ihre Füße geschnitten. Die Sohlen und alle Zehen bluteten.
»Die zarten Füßchen«, spottete Phillips. »Man sollte nicht glauben, dass so ein süßes Mädel zwei starke Männer geradeswegs in die Hölle jagen kann.«
»Vielleicht sind Sie schon auf dem Weg zur Hölle!« antwortete Corliss zornig.
»Jawohl, mein Junge! Mit 40 Meilen Geschwindigkeit in der Stunde!« antwortete der Schotte, der um jeden Preis das letzte Wort haben wollte.
»Geben Sie mir eines Ihrer Hemden!« verlangte Corliss.
»Ich hab’ ja nur eins an. Es macht auch nichts, wir müssen weiter.«
»Keinen Schritt, ehe ich Sie verbunden habe!«
Im Augenblick hatte Vance Corliss sein Hemd über den Kopf gezogen und fing an, es in breite Streifen zu zerreißen.
Frona lachte: »Was Sie für ein Kerl geworden sind! Wie Sie dastehen, mit zerzaustem Haar, eine Mordwaffe zur Seite und nackt bis zum Gürtel! Wie ein Seeräuber, ein Berserker, der in den Kampf zieht. Ich wollte, ich hätte meinen Fotoapparat bei mir; dann könnte ich später sagen: so sah Vance Corliss, der große arktische Forscher, am Ende seiner berühmten Reise aus.«
Er kniete vor ihr nieder, um ihre Füße zu verbinden. Plötzlich fragte er: »Was ist aus Ihren Hosen geworden?«
Sie sah an sich herab, das Leder war zerfetzt. Aber immerhin war es noch eine Hose, und sie rief: »Schämen Sie sich!«
»Ich bedauere nur, dass ich keinen Apparat bei mir habe. Ich könnte sonst später sagen: Diese junge Dame hier, der der Wind durch die Hosen pfeift, ist …«
*