Von den Schriftstellern einer jüngeren Generation, welche Gottsched nicht sowohl durch Polemik als ihre Leistungen überwunden hatte und einen Fortschritt in der deutschen Litteratur bezeichnen, waren Gellert und Chr. Fel. Weiße damals vor allen angesehen. Dem wohlwollenden, liebenswürdigen Weiße, der als Bühnendichter wie als Herausgeber der Bibliothek der schönen Wissenschaften in voller Thätigkeit war, trat er in persönlichem Umgange nahe und wurde durch eine dauernde Anhänglichkeit an ihn gefesselt; im Jahre 1801 noch läßt er sich durch Rochlitz dem verehrten Greise empfehlen. Gellert war als Mensch und Schriftsteller Gegenstand einer allgemeinen, ans Schwärmerische grenzenden Verehrung; die Einfachheit und Aufrichtigkeit seines Wesens, die Herzlichkeit seiner Theilnahme, selbst seine Kränklichkeit machten auch auf die Jugend einen tiefen Eindruck, so daß die weinerliche Weichheit seines Vortrages und sein Moralisiren weder ihre Abneigung noch ihren Muthwillen erregte. Auch Goethe finden wir als einen eifrigen Zuhörer Gellerts, der bemüht ist, aus seinen Vorlesungen wie aus seinen stylistischen Übungen allen Nutzen zu ziehen, und sich es angelegen sein läßt, die kaum erworbene Weisheit in seinen Briefen seiner Schwester mitzutheilen. Allein ein nachhaltiger Einfluß zeigt sich, wie zu erwarten, auch hier nicht, Lehrer und Schüler waren zu verschiedener Natur. Gellert mußte sich für den Einzelnen schwer zugänglich machen, eine persönliche, unmittelbare Einwirkung war nicht möglich; Ermahnungen zum fleißigen Kirchenbesuch bildeten den Hauptinhalt solcher Privatunterhaltung, für Goethe unbequem und drückend, der sich die akademische Freiheit durch kirchlichen Zwang nicht verkümmern wollte und damals im Gegensatz gegen frühere und spätere Richtungen allen theologischen Studien entsagt hatte. In den Stylübungen zog Goethe Gellerts besondere Aufmerksamkeit nicht auf sich, er verbesserte seine Aufsätze wie alle anderen, ohne sie auszuzeichnen. Sie zogen ihn nicht an, was uns sehr begreiflich erscheint, wenn wir die geringen Bruchstücke dieser meist in Briefform geschriebenen Aufsätze betrachten, die uns zufällig erhalten sind.[4] Sie zeigen eine Freiheit und Leidenschaft in Auffassung und Form, welche Gellert nicht wohl gefallen konnte, uns aber beweisen, daß Goethe auch in diesen Schulübungen nur das, was er wirklich erlebte, künstlerisch zu gestalten suchte.
Neben Gellert, den seine Kränklichkeit sehr beschränkte, war in ähnlicher Weise Clodius durch Vorlesungen und Übungen wirksam, die Goethe ebenfalls besuchte. Das Ansehen dieses, auch als Dichter thätigen und bekannten, Mannes war aber nicht wie bei Gellert in einer aufrichtigen Pietät fest begründet; die Schüler, welche sich mit Eifer selbst in der Dichtkunst versuchten, waren keineswegs geneigt sich seinem Urtheil unbedingt zu unterwerfen, sie fanden bald seine Schwächen und die Kunstgriffe seiner poetischen Technik heraus. Dazu kam, daß er durch das Auffallende seiner äußeren Erscheinung ihren Spott reizte, zu dessen Zielscheibe sie ihn häufig machten. So machte Goethe einst im Kuchengarten in harmloser Laune das Gedicht auf den Kuchenbäcker Händel, in welchem alle pomphaften Prachtwörter, welche Clodius zu gebrauchen pflegte, parodisch angebracht waren:
„O Händel, dessen Ruhm vom Süd zum Norden reicht,
Vernimm den Päan, der zu deinen Ohren steigt!
Du bäckst, was Gallier und Britten emsig suchen,
Mit schöpfrischem Genie, originelle Kuchen.
Des Kaffes Ocean, der sich von dir ergießt,
Ist süßer als der Saft, der vom Hymettus fließt.
Dein Haus, ein Monument, wie wir den Künsten lohnen,
Umhangen mit Trophä'n, erzählt den Nationen:
Auch ohne Diadem fand Händel hier sein Glück,
Und raubte dem Cothurn gar manch Achtgroschenstück.
Glänzt deine Urn' dereinst in majestät'schem Pompe,
Dann weint der Patriot an deiner Catacombe.
Doch leb! Dein Torus sei von edler Brut ein Nest!
Steh' hoch wie der Olymp, wie der Parnassus fest!
Kein Phalanx Griechenlands mit römischen Ballisten
Vermög Germanien und Händeln zu verwüsten.
Dein Wohl ist unser Stolz, dein Leiden unser Schmerz,
Und Händels Tempel ist der Musensöhne Herz.“
Als es mit einer boshaften Anwendung, welche Horn demselben auf Clodius durch sein Schauspiel Medon gegeben hatte, bekannt und später sogar gedruckt wurde,[5] erregte es allgemein großes Aufsehen und Mißbilligung, und Goethe war sehr unzufrieden darüber; indeß urtheilte Clodius selbst über die Sache und Goethes Benehmen bald billig; Goethe läßt in seinen Briefen stets Grüße an ihn ausrichten.
Es leuchtet ein, daß die Universität durch die Persönlichkeit ihrer Lehrer auf Goethe keinen bestimmenden Einfluß ausüben konnte. Jene einst leuchtenden Sterne waren im Verbleichen, Klopstock hatte schon auf Goethe als Knaben einen mächtigen Eindruck gemacht, Wieland wurde von dem Jüngling mit Bewunderung gelesen, und vor allem Lessing, selbst in Leipzig gebildet, hatte den Weg bereits betreten, auf dem ihm Goethe nachfolgen sollte. Seine Minna von Barnhelm (1730) „stieg wie die Insel Delos aus der Gottsched-Gellert-Weissischen Wasserfluth, um eine kreißende Göttin gnädig aufzunehmen“: kein Werk hatte einen ähnlichen Eindruck auf Goethe gemacht. In welchem Grade man dasselbe verehrte, wie man sich in dem Kreise, in welchem Goethe verkehrte, in dasselbe hinein gelebt hatte, das lehren uns kleine Züge noch anschaulich. „Konnte die Landsmännin der Minna anders schreiben?“ heißt es in einem Briefe an seine geliebteste Freundin und später: „Sie wissen, was mich unzufrieden, launisch und verdrießlich machte. Das Dach war gut, aber die Betten hätten besser sein können, sagt Franziska.“ Man hatte sich in einem freundschaftlichen Kreise an die Aufführung dieses Lustspiels gewagt und später noch nannte man sich unter einander mit den Namen der Rollen. „Was macht unsere Franziska?“ fragt er und erkundigt sich, ob sie, nachdem ihr Wachtmeister fort sei, sich nun mit Just vertrage. Minna von Barnhelm erfüllte ihn ganz als ein Werk, das ihn aufmerksam machte, „daß noch etwas Höheres existire, als wovon die damalige schwache litterarische Epoche einen Begriff hatte,“ und ermuthigte ihn da es lehrte, wie er es zu erreichen habe. Aber es war das einzige Werk seiner Art.[6]
Im Allgemeinen fand sich Goethe durch die Leistungen der Gegenwart wie durch den Verkehr, in welchen er in Leipzig trat, nicht sowohl angeregt und gefördert als verwirrt und unsicher gemacht. Er war an mehrere angesehene und gebildete Familien empfohlen und bei ihnen eingeführt. Die lebhafte litterarische Production, deren Mittelpunkt Leipzig seit geraumer Zeit war, hatte auch in weiteren Kreisen größere Theilnahme für die Litteratur hervorgerufen, welche durch Kenntniß und allgemeine Bildung unterstützt, ein gewisses Verständniß derselben, eine Fertigkeit im Urtheilen darüber verbreitet hatte. Allein diese Kritik, welche man zur Unterhaltung zu üben pflegte, und die höchstens dahin gelangte das mittelmäßige mittelmäßig zu finden, war mehr abstumpfend als fördernd; sie nahm dem Jüngling seinen Glauben und seine Verehrung, er fühlte sehnlichst das Bedürfniß nach Unterstützung in seinen Bestrebungen durch Beispiel, durch productive Anregung — sie gab ihm Steine statt Brod. Die natürliche Folge war Mißmuth, Unsicherheit, Unzufriedenheit mit andern und mit sich — eines Tags verbrannte er alles, was er bis dahin versucht und entworfen hatte.
Nicht blos in einer Hinsicht sollte er diese Erfahrung machen. Als er kaum erst nach Leipzig gekommen war, da lebte er
„So wie ein Vogel, der auf einem Ast