Goethes Jugend in Leipzig.
Eine Rede
von
Otto Jahn.
Gehalten am 28. August 1849 in der akademischen Aula in Leipzig.
Beim Anschauen des Olympischen Zeus vergaß der Grieche in stiller Bewunderung Leid und Kummer, gebannt unter den Zauber göttlicher Majestät fand er Frieden und Kraft, und ging mit dem stolzen Gefühl, ein Grieche zu sein, von dannen. Der heutige Tag giebt dem Deutschen ein ähnliches Gefühl. Heute ist es ihm vergönnt, selbst die schwerste Sorge, die Sorge um das Vaterland, den tiefsten Kummer um vereitelte Hoffnungen und Bestrebungen im Andenken an den großen Mann zurückzudrängen, der dem ganzen Vaterlande angehört, um auszusprechen, worin wir alle einig und frei sind, unsere Bewunderung und Verehrung gegen Goethe. Dankbarkeit und Anhänglichkeit auszusprechen, bedarf es keiner besonderen Berechtigung, Goethes Andenken zu feiern ist jeder berufen, der an deutscher Bildung Theil hat; für uns aber ist es eine mahnende Pflicht, das Bild des Dichters, der uns persönlich nahe angehört hat, mit einem Kranze der Erinnerung zu schmücken.
In Leipzig hat Goethe sein Studien begonnen, drei Jahre hindurch hat er unserer Universität angehört, ist hier durch den Verkehr mit Künstlern und Kunstfreunden angeregt und gebildet worden, Freundschaft und Liebe haben ihn hier mannigfach gefesselt, hier hat er die unruhvoll bewegte Zeit der ersten Selbständigkeit durchlebt — wahrlich kein unbedeutender Theil seines Lebens gehört uns an. Wir dürfen ihn selbst zum Zeugen seiner Anhänglichkeit an Leipzig nehmen, dessen Erinnerung ihm stets theuer und bedeutend war. „Wer kein Leipzig gesehen hat,“ schrieb er seinem Freunde Breitkopf nach der Heimkehr in Frankfurt, „der könnte hier recht wohl sein,“ in einer Stadt, „die zu sehr Antithese von Leipzig ist, um viel Annehmlichkeit für ihn zu haben.“ „Sie haben Recht, meine Freundin, daß ich jetzt für das gestraft werde, was ich gegen Leipzig gesündigt habe,“ heißt es in einem anderen Briefe; „mein jetziger Aufenthalt ist so unangenehm als mein Leipziger angenehm hätte sein können, wenn gewissen Leuten gelegen gewesen wäre, mir ihn angenehm zu machen.“ So urtheilte nicht nur der von dem Scheiden aus lieben und gewohnten Verhältnissen schmerzlich ergriffene Jüngling, der „draußen im Reich, in der Frankfurter Hungersnoth des guten Geschmacks“ die feinere, namentlich litterarische Bildung, den freien ungezwungenen Verkehr, besonders mit Frauen, wodurch Leipzig sich auszeichnete, gar sehr vermißte. Als später Goethe von Weimar aus in wiederholten Besuchen seine persönlichen Beziehungen zu Leipzig erneuete, schrieb er (December 1782) an Frau von Stein: „Seit 69, da ich von hier wegging, bin ich nie über ein paar Tage hier gewesen, auch habe ich nur meine alten Bekannten besucht und Leipzig war mir immer so eng wie jene ersten Jahre. Diesmal mache ich mich mit der Stadt auf meine neue Weise bekannt und es ist mir eine neue kleine Welt. — Ich wünschte, mich ein Vierteljahr hier aufhalten zu können, denn es steckt unglaublich viel hier beisammen. Die Leipziger sind als eine kleine moralische Republik anzusehen. Jeder steht für sich, hat einige Freunde und geht in seinem Wesen fort, kein Oberer giebt einen allgemeinen Ton an und jeder produzirt sein kleines Original, es sei nun verständig, gelehrt, albern oder abgeschmackt, thätig, gutherzig, trocken oder eigensinnig, und was der Qualitäten mehr sein mögen. Reichthum, Wissenschaft, Talente, Besitzthümer aller Art geben dem Ort eine Fülle, die ein Fremder, wenn er es versteht, sehr wohl genießen und nutzen kann. Er muß sich nur im Allgemeinen halten, und keinen Antheil an ihren Leidenschaften, Händeln, Vorliebe und Abscheu nehmen. Es leben hier einige Personen im Stillen, die, wenn ich so sagen darf, vom Schicksal in Pension gesetzt worden sind, von denen ich großen Vortheil ziehen würde, wenn es mir die Zeit erlaubte. Von dem allgemeinen Betragen gegen mich kann ich sehr zufrieden sein. Sie bezeigen mir den besten Willen und die größte Achtung, dagegen bin ich auch freundlich, aufmerksam, gesprächig und zuvorkommend gegen Jedermann.“ Und so ist Goethe nicht nur mit den in jenen Studienjahren ihm bekannt und vertraut gewordenen Personen in Verkehr geblieben, bis in die letzte Zeit haben Leipzigs bedeutende Männer — ich darf nur Gottfried Herrmann, Friedrich Rochlitz, Blümner nennen — ihm nahe gestanden. Freilich erging das Strafgericht der Xenien auch über Leipzig, und er fand auch wohl gelegentlich, daß bei Anwesenheit der Catalani sich die Leipziger absurd benahmen, und meinte, „es thäte Noth, daß man solchem verfluchtem Volke die Gaben Gottes in Spiritus aufhübe, damit sie solche, bei Gelegenheit vergleichen und eine der anderen unterordnen könnten;“[1] allein nicht lange vorher war er eifrig bemüht, die von Quandt hier aufgefundenen altdeutschen Gemälde, welche jetzt unser städtisches Museum schmücken, ihrem wahren Werth nach in weiteren Kreisen bekannt zu machen.[2] Überhaupt fühlt man leicht in so manchen kleinen Zügen die Theilnahme und Freude, mit welcher Goethe die Erinnerung