«Das wäre zwar kein sehr anständiger Grund, um statt dessen Mr. Crawfords Wagen zu benützen», sagte Maria, «aber wahrhaftig, Wilcox ist ein dummer, alter Kerl, der nicht richtig zu fahren versteht. Ich garantiere dafür, daß uns am Mittwoch die engen Heckenwege nicht stören werden.»
«Es ist doch nicht unbequem oder irgendwie unangenehm, auf dem Kutschbock zu sitzen?» fragte Edmund.
«Unangenehm!» rief Maria. «Du lieber Himmel, es ist der beste Sitz im ganzen Wagen! Ich nehme an, daß Miss Crawford ihn sich selber vorbehalten wird.»
«Dann habt ihr also Platz für Fanny, und es spricht nichts dagegen, daß ihr sie mitnehmt.»
«Fanny!» wiederholte Mrs. Norris ganz entsetzt. «Mein lieber Edmund, daran ist nicht zu denken. Sie muß bei deiner Mutter bleiben, das habe ich auch Mrs. Rushworth erklärt. Sie ist gar nicht eingeladen.»
«Sie haben doch sicher nichts dagegen, Mama», sagte Edmund, sich an seine Mutter wendend, «Fanny mitfahren zu lassen, sofern Ihre Bequemlichkeit nicht darunter leidet? Wenn Sie sie entbehren könnten, würden Sie ihr das Vergnügen nicht versagen, nicht wahr?»
«Nein, gewiß nicht – aber ich kann sie eben nicht entbehren.» «Doch, Mama – wenn ich bei Ihnen zu Hause bleibe. Und das ist meine Absicht.»
Ein allgemeiner Aufschrei unterbrach ihn.
«Ja», fuhr Edmund fort, «ich bin bei diesem Ausflug überflüssig und bleibe gern zu Hause. Fanny wünscht sich sehr, Sotherton zu sehen, ich weiß, daß ihr viel daran liegt. Sie genießt nicht oft eine solche Zerstreuung. Und Ihnen, Mama, macht es doch sicher auch Freude, ihr ein so großes Vergnügen zu ermöglichen, nicht wahr?»
«O ja, sehr – falls deine Tante nichts dagegen hat.» Mrs. Norris brachte sofort den einen unwiderleglichen Einwand vor, daß sie Mrs. Rushworth ausdrücklich erklärt hätte, Fanny würde nicht mitkommen – und was für einen Eindruck werde es machen, wenn man sie dann doch mitbrächte! Diese Schwierigkeit schien ihr unüberwindlich. Es müßte einen höchst sonderbaren Eindruck hinterlassen! Eine solche Formlosigkeit grenze geradezu an Mißachtung für Mrs. Rushworth, die selbst so vorbildliche Manieren habe, und sie, Mrs. Norris, bringe so etwas einfach nicht über sich … Mrs. Norris liebte Fanny nicht und war zu keiner Zeit geneigt, ihr eine Freude zu bereiten, aber ihre augenblickliche Opposition gegen Edmund entsprang vor allem ihrer Voreingenommenheit für ihren eigenen Plan, eben weil es ihr Plan war. Sie war ganz überzeugt, alles aufs allerbeste arrangiert zu haben, so daß jede Änderung zum Schlechteren sein müsse. Als Edmund ihr in der ersten Atempause, die sie sich gönnte, erklärte, sie brauche sich Mrs. Rushworths wegen keine Sorgen zu machen, denn er habe auf dem Weg zur Kutsche die Gelegenheit benützt, um von Fannys allfälliger Teilnahme an der Partie zu sprechen, und unverzüglich eine überaus herzliche Einladung für seine Cousine erhalten, konnte Mrs. Norris ihren Ärger kaum verbeißen. «Schön, schön», sagte sie höchst ungnädig. «Tut, was ihr wollt, macht nur alles nach eurem Kopf! Mir liegt wahrhaftig nichts daran.»
«Es sieht aber sehr komisch aus, wenn du an Fannys Stelle zu Hause bleibst», sagte Maria.
«Jedenfalls hat sie allen Grund, dir dankbar zu sein», fügte Julia hinzu und ging rasch aus dem Zimmer – denn sie hatte das deutliche Gefühl, daß eigentlich sie sich erbötig machen sollte, bei ihrer Mutter zu bleiben.
«Fanny wird bestimmt so dankbar sein, wie es dem Anlaß entspricht», antwortete Edmund kurz, und damit war das Gespräch beendet.
Doch als Fanny den Plan vernahm, überwog ihre Dankbarkeit bei weitem ihre Freude. Sie empfand Edmunds Freundlichkeit viel tiefer, als er, der von ihrer zärtlichen Zuneigung nichts ahnte, es vermuten konnte; daß er ihretwegen auf ein Vergnügen verzichten sollte, tat ihr weh, und sie fühlte, daß es ihr gar keine Freude machen würde, Sotherton ohne ihn zu sehen.
Die nächste Zusammenkunft der beiden Familien von Mansfield brachte eine weitere Abänderung des Planes, und zwar eine, die allgemeine Billigung fand. Mrs. Grant selber machte sich erbötig, Lady Bertram anstelle ihres Sohnes den ganzen Tag Gesellschaft zu leisten, und abends sollte Dr. Grant zum Speisen kommen. Lady Bertram war es wohl zufrieden, und die Stimmung der jungen Damen hob sich wieder. Sogar Edmund freute sich über eine Lösung, die ihm gestattete, an der Partie teilzunehmen; und Mrs. Norris fand die Idee vorzüglich und hatte sie schon auf der Zunge gehabt und gerade damit herausrücken wollen, als Mrs. Grant ihr das Wort vom Munde nahm!
Der Mittwoch brach mit schönem Wetter an, und bald nach dem Frühstück fuhr die Kalesche mit Mr. Crawford und seinen Schwestern vor. Da alle schon bereit waren, brauchte Mrs. Grant nur auszusteigen, und die anderen konnten ihre Plätze einnehmen. Der Platz aller Plätze, der begehrteste Sitz, der Ehrenplatz war noch frei. Wer würde die Glückliche sein, der er zufiel? Während jede der Fräulein Bertram heimlich überlegte, wie sie am besten und unter dem glaubwürdigsten Vorwand, einzig an die Bequemlichkeit der anderen zu denken, sich den Platz sichern könnte, traf Mrs. Grant kurzerhand die Entscheidung: «Da Sie fünf sind, wird es bequemer sein, wenn eine sich zu Henry auf den Bock setzt. Sie haben doch unlängst gesagt, Sie möchten gern kutschieren lernen, Julia? Da haben Sie gleich die beste Gelegenheit, eine Lektion zu nehmen.»
Glückliche Julia! Unselige Maria! Die erstere schwang sich im Nu auf den Kutschbock, die letztere nahm tiefgekränkt und mit düsterer Miene ihren Platz im Wagen ein, und die Kalesche fuhr unter den guten Wünschen der beiden zurückbleibenden Damen und dem Gekläff Mopsens in den Armen seiner Herrin davon.
Der Weg ging durch eine liebliche Landschaft, und Fanny, deren Ritte sie niemals sehr weit führten, befand sich bald in unbekanntem Gebiet. Es machte ihr große Freude, alles Neue zu beobachten und alles Hübsche zu bewundern. Sie wurde von den anderen nicht oft in die Unterhaltung gezogen und wünschte sich das gar nicht. Ihre eigenen Gedanken und Betrachtungen waren ihr stets die liebste Gesellschaft. Sie unterhielt sich so gut damit, den Lauf der verschiedenen Straßen, die Verschiedenheit des Bodens, den Stand der Ernte, die Bauernhäuser, Viehherden und spielenden Kinder wahrzunehmen, daß zu ihrem vollkommenen Glück nichts fehlte als die Gegenwart Edmunds, mit dem sie über all das hätte sprechen können.
Der Wunsch nach Edmunds Gesellschaft bildete die einzige Ähnlichkeit zwischen Fanny und ihrer Sitznachbarin; in allen anderen Punkten glich Miss Crawford ihr nicht im geringsten. Sie besaß nichts von Fannys Feingefühl und zartem Empfinden. Die Natur, die unbelebte Natur sagte ihr wenig; ihre ganze Aufmerksamkeit war auf die Menschen, ihre Begabung auf das Glänzende, Lebendige gerichtet. Doch wenn eine gerade Wegstrecke ihnen gestattete, Edmund hinter sich zu erblicken, oder wenn er bei einer Steigung der Straße die Kalesche überholte, fanden sie sich in dem gleichen Gefühl, und mehr als einmal riefen sie wie aus einem Munde: «Da ist er!»
Die ersten sieben Meilen brachten Miss Bertram wenig Trost. Ihre ganze Aussicht bestand aus Mr. Crawford und ihrer Schwester, die nebeneinander auf dem Kutschbock saßen und sich glänzend unterhielten; und sein ausdrucksvolles Profil zu sehen, das sich lächelnd Julia zuwandte, oder Julias lustiges Lachen zu hören, versetzte sie in einen derartig gereizten Zustand, daß selbst ihr ausgeprägtes Schicklichkeitsgefühl ihn kaum zu verbergen vermochte. Wenn Julia sich einmal nach ihnen umsah, strahlte ihr Gesicht vor Vergnügen, und wenn sie zu den Wageninsassen sprach, geschah es in jubelnden Tönen: sie habe hier oben einen so wunderbaren Blick auf die Landschaft, sie wünschte nur, alle könnten ihn genießen! – und so weiter. Doch ihr einziger Vorschlag, mit ihr Platz zu tauschen, als sie nach einer längeren Steigung oben auf einem Hügel ankamen, war an Miss Crawford gerichtet und klang nicht sehr ernst gemeint: «Hier eröffnet sich ein herrlicher Blick! Ich wollte, Sie könnten ihn von meinem Platz aus sehen, aber Sie werden wohl nicht tauschen wollen, wenn ich noch so sehr in Sie dringe …» Miss Crawford hatte kaum Zeit, zu antworten, bevor sie wieder im raschen Trab abwärts fuhren.