Die Begegnung verlief für beide Teile sehr befriedigend. Miss Crawford fand eine Schwester, die weder pedantisch noch verbauert war, einen Schwager, dem man den Gentleman ansah, ein bequemes, wohleingerichtetes Haus vor; und Mrs. Grant begrüßte in ihren Geschwistern, die sie fortan noch inniger ins Herz zu schließen hoffte, ein überaus einnehmendes junges Menschenpaar. Mary Crawford war auffallend hübsch, Henry zeichnete sich, ohne eigentlich schön zu sein, durch gute Haltung und vornehmes Wesen aus. Beide waren lebhaft und liebenswürdig, und Mrs. Grant traute ihnen daraufhin alle anderen guten Eigenschaften zu. Sie war von beiden ganz entzückt, besonders von Mary. Da sie selbst nie in der Lage gewesen war, sich ihrer eigenen Schönheit zu rühmen, erfüllte sie jetzt die Schönheit ihrer Schwester mit doppeltem Stolz. Sie hatte nicht erst Marys Ankunft abgewartet, um sich nach einer passenden Partie für sie umzusehen, und ihre Wahl war auf Tom Bertram gefallen. Der älteste Sohn eines Baronet war nicht zu gut für ein Mädchen mit zwanzigtausend Pfund, das überdies Marys Eleganz und Bildung besaß. Und da Mrs. Grant eine warmherzige, freimütige Frau war, hatte Mary noch nicht dreimal unter ihrem Dach geschlafen, als sie ihr bereits ihren Plan anvertraute.
Miss Crawford freute sich, eine so vornehme Familie in der nächsten Nachbarschaft zu finden, und die Fürsorglichkeit ihrer Schwester mißfiel ihr ebensowenig wie deren Wahl. Es war ihr Wunsch, zu heiraten, vorausgesetzt, daß es eine gute Partie war, und da sie Mr. Bertram in London gesehen hatte, wußte sie, daß gegen seine Person ebensowenig einzuwenden war wie gegen seine gesellschaftliche Stellung. Sie tat zwar, als sei das Ganze ein Scherz, versäumte aber nicht, ernsthaft darüber nachzudenken, und bald wurde auch Henry in den Plan eingeweiht.
«Und jetzt», fügte Mrs. Grant hinzu, «habe ich noch eine Idee, die das Ganze erst vollkommen macht. Ich möchte euch beide so gern in meiner Nähe behalten, und darum, Henry, sollst du die jüngere Miss Bertram heiraten, ein liebes, hübsches, gebildetes Mädchen, das dich sehr glücklich machen wird.»
Henry verneigte sich dankend.
«Liebste Schwester», sagte Mary, «wenn es dir gelingt, ihn zum Heiraten zu überreden, werde ich vollends entzückt sein, eine so gescheite Schwester zu besitzen, und nur bedauern, daß du nicht ein halbes Dutzend Töchter anzubringen hast. Wenn du Henry dazu bringst, mußt du geradezu die Klugheit einer Französin besitzen, denn alles, was englische Kunst vermag, haben wir vergeblich an ihm ausprobiert. Ich habe drei beste Freundinnen, die alle der Reihe nach sterblich in ihn verliebt waren. Was sie und ihre Mütter (sehr tüchtige Damen!) ebenso wie meine arme Tante und meine Wenigkeit für Mühe aufgewendet haben, um ihn zum Heiraten zu überreden, zu überlisten oder zu verlocken, ist mit Worten nicht zu sagen! Er ist der schlimmste Flirt, den du dir vorstellen kannst. Falls die Fräulein Bertram nicht Wert auf ein gebrochenes Herz legen, sollen sie Henry lieber aus dem Weg gehen.»
«Lieber Bruder, das will ich nicht von dir glauben!» «Nein, dazu bist du bestimmt zu gütig. Du wirst mich gerechter beurteilen als Mary und mir meine Jugend und Unerfahrenheit zugute halten. Ich bin ein vorsichtiger Mensch und habe keine Lust, mein Lebensglück voreilig aufs Spiel zu setzen. Niemand kann einen höheren Begriff vom Ehestand haben als ich. Und was eine gute Frau bedeutet, finde ich am vollkommensten in der weisen Zeile des Dichters ausgedrückt: ‹Des Himmels letzte, beste Gabe!›»
«Da hörst du es, Schwester! Merkst du, wie er das eine Wort betont? Siehst du, wie er lächelt? Glaub mir, er ist ganz abscheulich! Die Lehren des Admirals haben ihn vollkommen verdorben.»
«Es macht mir wenig Eindruck, was junge Leute über die Ehe sagen», erwiderte Mrs. Grant.
«Wenn sie behaupten, daß sie eine Abneigung dagegen haben, schließe ich daraus nur, daß sie dem oder der Richtigen noch nicht begegnet sind.»
Dr. Grant beglückwünschte seine Schwägerin lachend, daß sie persönlich offenbar keine Abneigung gegen den Ehestand empfinde.
«Nein, wirklich nicht! Und ich schäme mich dessen gar nicht. Meiner Ansicht nach müßte jeder, der gut heiraten kann, es auch tun. Ich mag es nicht, wenn man sich wegwirft, aber sobald sich eine vorteilhafte Möglichkeit bietet, sollte jeder Mensch heiraten.»
5. Kapitel
Die jungen Leute fanden von Anfang an Gefallen aneinander. Auf beiden Seiten war viel Anziehendes vorhanden, und die Bekanntschaft versprach, so rasch der gute Ton es nur zuließ, zu einer intimen Freundschaft zu werden. Daß Miss Crawford so hübsch war, schadete ihr in den Augen der Fräulein Bertram nicht. Sie waren ihrer eigenen Schönheit zu sicher, um anderen Frauen ihr gutes Aussehen zu verübeln, und zeigten sich von Marys lebhaften, dunklen Augen, ihrem klaren, bräunlichen Teint und ihrer zierlichen Anmut fast ebenso bezaubert wie ihre Brüder. Wäre sie groß und stattlich und blond gewesen, hätten sie die Prüfung vielleicht schwerer zu bestehen gefunden, doch wie die Dinge lagen, kam ein Vergleich gar nicht in Frage, und sie ließen Mary Crawford von Herzen gern als liebes, reizendes Mädchen gelten, während sie natürlich die Schönsten im Lande blieben.
Der Bruder hingegen war nicht schön. Nein, als sie ihn zum erstenmal erblickten, war er ausgesprochen häßlich, schwarz und häßlich; nichtsdestoweniger war er ein Gentleman mit sehr angenehmen Manieren. Bei der zweiten Begegnung stellte es sich heraus, daß er gar nicht so furchtbar häßlich war; häßlich zweifellos, aber er besaß so viel Haltung und so schöne Zähne und war so gut gebaut, daß man seine Häßlichkeit bald vergaß. Und nach der dritten Zusammenkunft, bei einem Dinner im Pfarrhaus, war es niemand mehr gestattet, ihn häßlich zu nennen; er war vielmehr der angenehmste junge Mann, dem die Schwestern je begegnet waren, und beide zeigten sich gleichermaßen entzückt von ihm. Der Umstand, daß Miss Bertram verlobt war, machte ihn zu Julias rechtmäßigem Eigentum. Julia war sich dessen vollauf bewußt, und ehe er noch eine Woche in Mansfield verbracht hatte, war sie durchaus bereit, sich in ihn zu verlieben.
Marias diesbezügliche Gefühle waren verworrener und unklarer. Sie wollte nicht klarsehen. Es konnte doch nichts dabei sein, einen angenehmen Menschen sympathisch zu finden – jedermann kannte ihre Situation – Mr. Crawford müßte sich eben in acht nehmen … Mr. Crawford seinerseits hatte gar nicht die Absicht, in Gefahr zu geraten. Die Fräulein Bertram waren bereit, an ihm Gefallen zu finden, und er fand es der Mühe wert, ihnen zu gefallen. Mehr wollte er vorläufig nicht; er verlangte durchaus nicht, daß sie aus Liebe zu ihm vergehen sollten. Obwohl sein Verstand und sein Charakter ihn befähigt hätten, richtiger zu denken und zu empfinden, gestattete er sich in solchen Dingen große Leichtfertigkeit.
«Deine Fräulein Bertram gefallen mir außerordentlich gut, Schwester», sagte er, als er sie nach dem Dinner im Pfarrhaus zu ihrem Wagen hinausbegleitet hatte. «Es sind wirklich sehr elegante, liebenswürdige Mädchen.»
«Ja, das sind sie, und es freut mich, es von dir bestätigt zu hören. Julia gefällt dir natürlich am besten.»
«O gewiß, Julia gefällt mir am besten.»
«Ernsthaft, Henry? Miss Bertram gilt nämlich allgemein als die größere Schönheit.»
«Das kann ich mir denken. Sie ist in jeder Beziehung hübscher und auch mehr mein Typ – aber Julia gefällt mir am besten. Miss Bertram ist ohne Frage die Schönere, und ich habe sie auch liebenswürdiger gefunden – aber Julia wird mir stets am besten gefallen, da du es so gebietest.»
«Ich werde überhaupt nicht mehr mit dir reden, Henry. Aber ich weiß, daß dir letzten Endes Julia wirklich am besten gefallen wird.»
«Habe ich dir nicht erklärt, daß sie mir schon ersten Endes am besten gefällt?»
«Und außerdem ist Miss Bertram verlobt. Vergiß das nicht, mein Lieber. Sie hat ihre Wahl bereits getroffen.»
«Ja, und darum mag ich