Max. Ah – was bringst du?
Anatol. Ich suche ein Asyl für meine Vergangenheit.
Max. Wie soll ich das verstehen?
Anatol (hält ihm das Paket entgegen).
Max. Nun?
Anatol. Hier bringe ich dir meine Vergangenheit, mein ganzes Jugendleben: Nimm es bei dir auf.
Max. Mit Vergnügen. Aber du wirst dich doch näher erklären?
Anatol. Darf ich mich setzen?
Max. Gewiß. Warum bist du übrigens so feierlich?
Anatol (hat sich niedergesetzt). Darf ich mir eine Zigarre anzünden?
Max. Da! Nimm, sie sind von der heurigen Ernte.
Anatol (zündet sich eine der angebotenen Zigarren an). Ah – ausgezeichnet!
Max (auf das Paket deutend, welches Anatol auf den Schreibtisch gelegt hat). Und ...?
Anatol. Dieses Jugendleben hat in meinem Haus kein Quartier mehr! Ich verlasse die Stadt.
Max. Ah!
Anatol. Ich beginne ein neues Leben auf unbestimmte Zeit. Dazu muß ich frei und allein sein, und darum löse ich mich von der Vergangenheit los.
Max. Du hast also eine neue Geliebte.
Anatol. Nein – ich habe nur vorläufig die alte nicht mehr ... (rasch abbrechend und auf das Paket deutend) – bei dir, mein lieber Freund, darf ich all diesen Tand ruhen lassen.
Max. Tand, sagst du –! Warum verbrennst du ihn nicht?
Anatol. Ich kann nicht.
Max. Das ist kindisch.
Anatol. O nein: Das ist so meine Art von Treue. Keine von allen, die ich liebte, kann ich vergessen. Wenn ich so in diesen Blättern, Blumen, Locken wühle – du mußt mir gestatten, manchmal zu dir zu kommen, nur um zu wühlen – dann bin ich wieder bei ihnen, dann leben sie wieder, und ich bete sie aufs neue an.
Max. Du willst dir also in meiner Behausung ein Stelldichein mit alten Geliebten geben ...?
Anatol (kaum auf ihn hörend). Ich habe manchmal so eine Idee ... Wenn es irgendein Machtwort gäbe, daß alle wieder erscheinen müßten! Wenn ich sie hervorzaubern könnte aus dem Nichts!
Max. Dieses Nichts wäre etwas verschiedenartig.
Anatol. Ja, ja ... denke dir, ich spräche es aus, dieses Wort...
Max. Vielleicht findest du ein wirksames ... zum Beispiel: Einzig Geliebte!
Anatol. Ich rufe also: Einzig Geliebte ...! Und nun kommen sie; die eine aus irgendeinem kleinen Häuschen aus der Vorstadt, die andere aus dem prunkenden Salon ihres Herrn Gemahls – eine aus der Garderobe ihres Theaters –
Max. Mehrere!
Anatol. Mehrere – gut... Eine aus dem Modistengeschäft –
Max. Eine aus den Armen eines neuen Geliebten –
Anatol. Eine aus dem Grabe . , . Eine von da – eine von dort – und nun sind sie alle da ...
Max. Sprich das Wort lieber nicht aus. Diese Versammlung könnte ungemütlich werden. Denn sie haben vielleicht alle aufgehört, dich zu lieben - aber keine, eifersüchtig zu sein.
Anatol. Sehr weise ... Ruhet also in Frieden.
Max. Nun heißt es aber einen Platz für dieses stattliche Päckchen zu finden.
Anatol. Du wirst es verteilen müssen. (Reißt das Paket auf; es liegen zierliche, durch Bänder zusammengehaltene Päckchen zutage.)
Max. Ah!
Anatol. Es ist alles hübsch geordnet.
Max. Nach Namen?
Anatol. O nein. Jedes Päckchen trägt irgendeine Aufschrift: Einen Vers, ein Wort, eine Bemerkung, die mir das ganze Erlebnis in die Erinnerung zurückrufen. Niemands Namen – denn Marie oder Anna könnte schließlich jede heißen.
Max. Laß lesen.
Anatol. Werde ich euch alle wieder kennen? Manches liegt jahrelang da, ohne daß ich es wieder angesehen habe.
Max (eines der Päckchen in die Hand nehmend, die Aufschrift lesend).
»Du reizend Schöne, Holde, Wilde,
Laß mich umschlingen deinen Leib;
Ich küsse deinen Hals, Mathilde,
Du wundersames süßes Weib!« ...
Das ist ja doch ein Name –? Mathilde!
Anatol. Ja, Mathilde. – Sie hieß aber anders. Immerhin habe ich ihren Hals geküßt.
Max. Wer war sie?
Anatol. Frage das nicht. Sie hat in meinen Armen gelegen, das genügt.
Max. Also fort mit der Mathilde. – Übrigens ein sehr schmales Päckchen.
Anatol. Ja, es ist nur eine Locke darin.
Max. Gar keine Briefe?
Anatol. Oh – von der! Das hätte ihr die riesigste Mühe gemacht. Wo kämen wir aber hin, wenn uns alle Weiber Briefe schrieben! Also weg mit der Mathilde.
Max (wie oben). »In einer Beziehung sind alle Weiber gleich: Sie werden impertinent, wenn man sie auf einer Lüge ertappt.«
Anatol. Ja, das ist wahr!
Max. Wer war die? Ein gewichtiges Päckchen!
Anatol. Lauter acht Seiten lange Lügen! Weg damit.
Max. Und impertinent war sie auch?
Anatol. Als ich ihr drauf kam. Weg mit ihr.
Max. Weg mit der impertinenten Lügnerin.
Anatol. Keine Beschimpfungen. Sie lag in meinen Armen; – sie ist heilig.
Max. Das ist wenigstens ein guter Grund. Also weiter. (Wie oben.)
»Um mir die böse Laune wegzufächeln,
Denk ich an deinen Bräutigam, mein Kind.
Ja dann, mein süßer Schatz, dann muß ich lächeln,
Weil's Dinge gibt, die gar zu lustig sind.«
Anatol (lächelnd). Ach ja, das war sie.
Max. Ah – was ist denn drin?
Anatol. Eine Photographie. Sie mit dem Bräutigam.
Max. Kanntest du ihn?
Anatol. Natürlich, sonst hätte ich ja nicht lächeln können. Er war ein Dummkopf.
Max (ernst). Er ist in ihren Armen gelegen; er ist heilig.
Anatol. Genug.
Max. Weg mit dem lustigen süßen Kind samt lächerlichem Bräutigam. (Ein neues Päckchen nehmend.) Was ist das? Nur ein Wort?
Anatol. Welches denn?
Max. »Ohrfeige.«
Anatol. Oh, ich erinnere mich schon.
Max. Das war wohl der Schluß?
Anatol. O nein, der Anfang.
Max. Ach so! Und hier ... »Es ist leichter, die Richtung einer Flamme zu verändern, als sie zu entzünden.« – Was bedeutet das?
Anatol. Nun, ich habe die Richtung der Flamme verändert: Entzündet hat sie ein anderer.
Max. Fort mit der Flamme ... »Immer hat sie ihr Brenneisen mit.« (Sieht Anatol fragend an.)
Anatol. Nun ja; sie hatte eben immer ihr Brenneisen mit – für alle Fälle. Aber sie war sehr hübsch. Übrigens hab ich nur ein Stück Schleier von ihr.
Max.